Die Türkei, Libyen und Griechenland streiten um Erdgasvorkommen im Mittelmeer

Zank um Bodenschätze

Rivalisierende Ansprüche auf Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer verstärken die Spannungen zwischen der Türkei, Libyen und Griechenland.

Jüngst hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) die anstehende Präsidentschafts- und Parlamentswahl auf den 14. Mai vorverlegt. An dem historischen Datum im Jahr 1950 endete mit der Wahl von Adnan Menderes zum Ministerpräsidenten die Alleinherrschaft der CHP, der Partei des 1938 verstorbenen Staatsgründers der Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Die CHP ist heutzutage Erdoğans Hauptgegner, in einem Bündnis mit fünf weiteren Oppositionsparteien, das am Montag sein Wahlprogramm vorlegte.

Historische Reminiszenzen werden Erdoğan kaum reichen, um die Mehrheit der Stimmen der von der hohen Inflation gebeutelten Türk:innen für sich und seine Partei zu gewinnen; Ankündigungen über auszubeutende Bodenschätze vielleicht eher. Anfang des Jahres stand in türkischen Zeitungen, dass das staatliche Mineralölunternehmen Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı (TPAO) große Öl- beziehungsweise Gasvorkommen im Schwarzen Meer entdeckt habe. Am 5. Januar berichtete die Tageszeitung Hürriyet vom Anstieg der Erdölproduktion an der Grenze zum Irak. Am Tag darauf konterte die weniger regierungsfreundliche Sözcü, dass zwar die Rohölförderung der TPAO in den vergangenen zwei Jahren um fünf Prozent gestiegen, die Gasförderung aber um 16 Prozent zurückgegangen sei.

Dann kam eine unerwartete Nachricht: Fünf libysche Anwälte hatten vor einem Gericht in der Landeshauptstadt Tripolis erreicht, dass die Regierung ein Abkommen nicht umsetzen darf, das türkischen Firmen die Förderrechte an Bodenschätzen in libyschen Hoheitsgewässern überträgt. Die libysche Regierung kann zwar Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen, doch ist ihre rechtliche Lage unsicher, da das Mandat von Regierung und Parlament nur bis zum Termin der Wahlen im Dezember 2021 reichte – doch diese sind ausgefallen und bislang nicht nachgeholt worden.

Die lukrativen Verträge folgten einem Seerechtsabkommen von 2019. Darin erklärten die Türkei und Libyen den Boden des Mittelmeers zwischen sich zu ihren exklusiven Wirtschaftszonen, ohne das griechische Kreta und Zypern zu berücksichtigen. Nach Auffassung türkischer Geologen setzen sich die Felsformationen des türkischen Festlands unter dem Meer fort, während Kreta und die Inselgruppe des Dodekanes die von der Türkei beanspruchten Bodenrechte nicht beschränkten, da sie nur Hoheitsgewässer besäßen und ihre Verankerung im Boden keinen geologischen cut-off effect hätten. Dem widerspricht Griechenland und betont, das Abkommen verletze das Seerecht. Die Türkei erkennt das EU-Mitglied Republik Zypern ohnehin nicht an, die EU wiederum das Abkommen nicht. Sie unterstützt in dem Streit Griechenland und Zypern.

Hintergrund des Abkommens war die militärische Lage der libyschen Übergangsregierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj (2016–2020). Der aufständische General Khalifa Haftar rückte Anfang 2019 auf die Hauptstadt Tripolis vor. Er wurde von Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und Frankreich unterstützt, al-Sarraj zunächst von Italien, dann auch von Katar und der Türkei. Türkische Militärberater, unter syrischen Rebellen rekrutierte Söldner und Kampfdrohnen brachten schließlich die Wende. Seit Oktober 2020 gibt es einen Waffenstillstand, der das Land de facto zwischen der Regierung von Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba, einer Gegenregierung unter Fathi Bashagha im Osten des Landes, Haftar und lokalen Gruppen aufteilt.

Die Konzessionen für türkische Firmen haben indessen für Unmut in der libyschen Bevölkerung gesorgt. Dbeibas Regierung steht weiter zum Abkommen mit der Türkei und hat dagegen protestiert, dass das Forschungsschiff »Sanco Swift« im Auftrag der Ölkonzerne Exxon Mobil und Helleniq Energy vor der Südküste Kretas nach Erdgas sucht. Indessen ist Erdoğan dabei, sein Verhältnis zu anderen Anrainern des östlichen Mittelmeers wie Ägypten, Israel und sogar Bashar al-Assads Syrien zu verbessern. Die Entspannung in Syrien war ein Wunsch Russlands, die Folge ist eine weitere Entspannung in Libyen, wo russische Söldner der Gruppe Wagner Haftar unterstützen.

Dies hat offenbar eine weitere Macht auf den Plan gerufen: Mitte Januar tauchte der CIA-Direktor William Burns überraschend zu Gesprächen mit Dbeiba, aber auch mit Milizenführer Haftar über Russlands Söldner und Fragen des Ölexports in Tripolis auf. Dbeiba hatte im Dezember den ehemaligen libyschen Geheimdienstmitarbeiter Abu Agila Mohammad Masud an die USA ausgeliefert, der wegen seiner Verwicklung in ein Bombenattentat gesucht wurde, in dessen Folge 1988 ein Passagierflugzeug über dem schottischen Lockerbie abgestürzt war. Auf Burns’ Besuch bei Dbeiba folgte sogleich einer von Erdoğans Geheimdienstleiter Hakan Fidan, wohl um die Lage zu sondieren. Ein eskalierender Konflikt mit Griechenland im Mittelmeer könnte Erdoğan im Wahlkampf zur Ablenkung von der Inflation auch dienen.