Rechte wittern in der Energiekrise ihre Chance

Pipeline auf, Grenzen zu

Deutsche Rechte hoffen bereits auf die Gelegenheit, um bei den anstehenden Sozialprotesten anzudocken. Eine Übereinstimmung mit so manchen linken Protestierenden könnten in einer russlandfreundlichen Haltung bestehen.

Da, wo die Erdgasleitung Nord Stream 2 deutsches Festland erreicht, gab es am 29. August unangekündigten Besuch von ganz rechts. Anhänger der ­sogenannten Identitären um den Österreicher Martin Sellner drangen kurzzeitig auf das Terminal der derzeit stillgelegten Ostsee-Pipeline im mecklenburgischen Lubmin vor. Zwar vertrieb die Polizei sie umgehend wieder vom Gelände, doch die Zeit reichte für ein kurzes Aktionsvideo.

Das Ergebnis des Kurzauftritts war bescheiden. Sellner und sein Gefolge hatten auf Aufmerksamkeit gehofft, doch der Werbeerfolg blieb minimal. Jenseits der Jungen Freiheit (JF) und verwandter milieueigener Plattformen fand die Aktion lediglich in wenigen Randmeldungen Erwähnung. Das muss für die Aktivisten enttäuschend gewesen sein, immerhin hatten sie Großes vor. »Wir sind noch nicht zufrieden«, verriet Sellner der JF, »weil wir es diesmal nicht geschafft haben, Nord Stream aufzudrehen. Aber wir sind überzeugt, dass wir den Protesten damit eine Initialzündung gegeben haben.«

Die Forderung nach Ende der Sanktionen gegen Russland kann als pures Eigeninteresse jenseits einer außenpolitischen Positionierung verkauft werden.

Wie stets hatte Sellner den Mund recht voll genommen. Die Identitären werden kaum geglaubt haben, eine Gaspipeline ließe sich einfach aufdrehen wie ein Wasserhahn. Auch »die Proteste«, von denen Sellner sprach, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ­begonnen. Seine Äußerung zeigt aber, in welchem Kontext er diese Aktion verstanden wissen möchte.

Tatsächlich mobilisierte wenige Tage später die Partei »Die Basis« 1 800 Menschen ebenfalls nach Lubmin, um für die Öffnung der Pipeline zu werben. Ein neuer Kampagnenherbst hat begonnen, an dem auch die äußerste Rechte teilnehmen will. Nach langer Aufmerksamkeitsflaute will sie die durch den Überfall Russlands auf die Ukraine entstandene Energieknappheit nutzen, um sich endlich wieder zu profilieren.

Wie in der Vergangenheit versucht das medienaffine Trüppchen um Sellner, bereits vorhandene Unruhe für die eigene Publicity zu nutzen. Das Thema Energiepolitik gilt als eine gute Gelegenheit, nach dem Muster der Coronakrise weitere rechte Anliegen in die Öffentlichkeit zu transportieren. Daher verband Sellner die Aktion in Lubmin umgehend mit der Forderung nach »geschlossenen Grenzen«, dem obersten Punkt auf seiner völkisch-nationalen Agenda. Aus gutem Grund wollte der Österreicher dabei nicht über »Kriegs- und Geopolitik« reden, sondern nur über »die Verantwortung vor dem eigenen Volk«. Zwar sind Energiekrise und Inflation unmittelbare Resultate eines außenpolitischen Konflikts, die Benennung von Ursache und Wirkung scheint aber nicht opportun. Man fühlt sich Russland weltanschaulich verbunden und scheut entsprechend Kritik an der Politik Putins. Stattdessen soll der erwartete Unmut nach dem Vorbild der »Merkel muss weg«-Kampagne ganz auf die Regierung gelenkt werden, speziell auf SPD und Grüne.

In dieser Frage ziehen die verschiedenen Protagonisten der äußersten Rechten an einem Strang. Die AfD hat bereits auf ihrem Bundesparteitag im Juni in Riesa das Mobilisierungspotential der steigenden Energiekosten thematisiert. Jürgen Elsässers Magazin Compact ­titelt mit einem »heißen Herbst« und sieht einmal mehr die Diktatur gegen »das Volk« am Werk, allerhand Kleingruppen verkünden, nicht »für die ­Ukraine frieren« zu wollen.

Offen ist nur die Frage, wie man sich zu Russland äußert. Während Elsässer mit der offenen Huldigung Putins keine Probleme hat, hält sich der neurechte Verleger Götz Kubitschek in außenpolitischen Fragen lieber zurück. Schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs hatte er empfohlen, sich nicht in internationalen Konflikten zu verlieren. Anstatt den Streit über Krieg und Frieden zu führen, solle das Augenmerk auf deutsche ­Bedürfnisse gelegt werden. Die Menschen sollen über ihr unmittelbares ­Interesse erreicht werden, also die ­finanziellen Sorgen aufgrund real steigender Lebenshaltungskosten. Die Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland kann dann als pures Eigeninteresse verkauft werden, ohne sich außenpolitisch allzu deutlich positionieren zu müssen.

In seiner Zeitschrift Sezession hat Kubitschek bereits angekündigt, die Proteste eifrig zu befeuern und »mit unseren Kräften und Beziehungen und als nicht unwichtiger Knotenpunkt des Widerstandsgeflechts dafür zu sorgen, dass die Proteste nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich werden. Wir werden dort sein, wo man uns braucht.« Eskalation wird ersehnt und rhetorisch angeheizt, in den rechten Echokammern kursieren wie bei den vergangenen Protestwellen längst wieder Gerüchte von »Notstandsverhängung« und »Schießbefehl«. Auch Kubi­tschek schwadroniert, »dass die regierungsnahen Warnungen vor einem ›heißen Herbst‹ etwas heraufbeschwören helfen, dessen Verlauf die Notstandsgesetzgebung aktiviert«. Er und die Seinen wollten jedenfalls dabei sein, wenn »sich ein System zur Kenntlichkeit entstellt.«

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieses Konzept gewisse Erfolge zeitigt. Die Teuerungen bergen das Potential ernsthafter gesellschaftlicher Konflikte. Es kursieren bereits erste Brandbriefe vor allem ostdeutscher Gewerbetreibender und Lokalpolitiker, die vor den Folgen der steigenden Energiepreise warnen. Das sind ungute Vorzeichen. Mitte August veröffentlichten Sebastian Friedrich und David Begrich in der Wochenzeitung Freitag eine Analyse, wonach gerade in den Bundesländern, die aus der ehemaligen DDR entstanden, mit einer weitaus größeren Protestwelle zu rechnen sei als in der Vergangenheit. Im Osten mangele es im Vergleich mit dem Westen an finanziellen Rücklagen, Erbeigentum und sozialer Sicherheit; das biete gute Voraussetzungen für erneute Proteste. Vor allem bleibe ungewiss, in welche Richtung sich diese entwickeln können. Auch wenn die Demonstrationen keineswegs nur von Rechten organisiert würden, warnen die Autoren davor, dass am Ende hauptsächlich die AfD von diesen Protesten profitieren könnte.

Tatsächlich ist ein Zusammenschluss der verschiedenen Protestmilieus, wie er während der Coronakrise nur begrenzt zustande kam, durchaus möglich. Die Rechten spekulieren sogar darauf, das von links mobilisierte Protestpotential übernehmen zu können. Spätestens wenn die Verbindung zur Außenpolitik dann doch hergestellt wird, werden die prorussischen Präferenzen bei AfD und Linkspartei eine weitere Brücke schaffen können. Hier wird es immer schwieriger, die Milieus noch voneinander zu unterscheiden. Für die Linke dürfte es eine der größten Herausforderungen in den nächsten ­Monaten werden, den Sozialprotest zu organisieren und zugleich eine klare Grenze nach rechts zu ziehen.