Der neue Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz ist noch schlimmer als der alte

»Blind und sprachlos«

Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse.
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»Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung, so wie Zitronenfalter Zitronen falten.« So lautet ein weiser Spruch über die Funktion des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Wenn man sich ansieht, was derzeit wieder in der Leitung des sächsischen Verfassungsschutzes (VS) los ist, wird deutlich, dass jeder Zitronenfalter besser für diese Aufgabe geeignet wäre. Dort wurde zum Monatsbeginn Gordian Meyer-Plath als Präsident abgesetzt. Er soll sich nun im Staatsministerium um Kultur und Tourismus kümmern. Meyer-Plath war fast acht Jahre Leiter der Behörde, im August 2012 hatte er das Amt von Reinhard Boos übernommen. Auch dieser war damals nicht freiwillig gegangen. Er musste zurücktreten, nachdem herausgekommen war, dass in seiner Behörde sieben Monate lang wichtige Überwachungsprotokolle zum NSU-Komplex in einem Safe »vergessen« worden waren, die als verloren beziehungsweise bereits geschreddert galten.

Boos’ Nachfolger hatte sich für den Posten dadurch qualifiziert, dass er in den neunziger Jahren als V-Mann-Führer des brandenburgischen Verfassungsschutzes den Neonazi Carsten Szczepanski alias »Piatto« betreut hatte, eine zentrale Figur im NSU-Komplex. Man duzte sich, Meyer-Plath fuhr den wegen Mordversuchs Vorbestraften während seiner Freigänge zu Treffen mit anderen Nazis und half ihm bei der Besorgung von Handys ebenso wie bei der Fanzine-Herstellung im Knast. Daran störte sich niemand – bis vor einem Jahr herauskam, dass Meyer-Plath im Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss zumindest bezüglich der letztgenannten ­Tätigkeit gelogen hatte. Zudem hatte der sächsische VS in seinem Jahresbericht 2018 statt Pegida lieber das antifaschistische Konzert unter dem Motto »Wir sind mehr« erwähnt, das nach den rassistischen Angriffen in Chemnitz stattgefunden hatte. Dies hatte Meyer-Plath zusätzliche Kritik eingebracht, und so schwand sein Rückhalt immer mehr. Im Juli musste er schließlich gehen.

Kurz nach der Bekanntgabe seines Nachfolgers veröffentlichte die Sächsische Zeitung einen Bericht, der die Geschichte in ganz anderem Licht erscheinen lässt: Meyer-Plath hatte sich demnach Anweisungen aus dem sächsischen Innenministerium widersetzt, Informationen über AfD-Abgeordnete und deren verfassungsfeindliche Tendenzen zu löschen. »Ausgebremst«, titelte Der Spiegel. Der Löschauftrag kam von der für den VS zuständigen Fachaufsicht, namentlich von Referatsleiter Dirk-Martin Christian – der nun als sächsischer VS-Präsident nachgerückt ist. Offenbar hatte es monatelang einen heftigen schriftlichen Schlagabtausch zwischen den beiden über die Frage des Umgangs mit der AfD gegeben, die in Sachsen einen ihrer stärksten und zugleich am weitesten rechts stehenden Landesverbände hat.

Auf einmal erschien also Meyer-Plath als geschasster Kämpfer gegen den Rechtsextremismus – obwohl ein kurzer Blick auf seine Tätigkeit ebenso wie auf die sächsischen Verhältnisse reicht, um zu sehen, wie wenig da dran ist. Sein Nachfolger wiederum, und ebenso ihrer beider Vorgesetzter, Innenminister Roland Wöller (CDU), gerieten in Erklärungsnot. Christian berief sich auf den besonde­ren Schutz von Abgeordneten, die Datenspeicherung sei nicht hin­reichend begründet gewesen. Völkische Meinungsäußerungen zum Beispiel, findet der neue Geheimdienstpräsident, seien nicht per se verfassungsfeindlich, sondern nur, wenn auch wirklich eine dementsprechende Gesellschaftsordnung angestrebt werde. Die bloße Zugehörigkeit zum faschistischen »Flügel« sei dafür ebenfalls kein Beleg.

Damit stellt sich Christian gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, das den »Flügel« seit März als rechtsextrem einstuft und überwacht (siehe Seite 9) – und auf die Seite der AfD Sachsen, die nach eigenen Angaben zu 70 Prozent aus Anhängern des »Flügels« besteht. Das Löschen der über Tausend Dokumente zur AfD würde das Amt »nicht nur blind, sondern auch sprachlos machen«, schrieb der alte VS-Präsident Meyer-Plath an den damaligen Referatsleiter Christian: »Der Freistaat Sachsen würde öffentlich wahrnehmbar in einem der dynamischsten Felder des modernen Rechtsextremismus, der auch als Nährboden für gewaltbereite Rechts­extremisten von Bedeutung ist, seine Arbeit einstellen.«

Innenminister Wöller ging in einer Pressekonferenz zum Gegenangriff über: Meyer-Plath habe »widerrechtlich Daten über frei ­gewählte Abgeordnete gespeichert«, daher habe man »korrigierend eingreifen« müssen, um die Behörde wieder »auf den Boden des geltenden Rechts« zu holen. Die sächsische Abgeordnete Kerstin Köditz (Linkspartei) fasste den Disput zusammen: »Demnach war das Landesamt für Verfassungsschutz zu dämlich, gegenüber dem Innenministerium zu begründen, weshalb es Daten von AfD-Abgeordneten speichern muss.« Wem diese ganze Farce nicht bereits genug Beleg für die Sinnlosigkeit dieser Behörde ist: Es geht in dem Streit ausschließlich um »öffentlich zugängliches Datenmaterial«, etwa Beiträge in sozialen Medien, das vom Verfassungsschutz bloß gesammelt und ausgewertet wurde.

Wegen der öffentlichen Kritik will der neue VS-Präsident seine eigene Löschanweisung vorerst doch nicht befolgen, die Daten sollen zunächst überprüft werden. Vielleicht findet sich zwischen all den rassistischen und völkischen Tiraden ja doch noch ein konkreter Umsturzplan, der eine Beobachtung rechtfertigt. Eine erste bahnbrechende Erkenntnis teilte der neue VS-Präsident Anfang dieser Woche dem MDR mit: Rechtsextremisten versuchten, »in Ostdeutschland Fuß zu fassen«. Jene Stimmen aus dem Umfeld des VS, die die Sächsische Zeitung zitiert, scheinen recht zu haben: »Wenn Christian kommt, wirft uns das um Jahre zurück.« Und zwar in eine Zeit, in der es in Sachsen zwar Zitronenfalter, aber keine Nazis gab.