Wegen der Affäre um Hans-Georg Maaßen befindet sich die Bundesregierung erneut in einer Krise

Der Regierungsgegner vom Verfassungsschutz

Hans-Georg Maaßen hat der Regierungskoalition eine weitere Krise beschert. Seine Einmischung in die Tagespolitik ist nicht das einzige Problem.

»Die Lage ist sensibel, der Vorgang ist sensibel und deshalb muss man auch umsichtig damit umgehen.« Wenn selbst der sonst wenig zimperliche Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Zurückhaltung anmahnt, muss es ernst sein. Und tatsächlich hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, mit seinen Äußerungen über Angriffe auf Migranten in Chemnitz eine Regierungskrise ausgelöst. In Bild äußerte er am 7. September Zweifel daran, dass es während der Demonstrationen in Chemnitz zu Hetzjagden gekommen sei. Zuvor hatte die Bundesregierung die Vorkommnisse verurteilt. »Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder den Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin«, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt. Über ein vom Twitter-Account »Antifa Zeckenbiss« verbreitetes Video, das eine Jagdszene zeigt, sagte Maaßen: »Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.« Zu dieser Beurteilung war der Präsident des BfV gekommen, noch bevor sich Mitarbeiter seiner Behörde überhaupt mit der Frage der Authentizität des Videos beschäftigt hatten. Erkenntnisse zu dem 19sekündigen Film stellte das BfV erst nach Maaßens öffentlicher Einschätzung zusammen.

Ungeachtet aller Fehltritte beantragte Maaßen am Sonntag eine Rekordsumme an Haus­halts­mitteln für den Bundes­ver­fassungs­schutz: fast 421 Millionen Euro für das Jahr 2019.

Führende Politiker der SPD, der FDP, der Grünen und von »Die Linke« forderten daher seinen Rücktritt, auch aus der CDU gab es Vorwürfe. Auch dass Maaßen den gewaltsamen Tod von Daniel H. in Chemnitz als »Mord« bezeichnet hatte, wurde heftig kritisiert. Das Amtsgericht Chemnitz hatte zuvor einen Haftbefehl gegen einen Syrer und einen Iraker nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags erlassen. Es hob nach einem Haftprüfungstermin am Dienstag allerdings den Haftbefehl gegen einen 22jährigen Beschuldigten wieder auf. Der SPD-Politikerin Eva Högl zufolge sagte Maaßen während einer Befragung im Innenausschuss des Bundestags, er habe bewusst von Mord gesprochen, weil in der Bevölkerung der Verdacht bestehe, Straftaten würden heruntergespielt. Beweise dafür, dass es sich bei der behördlichen Bewertung der Tat als Totschlag um eine gezielte Falschinformation handelte, lieferte der oberste Verfassungsschützer nicht.

Bundesinnenminister Seehofer unterstützte als Dienstherr weiterhin den Verfassungsschutzpräsidenten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte einem Bericht der Welt zufolge die Auffassung, dass Maaßen sein Amt aufgeben müsse. Zuvor hatte sie im Bundestag die Diskussion über den Begriff der Hetzjagd als nicht hilfreich bezeichnet und sich damit bereits indirekt gegen Maaßen positioniert. In einem Krisengespräch einigten sich Seehofer, Merkel und die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles am Dienstag auf eine Versetzung Maaßens auf den Posten eines Staatssekretärs im Innenministerium, wo dieser künftig 2 500 Euro mehr verdienen wird als bisher.

In der ohnehin grotesken Debatte über die zulässige Verwendung des Begriffs »Hetzjagd« tat sich Werner Patzelt, ein Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, besonders hervor. Er veröffentlichte mit anderen eine Petition mit dem Titel: »Frau Bundeskanzlerin, bitte belegen Sie Ihre Behauptungen!« Darin wird Merkel aufgefordert, zu beweisen, dass eine »Hetzjagd« stattgefunden habe, und entsprechendes Videomaterial vorzulegen. In einem Schaubild zur Petition ist von einer »Lügenspirale« und von der »Erfindung des Hetzjagd-/Ausschreitungennarrativs« die Rede. Patzelt hat für die Geschehnisse ein eigenes Wort erfunden: »Nacheileverhalten«. Eine Internetsuche nach diesem Begriff führt zu einem einzigen Ergebnis: Patzelts Blog. Für die Opfer von Angriffen in Chemnitz dürfte die semantische Diskussion gänzlich irrelevant sein. Zudem wurde die Diskussion auf ein einzelnes Video einer Jagdszene verengt, obwohl es noch etliche weitere solche Vorfälle in Chemnitz gab, wie unter anderem der Polizeibericht und Aussagen von Opfern im ZDF belegen.

Am 27. August wurde auch das jüdische Restaurant Schalom in Chemnitz mit Steinen und Flaschen angegriffen. Dabei wurde der Besitzer Uwe Dziuballa durch einen Steinwurf an der Schulter verletzt. Die vermummten Angreifer riefen »Judenschwein, verschwinde aus Deutschland«, wie Dziuballa auf Nachfrage verschiedener Medien berichtete. Zudem griffen Rechtsextreme am 1. September eine Gruppe von Marburger SPD-Mitgliedern an, nachdem diese an einer Demonstration gegen Rassismus in Chemnitz teilgenommen hatten. Dabei schlugen die Angreifer mehreren Per­sonen ins Gesicht und auf den Hinterkopf und bezeichneten sie als »Deutschlandverräter«. In der Taz berichtete ein Augenzeuge aus der Gruppe, dass die Rechtsextremen auch auf einen Mann mit Migrationshin­tergrund gezeigt und gerufen hätten: »Den schnappen wir uns!«

 

Dies sind nur zwei Beispiele von vielen, die Maaßen vor seinen Aussagen in Bild bekannt gewesen sein müssten. Dass es dem Präsidenten des BfV nicht allein um den Begriff »Hetzjagd« und semantische Spitzfindigkeiten ging, legen etliche weitere Details nahe: Abgeordnete der Regierungskoalition berichteten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass Maaßen Merkel zuletzt nur noch abschätzig als »die da drüben« im Kanzleramt oder als »die Dame« bezeichnet habe, die »seine CDU« kaputtmache. Seit 2015 habe er sich immer wieder abfällig über Merkels Flüchtlingspolitik geäußert.

Dies verwundert nicht: Bereits 1997 kam Maaßen in seiner Dissertation mit dem Titel »Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht« zu dem Schluss, dass das Asylrecht »zu einem Instrument einer unkontrollierten Massenzuwanderung« geworden sei – zu einer Zeit, als die Zahl der Asylan­träge in Deutschland überaus niedrig war. In einer Rezension in der Fachzeitschrift »Archiv des öffentlichen Rechts« schrieb die spätere Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff im Jahr 2000, dass Maaßen »abgelegenste Bedrohungsszenarien« anführe: etwa »die Besorgnis, dass Asylrechtsgewährleistungen von Verfolgerstaaten gezielt zur Destabilisierung eines Aufnahmestaates durch massenhafte Flüchtlingsproduktion genutzt werden könnten«. Schon damals argumentierte Maaßen also wie so mancher Verschwörungsideologe heutzutage im Internet. Maaßen muss seinen Posten allerdings nicht wegen seiner Ansichten zur Flüchtlingspolitik verlassen – auch wenn die extreme Rechte dies derzeit so darstellt. Vielmehr handelt es sich bei seiner Einmischung in die Tagespolitik um eine deutliche Überschreitung seiner Kompetenzen.

Zudem wurde dem Verfassungsschutzpräsidenten in der vergangenen Woche noch aus einem anderen Grund öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Dem ARD-Magazin »Kontraste« zufolge hatte Maaßen im Juni Informationen aus dem damals noch unveröffentlichten Verfassungsschutzbericht an die AfD weitergegeben. Maaßen habe mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags, Stephan Brandner, über die Zahl islamistischer Gefährder und über den Haushalt ­gesprochen. Detailinformationen über den Haushalt des Verfassungsschutzes dürfen lediglich dem Vertrauensgremium und dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags mitgeteilt werden, einfachen Abgeordneten nicht. Brandner widerrief seine diesbezügliche Aussage später, zuvor hatte er sie noch auf zweifache Nachfrage von »Kontraste« wiederholt.

Darüber hinaus widersprach Ende der vergangenen Woche eine Verfassungsschutzmitarbeiterin bei einer Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Attentat von Anis Amri auf dem Ber­liner Breitscheidplatz dem Präsidenten des BfV. Seit Januar 2016 habe sie Informationen über den späteren islamistischen Attentäter gesammelt, sagte sie. Im März 2017 hatte Maaßen noch von einem »reinen Polizeifall« gesprochen und angegeben, seine Behörde habe »keine eigene Informationsbeschaffung« geleistet. Auch einige Monate später hatte er noch darauf bestanden, dass Amri »bis zuletzt ein Fall in den Händen der Polizeibehörden« gewesen sei. Im Mai wurde jedoch öffentlich bekannt, dass in Amris Umfeld ein V-Mann des Verfassungsschutzes tätig gewesen war. Ungeachtet all dieser Fehltritte hat Maaßen am Sonntag erst einmal eine Rekordsumme an Haushaltsmitteln für seine Behörde beantragt: fast 421 Millionen Euro für das Jahr 2019. 2015 lag das Budget des Inlandsgeheimdienstes noch bei 230 Millionen Euro.