Abtauchen und aufsteigen

Wie wird man Leiter eines Weltkonzerns? Man muss sich besaufen, auf das Grundstück eines Managers vordringen, nackt in den Pool springen und sich dabei von der Polizei erwischen lassen. So schildert Heinrich von Pierer in seiner Autobiografie »Gipfel-Stürme« den Beginn seiner Karriere bei Siemens. Als er sich später bei dem Manager entschuldigte, habe dieser ihm geraten, sich nach dem Studium wieder zu melden. Das tat Pierer, und er wurde Hausjurist. Ja, liebe Kinder: Vergesst den ganzen Quatsch, den man euch über fleißiges Lernen erzählt hat. Koma-Saufen und ein Hausfriedensbruch zur rechten Zeit – so schafft man den Aufstieg!
Man darf annehmen, dass Pierer diese Geschichte nicht als Karriereratgeber versteht. Vielmehr soll sie die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass er kein kaltherziger Technokrat ist. Doch interessiert man sich zu seinem Unwillen kaum für seine Badegewohnheiten. Lieber möchte man wissen, wie er seine Geschäfte gemacht hat. Die Antwort bleibt Pierer schuldig. Fast hätte er sein Buch »Siemens schafft sich ab« nennen können. Er war dort zunächst Vorstands- und dann Aufsichtsratsvorsitzender in einer Zeit, in der dem Konzern illegale Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro nachgewiesen wurden. Dass der Konzern mit 800 Millionen Dollar Bußgeld davonkam, obwohl die US-Börsenaufsicht SEC auch zehn Milliarden hätte verlangen und Strafverfahren einleiten können, sei »für alle bei Siemens das schönste Weihnachtsgeschenk« gewesen, urteilte der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher im Dezember 2008. Der Korruptionsskandal soll den Konzern 2,5 Milliarden Dollar gekostet haben, und in diese Summe ist das Ungemach, das neue Auflagen der Weltbank für die von dieser Institution mitfinanzierten Aufträge brachten, nicht eingerechnet. Da nimmt sich der Schadenersatz von fünf Millionen Euro, den Pierer zahlte, bescheiden aus.
Man sollte daher meinen, es wäre klüger gewesen, er hätte den Mund gehalten. Andererseits kann man seinen Unwillen verstehen. Was glauben denn diese nörgelnden Journalisten, wie man an Staatsaufträge kommt? Als das Geschäft gut lief, haben alle ihn hofiert. Man sorgte dafür, dass er als erster deutscher Manager vor dem UN-Sicherheitsrat reden durfte, die CSU machte ihm gar Hoffnung, er könne Bundespräsident werden. Gerhard Schröder und Angela Merkel ließen sich von ihm beraten. Sie kooperierten mit Pierer bei der Akquise von ausländischen Staatsaufträgen, ihnen waren die Geschäftsmethoden von Siemens genauso unbekannt wie ihm. Dann kamen die Störenfriede von der SEC, und schon will ihn keiner mehr kennen. Immerhin darf er wohl seine fünf Ehrendoktortitel, das Große Bundesverdienstkreuz und auch den Goldenen Ehrenring der Stadt Erlangen behalten, wo er seine Karriere im Pool begann.