21.04.2021
Das Buch »Antisemitismus in Fußball-Fankulturen. Der Fall RB Leipzig« von Pavel Brunssen

Lustvoll besetzter Antisemitismus

Pavel Brunssen hat ein Buch über die Ressentiments gegen den Fußballverein RB Leipzig geschrieben, die antisemitisches Gebaren ermöglichen, ohne von Juden reden zu müssen.

Anfang Februar gab der Hallesche FC bekannt, den Nachwuchstorhüter Tim Schreiber von Erstligist RB Leipzig ausgeliehen zu haben. »Keine Akzeptanz! Keine Zusammenarbeit! Kein Fußball mit RB!« hieß es daraufhin auf einem Banner, das Hallenser Fans am Stadion des Drittligisten anbrachten.

»Die Fußballtradition wird in Leipzig zerstört« und »Keine Testspiele gegen RB!« schrieben Chemnitzer Ultras auf Spruchbänder, als ihre Mann­schaft Ende Februar gegen ein Team aus der Jugendabteilung des Leipziger Vereins antrat. Die Ultragruppe »Horda Azzuro Ultras« aus Jena forderte nach einem Testspiel des örtlichen FC Carl Zeiss gegen den Leipziger Bundesligisten im März in einer Stellungnahme den »Verzicht auf jede Form der Kooperation mit Redbull«.

Antisemitisch geprägtes Denken und Fühlen ist im Fußball auch dort zu beobachten, wo seit vielen Jahren erfolgreiche Antidiskriminierungsarbeit geleistet wird.

Der Germanist und Antisemitismusforscher Pavel Brunssen hat jüngst ein Buch veröffentlicht, dass die Gründe analysiert, warum viele Fußballfans den Verein RB Leipzig derart vehement ablehnen. Unter dem Titel »Antisemitismus in Fußball-Fankulturen. Der Fall RB Leipzig« analysiert Brunssen Vorfälle wie die aus Halle, Chemnitz und Jena. Er deutet sie als Ausdruck einer spezifischen Feindseligkeit, die über die übliche Verachtung gegnerischer Fußballvereine und Fans weit hinausreiche und sich auch artikuliere, wenn Spiele aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ausgesetzt sind.

Der RB Leipzig e. V. wurde 2009 auf Bestreben der Red Bull GmbH gegründet und steht seither faktisch unter der Kontrolle des österreichischen Energydrink-Herstellers; dass der neugegründete Verein nicht ganz unten anfangen musste, verdank­te er der Tatsache, dass er die Spiel­lizenz des bis dato fünftklassigen SSV Markranstädt, einer Kleinstadt in der Peripherie Leipzigs, übernahm. Anders als bei den ebenfalls zum Konzern gehörenden Fußballvereinen in Salzburg, New York und im brasilianischen Bragantino steht wegen entsprechender Regularien des Deutschen Fußballbunds die Abkürzung »RB« nicht für den Sponsornamen, sondern offiziell für »Rasenballsport«. Das Engagement von Red Bull im Fußball wird vor allem in Österreich und Deutschland seit jeher von starken Protesten der jeweiligen Fanszenen konkurrierender Vereine – und auch darüber hinaus – begleitet. Für viele Anhängerinnen und Anhänger gilt das Aufkommen der Red-Bull-Vereine als endgültiger Todesstoß für den Fußballsport vermeintlich traditioneller Art. Der sportliche Erfolg insbesondere RB Leipzigs steht dabei symbolisch für den Siegeszug des durchkapitalisierten Fußballgeschäfts.

Die Feindseligkeit der Fußballfans gegen RB Leipzig ist in der Vergangenheit des Öfteren als »strukturell antisemitisch« bezeichnet worden. Demnach greife die von Fans formulierte Kritik dieselben Motive auf, derer sich auch der Antisemitismus bediene. Brunssen hingegen bevorzugt in seiner Argumentation den Begriff der »antisemitischen Ressentimentkommunikation«. Dem Autor zufolge sei es damit nicht nur möglich, diejenigen Personen zu betrachten, die sich des Ressentiments bedienen; vielmehr könne die Aufmerksamkeit leichter von den Personen weg und auf die konkrete Äußerung gelenkt werden, die das Ressentiment transportiert. Brunssen verweigert sich damit der simplifizierenden Annahme, dass derjenige, der sich gegen Antisemitismus positioniert, keine antisemitischen Äußerungen tätigen könne. Vielmehr sei antisemitisch geprägtes Denken und Fühlen auch dort zu beobachten, wo seit vielen Jahren erfolgreiche Antidiskriminierungsarbeit geleistet wird – so auch in vielen Ultra-Gruppen wie etwa derjenigen aus Jena. Die Konfrontation mit RB Leipzig sei eine »Gelegenheitsstruktur«, in der sich dem antisemitischen Gebaren hingegeben werden könne, ohne sich jemals feindlich gegenüber Juden äußern zu müssen.

Die Ablehnung jeglicher Kooperation mit RB Leipzig steht nach Brunssen symptomatisch für ein Merkmal der antisemitischen Ressentimentkommunikation gegen den Verein. RB Leipzig werde ungeachtet seiner Zugehörigkeit zur Welt des Fußballs »ideologisch außerhalb dieser verortet«. In der Imagination, der Verein zersetze die althergebrachte Ordnung, breche sich ein antisemitisches Ressentiment Bahn, das schamlos ausgesprochen und lustvoll besetzt werden könne. Die Angriffe gegen RB Leipzig gehen entsprechend über die unter Fans üblichen Gepflogenheiten hinaus: Brunssen berichtet von gewalttätigen Attacken Dortmunder Ultras auf gewöhnliche Fans, die nur deshalb möglich seien, weil Anhängerinnen und Anhänger von RB nicht als gleichwertige Kontrahenten, sondern als außenstehende Dritte angesehen würden. Bereits eine Ausleihe eines Spielers von RB oder die Austragung eines Testspiels kommt für die Fans einer unerträglichen Integration des ultimativen Feindes gleich.

Auch andere fankulturelle Bezüge eignen sich dem Autor zufolge sehr gut zur Artikulation antisemitischer Ressentiments. Der Verein werde als immense Gefahr dargestellt, allgemein stehe er für den Untergang des Fußballs. Die durch Red Bull dominierte Vereinsstruktur evoziere das Bild einer international agierenden Macht, der zugeschrieben wird, die Geschicke des Vereins anonym und hinter den Kulissen zu steuern. Dass dem Verein eine weit zurückreichende Geschichte fehle begünstige die Artikulation antimoderner Abneigungen; es werde RB vorgeworfen, künstlich, wurzel- und traditionslos zu sein. Außerdem sei es kein Zufall, dass sich die Kritik an und die Hasssprache über RB Leipzig beständig der dem klassischen Antisemitismus entstammenden Metaphern bediene. Der Verein werde etwa als »Seuche«, »Krankheit« oder in Anlehnung an das Vereinsakronym als »Rattenball« bezeichnet.

Brunssen gelingt es, anhand zahlreicher Beispiele und fachkundiger Einblicke in die Welt der Fanszenen das antisemitische Grundrauschen der »selbst zur Tradition« gewordenen Kontroverse um RB Leipzig überzeugend zu illustrieren. Seine Argumentation ist schlüssig, nachvollziehbar und weist über den konkreten Verein und den Fußballsport hinaus. Zu den Stärken des Buchs zählt dabei nicht zuletzt der kritische Blick auf RB Leipzig selbst. Denn auch die Leipziger Fans seien nicht gefeit vor den Tücken der »Ressen­timentkommunikation«, zumal ihr Verein sich mitunter wenig Mühe gibt, die wiederholt vorgebrachte Kritik zu entkräften. Noch immer sind lediglich 21 Vereinsmitglieder stimmberechtigt, Mitbestimmung von Mitgliedern, die nicht potente Unterstützer oder Mitarbeiter sind, scheint offenbar unerwünscht. Politische Meinungsäußerungen im Stadion wurden mehrfach behindert und untersagt. Der Miteigentümer von Red Bull, der österreichische Multimilliardär Dietrich Mateschitz, hatte sich zudem in der Vergangenheit rechtspopulistisch geäußert, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete.

Dass Brunssen auch hier nicht in einen anklagenden Ton verfällt, sondern stets analytisch argumentiert, macht sein Buch zu einem Gewinn für die deutschsprachige Fußballkultur- und Antisemitismus­forschung.

Pavel Brunssen: Antisemitismus in Fußball-Fankulturen. Der Fall RB Leipzig. Mit einem Vorwort von Andrei S. Markovits. Beltz Juventa, Weinheim 2021, 180 Seiten, 29,95 Euro