Die Letzte Generation ist keine kriminelle Vereinigung

Kriminelle Suppe

In Bayern sitzen bereits Mitglieder der Letzten Generation in Präventivhaft. Währenddessen ermittelt die Staats­an­walt­­schaft Neuruppin gegen weitere Aktivist:innen wegen Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Kommentar Von

Am Morgen des 13. Dezember hat die Polizei in mehreren Bundesländern die Wohnungen von elf Aktivist:innen der Letzten Genera­tion durchsucht. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen sie wegen eines Anfangsverdachts auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuchs. Dabei geht es wohl vor allem um Sabotageaktionen an der PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, wo Aktivist:innen seit April mehrfach den Betrieb gestört hatten, um auf die Folgen der Nutzung von fos­silen Energieträgern hinzuweisen. Eine Verurteilung kann bis zu fünf Jahren Haft bedeuten.

Nicht jede Vereinigung, die Straftaten begeht, gilt auch als kriminelle Vereinigung. Die begangenen Taten müssen eine »Erheblichkeitsschwelle« überschreiten. Das ist der Fall, wenn der Zweck oder die Tätigkeit jener Vereinigung auf die Ausführung von Straftaten ausgerichtet ist, die »im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind«. Ansonsten hängt es vom Einzelfall ab. Einfache Sachbeschädigungen oder Straßenblockaden wiegen häufig nicht schwer genug, um auch eine Strafbarkeit nach Paragraph 129 zu begründen, machen jedoch die übergroße Mehrheit der Straftaten aus, die der Letzten Generation vorgeworfen werden. ­Zudem ist nicht jede Straßenblockade eine strafbare Nötigung, da diese die Anwendung von oder Drohung mit Gewalt voraussetzt. Auch wenn der Begriff der Gewalt hierbei meist weiter ausgelegt wird als im alltäglichen Sprachgebrauch, sind friedliche Sitzblockaden nicht prinzipiell Straftaten. Nur unter bestimmten Bedingungen können sie juristisch als solche angesehen werden.

Es wird der Letzten Generation vermutlich wenig helfen, dass sie politisch für rechtlich verbindliche Ziele für die Minderung des Treibhausgasausstoßes eintritt. Zwar ist es für eine Nötigung tatsächlich erforderlich, dass Handlung und Zweck der Nötigung in e­inem »verwerflichen« Verhältnis zueinander stehen. Abstrakte Fernziele spielen dafür jedoch in der herrschenden Rechtsprechung keine Rolle. Zumindest das Abhalten einer Versammlung kann jedoch als ein akzeptables Nahziel gesehen werden, für das Verkehrsbehinderungen hingenommen werden müssen. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.

Weil es auf der Grundlage von Sitzblockaden und Suppenwürfen eher schwierig würde, eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren, müssen wohl die Aktionen in der PCK-Raffinerie für die Ermittlungen herhalten. Eine »Störung öffentlicher Betriebe« wiegt schwerer als eine Nötigung oder Sachbeschädigung. Ob das dem Gericht reicht und ob es auch sonst den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung für erfüllt hält, wird sich zeigen. Es wird auch entscheiden müssen, ob es sich bei der Begehung von Straftaten um einen zentralen Zweck der Gruppe handelt oder lediglich um einen untergeordneten Nebenaspekt der eigentlichen ­politischen Tätigkeit.

Auf Grundlage der Mehrzahl der Verstöße, die der Letzten Generation zur Last gelegt werden, ist es jedenfalls nicht naheliegend, die Gruppe als kriminelle Vereinigung einzustufen. Doch wie auch immer man die juristische Lage bewertet: dass gegen eine Gruppe, die sich vor allem mit Sitzblockaden und kleineren Sachbeschädigungen in zivilem Ungehorsam übt, derart schweres Geschütz aufgefahren wird, ist maßlos.

In den sozialen Medien machen Gewaltphantasien gegen die Blockierer:innen die Runde. Die Bild-Zeitung schreibt seit Monaten von »Klima-Chaoten«, in der Union schürt man die Angst vor einer angeblich entstehenden »Klima-RAF«. Selbst Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, hat Letzteres als »Nonsens« kritisiert. Wer gegen Gesetze verstößt, ist noch lange kein Verfassungsfeind und schon gar kein Terrorist.

Unabhängig davon, wie man zu der Letzten Generation steht, zeigen die Reaktionen auf die eher harmlosen und gewaltfreien Aktionen nicht nur, dass die Aktivist:innen einen wunden Punkt treffen, sondern auch, dass rechtsstaatliche Grundsätze für die selbsternannten Hüter:innen von Recht und Ordnung von eher nachrangigem Interesse sind.