Berichte von Anwältinnen, die Fußballfans verteidigen

Fußballs Anwältinnen

Wie ist das eigentlich so, Fußballfans als Mandanten zu haben? Nachfragen bei drei Anwältinnen.

Fußballfans sind Angela Furmaniaks Lieblingsmandanten. »Sie sind offen, zuverlässig und stehen zu ihren Werten«, erzählt die Anwältin der Jungle World. Natürlich freuen sie sich trotzdem, wenn sie nicht verurteilt werden. »Man kann gut mit ihnen arbeiten und sie sind dankbar, wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Anwälte sich ernsthaft für sie engagieren.«

Die Anwältin aus Lörrach nahe der Schweizer Grenze kümmert sich im Fußballbereich vor allem um Ultras. »Ultras verstehen sich in aller Regel als unpolitisch, wobei die meisten rechte Tendenzen klar ablehnen. Viele von ihnen sind sozial engagiert.« Mit Hooligans als Mandanten hat sie wenig zu tun: »Bei Hoo­ligans gibt es zu viele Bezüge in die rechte Szene.« Und es gebe noch ­einen großen Unterschied, sagt Furmaniak: »Ultras sind echte Fußballfans, die ihren Verein lieben. Bei Hooligans sind der Sport und der Verein oft nur ein Anlass, um sich mit anderen zu treffen und zu prügeln.«

Etwa 99 Prozent aller Anzeigen im Fußballbereich würden durch Polizeibeamte erstattet und dann vor Gericht landen, sagt Anwältin Ann-Katrin Kunz: »Einen Polizisten zu duzen, gilt bereits als Beleidi­gung. Dass die Beamten die Fans fast durchgehend duzen, interessiert wiederum niemanden.«

Aber auch Ultras kommen mit dem Gesetz in Konflikt und brauchen dann juristischen Beistand. »Das immer wieder vorkommende ›Abziehen‹ von Schals anderer Vereine ist rechtlich ein Raub«, erklärt Furma­niak. »Werden Pyros gezündet, steht ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz im Raum.« Häufig würden sogar Ermittlungen wegen des Verdachts der (versuchten) gefährlichen Körperverletzung eingeleitet werden. Da Pyrotechnik aber insbesondere von Ultras als wichtiges Stilmittel der Fankultur angesehen werde, sei »es dringend notwendig, endlich einen legalen Rahmen dafür zu schaffen«.

Furmaniak versucht zu vermitteln. »Geht es um gestohlene Schals, kommt es meist darauf an, die Strafe zu senken. Ein Weg dazu kann die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs sein.« Ihre Mandanten müssten dann den Geschädigten um Entschuldigung bitten und hätten auch schon mit Geschenken Reue gezeigt: »Einmal gab es ein Playstation-Spiel für den Geschädigten«, erinnert sie sich.

Vor sogenannten Risikospielen gibt es Aufenthaltsverbote

Immer häufiger würde die Polizei aber nicht mehr auf Strafverfolgung, sondern auf Prävention setzen. Vor sogenannten Risikospielen gebe es dann beispielsweise Maßnahmen wie Aufenthaltsverbote. Fans dürfen dann nicht zu Auswärtsspielen mitreisen oder anlässlich von Heimspielen den Stadtteil nicht betreten, in dem das Stadion liegt.

Auch der DFB und die Vereine gehen gegen Fans vor, und das vor allem zivilrechtlich. Bekannt sind hierbei Stadionverbote. Darauf beschränkt es sich allerdings nicht. »Wenn ein Verein wegen des Verhaltens der Fans eine Verbandsstrafe auferlegt bekommt, ist er vom DFB gehalten, sich das Geld von den Tätern zu holen.«

Es gebe im Bundesligaalltag kein Sicherheitsproblem im Fußball, findet die Anwältin Angela Furmaniak. »Ich würde mir von den Verantwort­lichen mehr Augenmaß und Zurückhaltung wünschen.«

Viel Aufwand für wenig Strafgeschehen, denn Furmaniaks Ansicht nach sind die Stadien sicher: »In der Saison 2022/23 gingen über 13 Millionen Menschen zu Bundesligaspielen. Natürlich kommt es dabei auch zu Straftaten, das lässt sich nie ganz verhindern.« Aber gemessen an der Vielzahl der Menschen, die sich dort auf ­engem Raum bei Ereignissen, die sie emotional stark berühren, treffen, passiere sehr wenig. Es gebe im Bundesligaalltag kein Sicherheitsproblem im Fußball, findet Furmaniak. »Ich würde mir von den Verantwort­lichen mehr Augenmaß und Zurückhaltung wünschen.« Politiker und Behörden würden sich zu sehr auf das angeb­liche Sicherheitsproblem ­fixieren.

Was Michael Mertens, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), in der vergangenen Woche dem Kölner Stadtanzeiger sagte, passt da ins Bild. Mertens sieht großen Nachholbedarf bei den Sicherheitsvorkehrungen der Vereine in der Fußball-Bundesliga. Die nähmen zu viel Rücksicht auf die Ultras. Die Einlasskontrollen seien so lax, dass man beinahe alles ins Stadion hineinschmuggeln könne.

Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Europameisterschaft im Sommer sieht der Polizeigewerkschafter als Vorbild für die Bundesliga. Strenge Stadion- und Einlasskontrollen sowie personalisierte Tickets würden dafür sorgen, »dass in den Zuschauerrängen weniger Pyrotechnik gezündet wird oder Krawall in den Fan­blöcken eskaliert. Es wird also friedlicher in den Stadien zugehen. Sollte meine Prognose am Ende der EM sich bewahrheiten, müssen sich allerdings die Bundesligaclubs fragen, warum sie diesen hohen Schutzfaktor in ihren Arenen nicht gewährleisten können.«

Im Stadion »kann sich die Polizei technisch und taktisch austoben«

Die Dresdner Rechtsanwältin Linda Röttig ist Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen, die sich für die Durchsetzung der Interessen von Fußballfans und die Wahrung ihrer Rechte einsetzt. Sie befürchtet, dass die Europameisterschaft für die Fans keine Neuauflage des sogenannten Sommermärchens wird. »Jetzt werden schon Menschen auf der Straße angesprochen, sie sollten besser aufpassen und keine Straf­taten begehen«, teilt sie der Jungle World mit. Damit würden sie kriminalisiert, bevor überhaupt etwas passiert sei. Zudem würden in den Sta­dien neue Mittel wie der Einsatz von Drohnen ausprobiert werden. »Dort kann sich die Polizei technisch und taktisch austoben.«

Dass das Mittel des Stadionverbots immer häufiger eingesetzt wird, kann die Juristin nicht nachvollziehen. »Viele, die ein Stadionverbot ­erhalten haben, fahren trotzdem mit zu den Spielen; sie gehen nur nicht ins Stadion, sondern halten sich außerhalb auf. Die ganzen Stadien sind so gut überwacht, besser kann man die Fans nicht beobachten. Wenn sie in den Städten unterwegs sind, hat man sie nicht im Blick.«

Zweifelhaft findet sie, dass die Vereine sich immer öfter anmaßen, Strafen zu verhängen, bevor Gerichtsurteile gefällt worden sind. »Stadionverbote sollen präventiv sein; aber wenn man ehrlich ist, sind sie eine Sanktion.« Die Vereine seien nicht in der ­Position, Verfahren zu überblicken. Das sei Aufgabe der Gerichte. Aber bis diese ein Urteil fällen, könnten bis zu fünf Jahre vergehen.

Ann-Katrin Kunz ist Strafverteidigerin in Gelsenkirchen und gehörte lange zur aktiven Szene der Schalke-Fans. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass die Diskriminierung von Fußballfans schon lange vor dem Spiel beginnt. Der Jungle World berichtet sie: »Die Fans werden gezwungen, sich nur auf bestimmten Routen in Begleitung der Polizei zum Stadion zu begeben. Dabei sind sie die meiste Zeit gekesselt. Wer keine Lust hat, mit einer großen Gruppe unterwegs zu sein, hat kaum eine Chance, sich hieraus zu lösen.«

»Einen Polizisten zu duzen, gilt bereits als Beleidigung. Dass die Beamten die die Fans fast durchgehend duzen, interessiert wiederum niemanden.« Ann-Katrin Kunz, Rechtsanwältin aus Gelsenkirchen

Schlechte Chancen haben die Fans auch vor Gericht. Und dort finden sie sich häufig wieder, selbst wenn lediglich kleinere Vergehen vorliegen. »Kommt es zu Beleidigungen oder vielleicht einer leichten Körperverletzung, werden solche Dinge zum Beispiel auf Volksfesten schnell persönlich geregelt. Wenn nicht, werden diese Verfahren von den Staatsanwaltschaften und Gerichten häufig eingestellt.« Im Stadion sei das anders. Etwa 99 Prozent aller Anzeigen würden von Polizeibeamten erstattet und dann vor Gericht landen.

»Einen Polizisten zu duzen, gilt bereits als Beleidigung. Dass die Beamten die die Fans fast durchgehend duzen, interessiert wiederum niemanden.« Wenn auf Akten der Stempel »Fußball« sei, gebe es fast nie Verfahrenseinstellungen. Vor ­Gericht stehe man dann einer Gruppe Polizeibeamter gegenüber. Im ­Gegensatz zu anderen Zeugen hätten sie die Möglichkeit, kurz vor der ­Verhandlung nochmals Vorgang und Polizeiberichte zu lesen und sich ­darüber untereinander auszutauschen.

Kunz ist der Ansicht, dass die Fixierung auf Gewalt beim Fußball im Vergleich zu der bei anderen Ereignissen übertrieben ist: »Es passiert wirklich wenig für diese große Anzahl an Stadionbesuchern. Die meisten kommen friedlich zusammen und gehen auch wieder friedlich auseinander, trotzdem wird das Thema ›Gewalt‹ beim Fußball medial und politisch künstlich aufgebauscht.«