Die Aporien von Susan Arndts neuer Monographie »Rassismus begreifen«

Wenn der Antirassismus b. wird

Susan Arndt will mit ihrem neuen Buch in die Geschichte und Gegenwart des Rassismus einführen. Dabei liefert sie drollige Sprachspiele und antirassistische Läuterungsprosa und ignoriert die deutsche Nachkriegsgeschichte.

Zu den Glaubensgrundsätzen des deutschen Antirassismus gehört die Annahme, dass Rassismus ein Kontinuum sei – ein Herrschaftssystem, das »strukturell« wirke und stets einseitig von »Weißen« ausgehe. Kolonialismus, Sklavenhandel, Jim Crow, Nationalsozialismus, Apartheid und der Mord an George Floyd seien diverse Stationen auf ein und demselben Weg aus Hass und Ausbeutung, der sich durch die Geschichte ziehe, woran ausschließlich der »weiße« Rassismus schuld sei.

Susan Arndt zufolge hätten sich etwa die Japaner im Zweiten Weltkrieg zwar Chinesen und Koreanern überlegen gefühlt, als sie deren Länder überfielen, sich aber im Vergleich mit den Europäern weiterhin als »Unterrasse« verstanden – denn etwas anderes soll ebenjener »weiße« Rassismus nicht zugelassen haben. Das behauptet sie in ihrer neuen Monographie »Rassismus begreifen. Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen«.

Arndts neue Abhandlung mutet wie eine Mischung aus »kritischer Weißseinsforschung« und Fleißarbeit an – mit generöser Auslassung all dessen, was es an spezifisch Deutschem zu klären gäbe.

Doch allein damit unterläuft der an der Universität Bayreuth lehrenden Anglistin in ihrem Versuch, in Geschichte und Gegenwart des Rassismus einzuführen und zu beleuchten, wie dieser bekämpft werden könne, ein grober Schnitzer: Spätestens 1905 hatte Japans Sieg über Russland ein ganz anderes politisches Selbstbewusstsein befördert als das, eine »Unterrasse« zu sein. Schließlich handelte es sich um den ersten militärischen Sieg einer asiatischen über eine europäische Großmacht in der Moderne. Die imperialen Eroberungen in der Folge wurden mit einer Rassenideologie legitimiert, die 1943 in einem über 3 000 Seiten starken Wälzer des Ministeriums für Gesundheit und Wohlfahrt mit dem Titel »Eine Untersuchung einer globalen Politik mit der Yamato-Rasse als Kern« gipfelte.

Arndt geht von ähnlichen Überlegungen aus wie in ihrer vorherigen Abhandlung »Sexismus. Geschichte einer Unterdrückung«, die auf dem Gedanken basierte, alle Menschen seien repressiven »Strukturen« ausgesetzt und könnten nichts dagegen tun. Und abermals füllt sie unsystematisch die üblichen akademischen Trendwörter mit den üblichen akademischen Trendinhalten. Ihre neue Abhandlung ist eine Aneinanderreihung von Bekanntem und mutet wie eine Mischung aus »kritischer Weißseinsforschung« und Fleißarbeit an – mit generöser Auslassung all dessen, was es an spezifisch Deutschem zu klären gäbe. Stattdessen interessiert sich Arndt vor allem für rassistische »Schwerpunktsetzungen«, wie sie schreibt, und dafür, wie diese »intersektionell mit anderen Machtachsen« in Verbindung stünden. »Weiße« erzeugten »verschiedene Rassismen und entsprechend spezifische Geschichten, die zugleich komplexe hier­archische Beziehungsgefüge zwischen Weißen und den von ihnen jeweils als anders hergestellten Menschen und Gesellschaften prägten«.

Folglich gibt es bei ihr einen Abschnitt zur Systematik von »Mikrobeleidigungen«, »Mikroentwertungen« und »Mikroaggressionen«, aber keinen zu Michael Kühnen, zur DVU, zur Wiking-Jugend, zur NSDAP-Aufbauorganisation, zur Wehrsportgruppe Hoffmann, zu den Republikanern und zu weiteren relevanten historischen wie zeitgenössischen Manifestationen des Rassismus als Element des Rechtsextremismus vor und nach der Wiedervereinigung. Doch gerade eine Analyse solcher Gegenstände würde das Fortleben na­tionalsozialistischer Ideologie und ihrer Versatzstücke in der bundesdeutschen Gesellschaft erst greifbar machen. Arndt thematisiert hingegen Phänomene wie die AfD, über die wegen der ohnehin sehr großen medialen Beachtung keine analytischen Erkenntnisse mehr zu gewinnen sind.

Zudem ergeht sich die Autorin in drolligen Sprachspiele, darunter Abkürzungen, die wohl das antirassistische Bewusstsein schärfen sollen: »Adorno fragte 1949, ob es nicht b. sei, nach/über Auschwitz ein Gedicht zu schreiben.« In diesem Fall steht das b. für barbarisch – Arndt schreibt das Wort nicht aus, um dem »othering« keinen Vorschub zu leisten. Angesichts der postnazistischen Gewaltgeschichte mutet es allerdings eher »b.« an, auf Analysen politisch relevanter Faktoren und Figuren zu verzichten, dafür aber an das »N.-Wort« angelehnt noch ein »O.-Wort«, ein »Zi.-Wort« und ein »J.-Wort« einzuführen und Begriffe wie »heidnisch« und »Bananenrepublik« tiefergestellt und durchgestrichen abzudrucken, um die vermeintlich rassismuskritische Haltung in kindisch anmutender Weise zur Schau zu stellen.

Ganze zwei Sätze reichen Arndt, um in das Problem einzuführen: »So wie die Erde den Menschen ohne wissenschaftlich fundiertes Wissen eine Scheibe geblieben wäre, ist es letztlich ebenso möglich wie notwendig, Befunde darüber, ob etwas rassistisch ist oder nicht, wissend herzuleiten und wissenschaftlich zu unterfüttern. Aus meiner Herleitung ergibt sich, Rassismus auf die knappe Formel ›white supremacy‹, Vorherrschaft (und Privilegierung) von Weißsein, zu bringen.«

Nachweisfrei, aber ganz im Duktus des deutschen Antirassismus leitet Arndt »wissend« her, dass Rassismus einzig vom »Westen« ausgehend begreifbar sei, alle Übel also von den USA und Europa kämen. Zwar versucht sie, global zu argumentieren, allerdings finden Kolonialismus und Rassismus nichtwestlicher Länder wie China oder Russland, auf der arabischen Halbinsel oder in Mauretanien kaum mehr als beiläufige Erwähnung. Das zeigt sich am Abriss zur »Maafa«, einem politischen Neologismus aus dem Swahili, der »großes Unglück« bedeutet. Er bezeichnet die Gräuel, die Araber und Europäer auf dem afrikanischen Kontinent angerichtet haben, wobei Arndt den arabischen Anteil nahezu unerwähnt lässt.

Dass die Autorin den Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus übergeht, wenn sie Shoah und Maafa gleichsam als »rassistische Verbrechen« tituliert, ist nicht sonderlich erstaunlich für diesen Zweig des Antirassismus. Mit dem Begriff des Antisemitismus hat Arndt Probleme. Ihr zufolge verharmlost die Vorsilbe »Anti« Pogrome und die Shoah, während der eine Sprachfamilie bezeichnende Wortteil »semitisch« auf »Semit*innengegner*innenschaft« zurückgehen soll. Auch die Bezeichnung »Jude« ist Arndt zufolge problematisch, da »historisch belastet«, weswegen sie sie mit »Ju.« abkürzt oder von »jüdischen Menschen« schreibt. Diese gingen aber häufig als »Weiße« durch, zehrten von »weißen« Privilegien und seien ins »Weißsein« eingebunden. Trotz dieses »white-passing« von Juden zeigt sich Arndt aber gnädig: »Jedoch wäre es m. E. die falsche Schlussfolgerung, von weißen Jüd*innen zu sprechen. Denn jüdische Menschen sind nicht Teil der white supremacy.« Vielleicht wäre sonst auch zu schwer zu erklären, weshalb dieses »Weißsein« die europäischen Juden nicht vor der Shoah bewahrte.

Dem Israel-Palästina-Konflikt liegt Arndt zufolge der »von Weißen gebaute Rassismus« zugrunde, »zu dessen Wesenskern es eben gehört, rassistisch Diskriminierte innerhalb des eigenen Modells gegeneinander in Stellung zu bringen«. Nach diesem Muster hätten sich der »(›jüdische‹) antimuslimische Rassismus« und der arabische Antisemitismus entwickelt. Von der Vertreibung der Juden aus Chaibar und der Versklavung der Frauen und Kinder des jüdischen Stamms der Banu Quraiza zwecks Verkauf nach Hinrichtung aller Männer zu Zeiten des islamischen Expansionismus im 7. Jahrhundert oder dem von Andalusien ausgehenden Sklavenhandel mit Europa ist an dieser Stelle keine Rede. Vielmehr sei das Konzept »Rasse« erst zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert entstanden, um die christliche Bevölkerung Europas von Juden, Muslimen, Ketzern sowie »Heiden« (auch »H.«) zu unterscheiden, schreibt Arndt. Demnach habe Antisemitismus vorher nicht existiert.

Auf den Punkt kommt Arndt erst mit ihrem zweiten Begründungsversuch des Konflikts: Obwohl die Palästinenser nicht die Shoah begangen hätten, habe der kolonialistische Westen ihnen als zusätzliches Drangsal die Juden aufgebürdet, ihnen selbst jedoch eine eigene Staatsgründung verwehrt, auch weil eine »nichtarabische Bastion in der Mena-Region ­kolonialistisch codierten ›westlichen‹ Machtinteressen dienlich« sei. Im Klartext: Israel übernehme die Funktion einer westlichen Kolonialmacht.

Folgerichtig räumt Arndt der Debatte über den postkolonialen Jargonisten Achille Mbembe, dem Israel als Apartheidstaat gilt, der die Palästinenser schrittweise einer »Nekropolitik« opfern wolle, mehr Seiten ein als dem Nationalsozialismus und der deutschen Nachkriegsgeschichte, während der Rechtsextreme Hunderte Menschen ermordeten, noch weitaus mehr schwer verletzten und viele Leben zerstörten. Auch das Wort »Ausländergesetz«, jahrzehntelang juristischer Ausdruck der abgewehrten Einsicht, dass die Bundesrepublik eine Einwanderungsgesellschaft ist, fällt im Buch kein einziges Mal. Wie bescheiden die darin vermittelten Erkenntnisse sind, zeigt sich etwa daran, dass Arndt die in neonazistischen Kreisen verwendete Zahlenkombination »88« (HH, für Heil Hitler) eine »entfremdete Metapher« im Dienste einer rassistischen »Vernebelungstaktik« nennt, obwohl völlig offenkundig ist, was sie bedeutet. Hinzu kommen Fehler. So heißt es etwa, dass sich May Ayim »kurz nach der Wiedervereinigung« das Leben genommen habe, obwohl die Dichterin 1996 Suizid verübte.

Das Geheimnis dieses irrlichternden Buches mitsamt seiner spektakulären Ausweichmanöver vor allem spezifisch Deutschen lüftet Arndt am Buchende, in der Danksagung. »Viel zu zaudernd wagte ich mich an das Eingeständnis heran, dass ich als weiße Person rassistisch sozialisiert wurde und bleibe. Nicht nur deswegen steht dieses Buch auf den Schultern all jener, die (meinem) Rassismus widersprachen, als ich selbst noch nicht verstanden hatte, dass ich Teil des Rassismus bin«, schreibt die Anglistin im bekannten Tonfall antirassistischer Läuterung vor der eigenen Gemeinde. »Dafür gilt insbesondere mein Dank Peggy Piesche, der ich dieses Buch widme, Katja Kinder, Maisha Auma, Noah Sow und Dilan Zoe Smida, die mit mir Wissen und Visionen teilten, ohne welche ich dieses Buch nie hätte schreiben können.« Mit anderen Worten: Arndts Überlegungen resultieren nicht aus Analyse, sondern sind so verfasst worden, dass sie den Genannten politisch gefallen.

Besonders befremdlich ist dabei Arndts Annahme, sie sei als »weiße Person rassistisch sozialisiert« worden und »bleibe« dies auch. Solch akademisch veredelte Mischung aus Projektion, Wehleidigkeit und Selbsttherapie gehört mittlerweile zum Standard der hiesigen Rassismusforschung – Stichwort critical whiteness, die auf Methode, Empirie und Objektivität gern verzichtet, weswegen sie den Zusatz »-forschung« eigentlich weglassen sollte. Die Zeiten, in denen zumindest manche Universitäten Orte waren, an denen simple Weltbilder hinterfragt wurden, deren wichtigste Wörter »nur«, »immer« und »alle« lauten, gehören offenbar der Vergangenheit an. Gleiches gilt für den Anspruch, durch neue Erkenntnisse Abhilfe zu schaffen. Stattdessen fällen deutsche Akademikerinnen ohne Rassismuserfahrung und mit enormem Desinteresse an hiesiger Geschichte nach 1945 groteske Pauschalurteile über »Weiße«: Sie »alle«, seien doch »immer« rassistisch sozialisiert, weswegen Rassismus auch »nur« ein vom Westen ausgehendes Phänomen sein könne. Die Wirklichkeit überführt diese Ideologie der Lüge. Nach den Hochschulen und dem Kulturbetrieb scheint das mittlerweile auch so manchem wissenschaftlichen Verlag zu entgehen.

Susan Arndt: Rassismus begreifen. Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen. Verlag C. H. Beck, München 2021, 478 Seiten, 24 Euro