Die AfD versucht, einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen

Die Gedankenpolizei im Parteivorstand

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In Thüringen hatte der Präsident des dortigen Verfassungsschutzes den AfD-Landesverband bereits im September zum Prüffall erklärt, eine Vorstufe zur regulären Überwachung. Der bayerische Verfassungsschutz beobachtet zurzeit drei Landtagsabgeordnete der Partei. Auch einzelne Mitglieder der AfD in Niedersachsen werden überwacht. Anfang November löste der Bundesverband der »Jungen Alternative« den niedersächsischen Landes­verband auf, nachdem der Verfassungsschutz in dem Bundesland begonnen hatte, diesen zu beobachten. Er prüft derzeit auch den weiteren Umgang mit dem Bremer Landesverband der Par­teijugend, der ebensfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch die »Patriotische Plattform«, ein Verein des völkischen Parteiflügels, wurde präventiv tätig und kündigte die Selbstauflösung an.

Die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz«, der neben Meuthen vier weitere Parteimitglieder angehören, soll sich »auf jedem rechtlichen Wege gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Wehr setzen« sowie »mögliche Anhaltspunkte für eine mögliche Verfassungsschutzbeobachtung, dort, wo sie sich tatsächlich zeigen«, abstellen. Zu diesem Zweck beauftragte die Arbeitsgruppe ein Gut­achten bei dem emeritierten Freiburger Staatsrechtler Dieter Murswiek. Eine Zusammenfassung dieses Gutachtens, die der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Roland Hartwig erstellt hat, gibt 39 Handlungsempfehlungen »zur Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz«. Hartwig, der die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« ­leitet, gibt dort etwa die Empfehlung wieder, auf Begriffe wie »Umvolkung«, »Überfremdung«, »Volkstod« und »Umerziehung« zu verzichten. Auch wird empfohlen, nicht »mit Organi­sationen, die in den Verfassungsschutzberichten als extremistisch« bezeichnet werden, zusammenzuarbeiten oder Kontakte zu solchen Organisationen zu pflegen.

Hartwig kündigte zudem an, seine Partei werde sich auch auf dem Rechtsweg zur Wehr setzen. Die AfD wolle den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte feststellen lassen, ob eine öffentliche Ankündigung der Behörden, die AfD zu beobachten, nach europäischem Recht zulässig wäre oder ob dadurch ein unzulässiger Nachteil für die AfD im Wettbewerb der Parteien entstünde.

Sollte die Partei vom Verfassungsschutz überwacht werden, könnten ihr staatliche Gelder gestrichen werden. Zudem wäre eine Abwanderung von Beamten aus der Partei sowie der Verlust von Wählerstimmen wahrscheinlich. Während die Führung versucht, einer Beobachtung zu entgehen, sorgen sich andere um das Profil der Partei. So wettert nicht nur Höcke gegen die »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz«. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des Magazins Compact, warnte etwa davor, die Partei begehe »Selbstmord aus Angst vor dem Tod«. Mehr als 1 000 Mitglieder der AfD, darunter Dutzende Mandatsträger, unterzeichneten in kürzester Zeit den »Stuttgarter Aufruf«. Dieser bemängelt, dass »wieder zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren« eingeleitet worden oder in Vorbereitung seien. Zudem widersetze man sich »allen Denk- und Sprechverboten«. Eine der Initiatorinnen des Aufrufs, die baden-württembergische Landtags­abgeordnete Christina Baum, warf der Parteiführung »vorauseilenden Gehorsam« vor. Ihr Fraktionskollege Emil Sänze sprach in diesem Zusammenhang von »Gesinnungsprüfungen«. André Poggenburg, der frühere Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, monierte, eine übersteigerte »Distanzeritis« könne eine Überwachung durch den Verfassungsschutz ohnehin nicht abwenden. In den sozialen Netzwerken beschimpfen AfD-Mitglieder und Sympathisanten die Arbeitsgruppe als »Gedankenpolizei« und »neue Stasi«. Solche Vorwürfe aus der AfD sind keine Seltenheit – üblicherweise richten sie sich jedoch nicht gegen die eigene Führung, sondern gegen Behörden oder Organisationen, die gegen Rassismus und Antisemitismus arbeiten.