Ein Gespräch mit Carolina Perez von der Band Castrator über Death Metal und Feminismus

»Wir Frauen müssen zornig werden«

Interview Von

Am Tag vor unserem Gespräch hat der Oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung in den USA auf Bundesebene abgeschafft. Wie hast du diese Nachricht aufgenommen?

Der gestrige Tag hat mich unglaublich zornig gemacht. Die Gesellschaft entwickelt sich rückwärts, es ist wirklich unglaublich. Jede Freundin, mit der ich gestern gesprochen habe, hat geweint. Frustration war gestern die Stimmung sehr vieler Frauen in diesem Land.

Denkst du, dass dies bloß der Anfang einer Entwicklung ist, die auch vor der Empfängnisverhütung und der gleichgeschlechtlichen Ehe nicht haltmacht?

Es wird bereits darüber gesprochen, dass die gleichgeschlechtliche Ehe nicht länger erlaubt sein sollte. Und die ­Geburtenkontrolle ist sehr eng mit den Abtreibungsgesetzen verknüpft, so dass hier die Rechte des Einzelnen und die Selbstfürsorge definitiv im weiteren Sinne angegriffen werden. Ich versuche, mich nicht zu sehr von dieser Politik beeinflussen zu lassen und zu tun, was ich will. Aber wenn es dieses Ausmaß annimmt, kann man nicht umhin, das Gefühl zu haben, dass man in der Falle sitzt, besonders als Frau. Es ist also an der Zeit, zu protestieren und seine Stimme zu erheben.

»Es gibt jede Menge ›hater‹ da draußen, aber ich kümmere mich nicht darum. Es bringt mich eher zum Lachen, denn ich erreiche ja, was ich will: Ich möchte, dass sich Frauenfeinde unwohl fühlen.«

Seit eurer ersten Veröffentlichung, der EP »No Victim«, sind sieben Jahre vergangen. Weshalb hat es so lange gedauert, bis ihr nun mit »Defiled in Oblivion« euer erstes komplettes Album herausbringt?

Castrator hat als internationales Projekt begonnen. Unsere damalige Gitarristin Priscilla lebte in Norwegen, und dann zog auch noch unsere damalige Sängerin kurz nach Gründung der Band in die Tschechische Republik. Wir haben versucht, die Band unter diesen Bedingungen zum Laufen zu bringen, aber die räumliche Distanz, Zeitverschiebung und auch Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung von Cast­rator haben es uns schwer gemacht. Es gab einen Punkt, an dem die Band davon so beeinträchtigt war, dass wir eine Entscheidung treffen mussten. Also haben wir ein paar Mal neue Mitglieder gesucht. All das hat sich so sehr hinge­zogen, dass ich das Schlagzeug für dieses Album sogar ein zweites Mal eingespielt habe, weil seit den ersten Aufnahmen so viel Zeit verstrichen war. Auch die Gitarrenaufnahmen haben wir zweimal gemacht, weil wir dafür mehrere Musikerinnen ausprobiert haben.

Habt ihr das Album gemeinsam komponiert?

Aufgrund dieser Erfahrungen in den Anfangstagen haben Robin Mazen (Bassistin von Castrator, Anm. d. Red.) und ich als verbleibende Gründungsmitglieder beschlossen, das Album zu zweit zu schreiben. Wir komponierten also die meisten Lieder zusammen, haben auch alle Texte geschrieben. Dann haben wir unserer neuen Gitarristin Kim die Songs gegeben, und die hat sie gelernt und eingespielt. Mitsprachemöglichkeiten hatte sie nicht, weil wir zuvor nie miteinander gearbeitet hatten. Dasselbe gilt für die Gesangsaufnahmen von Clarissa Badini. Nur so konnten wir dieses Album veröffentlichen, sonst würden noch immer darauf warten, dass jemand einen Text oder ein Riff schreibt.

Vermutlich war neben all den Pro­blemen, die du beschrieben hast, auch eine gute Portion Perfektionismus im Spiel – das Album klingt ­jedenfalls so.

Ja. Diesen Perfektionismus und Professionalismus hat aber nicht zuletzt auch Daniel Gonzalez mit eingebracht, der bei Possessed und Gruesome Gitarre spielt. Er hat uns beim Schreiben, bei der Produktion und beim Sound sehr geholfen. Und er hat auch ein paar ­Gitarrensoli für das Album beigesteuert.

Mit »Defiled in Oblivion« habt ihr euch gegenüber der EP musikalisch stark weiterentwickelt. Ihr liefert technisch anspruchsvollen, auf den Punkt gespielten Death Metal ab, während ihr früher einen deutlichen Grindcore-Einschlag hattet.

Für dieses Album haben wir einen ganz anderen Ansatz gewählt, weil nur ­Robin und ich die Stücke geschrieben haben. Bei der EP haben wir noch alle gemeinsam versucht, unseren Sound zu finden. Ich mag diese Songs, aber sie klingen roh und simpel. Unser Hauptziel war jedoch immer, Death Metal ­alter Schule zu machen. Mit unserer ursprünglichen Sängerin Mallika hat das nicht recht geklappt. Aber Clarissa klingt so, wie wir es uns gewünscht haben, und das hat unseren Stil verändert.

Zudem sind unsere Stücke damals unter Zeitdruck entstanden, und das hört man den Riffs auch an. Wenn unsere Gitarristin Priscilla aus Norwegen zu Besuch in New York war, haben wir uns in einem Proberaum eingeschlossen und versucht, gemeinsam Songs zu schreiben. Wenn man mehr Zeit hat, sich Riffs auszudenken, perfektioniert man sie mehr, feilt an ihnen herum.

Wie kam es, dass ihr eine reine Frauenband seid?

Von Anfang an wurden wir wegen unseres Band namens »Castrator« als feministisch bezeichnet. Das ist auch völlig in Ordnung so, obwohl ich mich nicht als Feministin bezeichnen würde. Für uns ist das Wichtigste die Musik. Wir wollten eine Death-Metal-Platte herausbringen und wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, das ist unsere Botschaft. Die Idee zu der Band ist im Grunde in der Saint Vitus Bar (ein ­bekannter Auftrittsort für Metal- und Hardcorebands in New York, Anm. d. Red.) entstanden. Wir haben uns ein paar Mal dort getroffen und hatten auch schon ein paar Mal gemeinsam auf der Bühne gestanden. Irgendwann dachten wir uns: Wie geil wäre es, eine Band nur mit Frauen zu haben?

Es kann sehr ermüdend sein, die ganze Zeit mit Kerlen zu spielen, wenn du eine Frau bist. Ich liebe es, in meiner anderen Band mit Männern zusammen zu spielen. Aber es ist eine ganz andere Art von Energie, nur mit Frauen aufzutreten. Wenn ich eine Frau auf der Bühne sehe, die es richtig krachen lässt und alles gibt, dann ist das für mich das Größte. Also wollte ich das mit ­einer ganzen Band bringen, mit echtem Death Metal. Das hat uns vor einige Herausforderungen gestellt, weil wir Probleme hatten, eine Gitarristin zu finden, die nicht nur mittelmäßig spielt, sondern verdammt gut ist und einfach alles zerlegt. Unser Neuzugang Kimberly Orellana hat das drauf.

Habt ihr euch auch von Valerie Solanas und ihrem »Scum Manifesto« inspirieren lassen?

Wir machen extremen Death Metal, aber das »Scum Manifesto« (Deutscher Titel: »Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer«, Anm. d. Red.) hat eine sehr extreme Botschaft (lacht). Es ist wichtig für uns, Gleichberechtigung einzufordern, aber wir hassen Männer nicht.

Das erste Stück eures Albums ist Malala Yousafzai gewidmet, einer jungen pakistanischen Frau, die 2012 ein Attentat überlebte. Die damals 15jährige hatte sich für die Schulbildung der weiblichen Bevölkerung eingesetzt und sprach sich öffentlich gegen den Terror der pakistanischen Taliban aus, die sich zu dem Anschlag bekannten. Was hat euch dazu bewogen, dieses Lied zu schreiben?

Natürlich wollen wir damit eine deutliche Botschaft senden. Der Refrain des Lieds lautet: »Beendet die Schreckensherrschaft jetzt!« Frauen werden schon so lange von den Taliban terrorisiert. Wenn man zufällig eine Frau ist, die in diesem Teil der Welt geboren wurde, ist man einfach aufgeschmissen. Es ist so traurig, und was Malala sagt und tut, ist so mutig, es ist eine so wichtige Botschaft, dass sie von uns allen auf­gegriffen und wiedergegeben werden muss. Dasselbe gilt für »Forsaken and Deprived« – der Song handelt von all den Jane Does, all den namenlosen Frauen, die ermordet werden, und die meisten Fälle werden nie aufgeklärt.

Auf eurer EP hattet ihr einen Song mit dem Titel »Honor Killing«. Demnach ist es euch wichtig, auch die frauenfeindliche Ideologie des Islamismus gezielt anzusprechen?

Ja. Ehrenmorde sind noch immer eine brutale Realität. Vor ein paar Monaten gab es diese schreckliche Schlagzeile über diesen Typen im Iran, fast noch ein Jugendlicher in den Zwanzigern, der seine Frau, die auch seine Cousine war, enthauptet hat (das Opfer war die 17jährige Mona Heydari; Anm. d. Red.), weil sie eine Meinungsverschiedenheit hatten. Er ist dann mit ihrem Kopf auf der Straße herumspaziert und hat sich dabei filmen lassen. Wahrscheinlich wird er nicht einmal dafür bestraft werden, weil es ein sogenannter Ehrenmord war, der von dem Regime geduldet wird. Ich weiß, wir machen nur Musik und wir werden dadurch die Welt nicht verändern, aber es ist uns wichtig, eine klare Botschaft rüberzubringen. Musik transportiert ja auch Gefühle, und wenn man wirklich fühlen will, was man spielt, sollte man über etwas singen, das einem am Herzen liegt.

Ich hatte den Eindruck, dass die Songs eurer EP offener politisch ­waren, während sich die Texte auf dem Album eher an klassischen Death-Metal-Texten orientieren. Würdest du dem zustimmen?

Auf der EP stammen zwei der Songtexte von unserer früheren Sängerin Mallika. Ich habe »No Victim« geschrieben, und sie hat »The Emasculator« und »Brood« geschrieben. »Honor Killing« war eine Zusammenarbeit von uns allen. »No Victim« liegt mir sehr am Herzen, weil man als Frau immer in Angst lebt, wie es auch im ersten Satz des Songs heißt. Wenn du nicht richtig trainiert bist und nicht die Wut in dir hast, um zurückzuschlagen, wirst du leicht zum Opfer. Es ist also wichtig, die Mentalität zu haben, auf keinen Fall zum Opfer zu fallen, damit man sich wehren kann. Viele Frauen werden missbraucht, und den Tätern spielt auch noch in die Karten, dass wir Frauen gesellschaftlich dazu erzogen werden, unterwürfig zu sein. Wie ich schon sagte, haben wir ­damals versucht, unseren Sound zu finden, also hatten die ersten Songs vielleicht eine stärkere Botschaft. Für ein ganzes Album braucht man aber auch eine größere Vielfalt an Texten.

Die feministische Black-Metal-Band Feminazgûl führt die Parole »I ask not to be safe from my enemies but dangerous to them« (»Ich will nicht sicher vor meinen Feinden sein, sondern ihnen gefährlich werden«). Kannst du dich damit identifizieren?

Auf jeden Fall. Wir müssen zornig werden, um nicht in diese Unterwürfigkeit zu verfallen. Feminazgûl sind übrigens ungefähr zur gleichen Zeit entstanden wie wir.

In einem Radiointerview sagtest du vor kurzem, dass ihr wegen eures Bandnamens und eurer Haltung viele Droh- und Hasskommentare ­erhaltet. Das ist ziemlich aufschlussreich, wenn man bedenkt, wie viele sexistische und frauenfeindliche Darstellungen und Texte auf Metal-Alben Platz finden und unwidersprochen bleiben. Wie erklärst du dir diese Reaktion?

Das ist sehr traurig, aber auch sehr real – wir haben gleich zwei Morddrohungen erhalten, als wir den ersten Song zu diesem Album veröffentlichten. Einer drohte, uns mit einem Messer zu vergewaltigen. Es gibt jede Menge hater da draußen, aber ich kümmere mich nicht darum. Es bringt mich eher zum Lachen, denn ich erreiche ja, was ich will: Ich möchte, dass sich Frauenfeinde ­unwohl fühlen. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass wir keine Angst haben, sondern das tun, was wir lieben, und wenn es euch stört, dann ist das eben so.

Vor ein paar Jahren wurde eure Band von der Zeitschrift Vice als feministische Rachephantasie ­bezeichnet. Würdet ihr dieser Beschreibung zustimmen oder seht ihr euch vielmehr als eine feministische Antwort auf Bands wie Cannibal Corpse, im Sinne von: Ihr könnt austeilen, jetzt wollen wir mal sehen, ob ihr auch einstecken könnt?

Du hast recht, genau Letzteres wollen wir provozieren. Das war schon immer unsere Absicht. Wir wollen in der Lage sein, etwas zu liefern, was Cannibal Corpse auf eine andere Art und Weise machen, und die Reaktion der Leute ­sehen.

Der Song »Purge the Rotten (Ones)« handelt von Aileen Wuornos, die sieben Männer getötet hat; ihre Geschichte inspirierte den Film »Monster« mit Charlize Theron. Ist das für dich einfach ein klassischer Death-Metal-Text?

Der Song handelt zu hundert Prozent von Aileens Geschichte. Wir zitieren in dem Text ihre letzten Worte, die sie sagte, ehe sie hingerichtet wurde. Sie war definitiv eine interessante Person. Sie behauptete, sie habe alle Taten in Selbstverteidigung begangen, aber sie sagte auch, dass es ihr Spaß gemacht habe und dass sie es wieder tun würde. Es ist ein seltener Fall einer weiblichen Serienmörderin, denn die meisten Serienmörder sind Männer, aber es gibt eben auch ein paar Frauen darunter, und das gibt dem Ganzen eine andere Perspektive.

Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass ihr »Countess Bathory« von Venom (ein Klassiker des Heavy Metal aus dem Jahr 1982; Anm. d. Red.) für das Album gecovert habt?

Anfangs hatten wir nicht genug Songs für ein komplettes Live-Set, also brauchten wir ein zusätzliches Lied und wollten ein Cover machen. Robin und ich sind große Venom-Fans, und so dachten wir uns: Lass uns »Countess Bathory« spielen; es ist auch ein einfach zu lernender Song. Das hat auch auf der Bühne sehr viel Spaß gemacht. Früher haben Bands immer Coverversionen in ihre Shows eingebaut, heutzutage ist das nicht mehr so oft der Fall. Dabei ist es so wichtig, Klassiker zu ­covern, weil eine ganz neue Generation auf diese Weise etwas über die alten Bands lernt.

Würdest du sagen, dass die Death-Metal-Szene und die Metal-Szene im Allgemeinen trotz allem offener für reine Frauenbands und feministische Themen geworden ist, seit ihr vor sieben Jahren eure erste EP veröffentlicht habt?

Ich stoße auf immer mehr reine Frauenbands im Death und Black Metal, aber ich hoffe, dass es noch mehr werden. Ich erinnere mich, dass es von 2007 bis 2011 eine Band aus Italien namens Putrefied Beauty gab, die waren ultra­brutal. Sie waren eine große Inspiration für mich, ebenfalls eine reine Frauen-Death-Metal-Band zu gründen. Damals war es schwer, eine solche Band zu finden. Es kam der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleich. Heute ist die Chance größer, eine Musikerin auf der Bühne zu sehen. Selten sind es reine Frauenbands, aber die gibt es auch, wie etwa Nervosa, Burning Witches, Crypta oder Torva aus Kolumbien. Die sind zu dritt und haben einen sehr schwedischen Sound, wie Dismember, sie sind großartig. Dank des Internets kann man mehr und mehr Bands finden, die nur aus Frauen bestehen, und ich liebe es, ich habe das Gefühl, dass es immer mehr akzeptiert wird.

Werdet ihr bald nach Europa auf Tour kommen?

Das ist im Gespräch, aber noch schwer abzusehen, da das Album noch nicht erschienen ist. Wir haben mit ein paar Booking-Agenturen gesprochen, die daran interessiert sind, eine Tour für uns zu buchen, aber natürlich wollen sie erst einmal sehen, wie das Album ankommt.

Wenn man euch anbieten würde, entweder mit Benediction oder mit Napalm Death auf Tour zu gehen, für welche Band würdest du dich dann entscheiden?

Das ist eine schwierige Frage – ich liebe beide. Ich würde gerne mit beiden auf Tour gehen, aber ich sage Napalm Death. Sie haben eine sehr interes­sante Fangemeinde, die nicht unbedingt nur aus Death-Metal-Fans besteht, sondern breiter gefächert und offener ist, was bestimmt auch an der Haltung der Band liegt und an der Message, die sie rüberbringen. Ich war auf vielen Napalm-Death-Shows und es ist immer schön, das Publikum dort zu erleben. Ich will kein schlechtes Licht auf meine geliebte Death-Metal-Community werfen, aber es gibt da schon eine Menge engstirniger Leute.

 

Carolina Perez ist Schlagzeugerin und Mitgründerin der Death-Metal-Band Castrator. Im Jahr 2013 als internationales Bandprojekt mit Sitz in New York City gegründet, veröffentlichten Castrator 2015 ihre erste Vier-Song-EP namens »No Victim«; ein Titel, der die feministische Haltung der Band auf den Punkt bringt. Nun veröffentlicht das Quartett um Carolina Perez und Robin Mazen am 29. Juli bei Dark Descent Records sein erstes vollständiges Album »Defiled in Oblivion«. Zu hören gibt es kompromisslosen Death Metal der alten Schule: Dichte Songstrukturen und aggressive Gitarrenriffs werden grundiert von Doublebass- und Blastbeat-Schlagzeugsound. Der Gesang growlt und schreit sich wütend und vornehmlich tieftönend durch die Strophen des dichten, knapp 40 Minuten laufenden Albums. Das derzeitige Line-up besteht aus Robin Mazen (Bass), Carolina Perez (Schlagzeug), Kimberly Orellana (Gitarre) und Clarissa Badini (Gesang).