Die Linkspartei in Hessen

Heute Lollar, morgen die Welt

Die hessische Linkspartei will eine von der SPD geführte Minderheitsregierung unterstützen. Deshalb ist die Aufregung groß. Dabei wollen SPD und »Linke« doch nur eines: den »Politikwechsel«.

Großes ist am Wochenende geschehen. »Auf historischem Boden« schickten sich, vom »Hauch der Geschichte« umweht, hessische Politiker an, »Geschichte zu schreiben«, wie Tageszeitungen berichteten. Zwar wird Lollar selten in Geschichtsbüchern erwähnt. Und der Landesverband der Linkspartei hatte die Halle im Bürgerhaus des hessischen Nests nach eigener Aussage angemietet, weil sie die billigste war. Aber so hat der Weltgeist wohl Knausrigkeit und historische Sendung auf wundersamste Art verbunden.
Immerhin hatten die hessischen Grünen 1984 im Bürgerhaus von Lollar beschlossen, eine von der SPD geführte Minderheitsregierung zu unterstützen. Die »Linke« ist am Wochenende auf dem Landesparteitag übereingekommen, Andrea Ypsilanti (SPD) zur Ministerpräsidentin zu wählen, also ebenfalls mit einer von der SPD geführten Minderheitsregierung zusammenzuarbeiten.
Ypsilanti habe nun die Möglichkeit, die »politische Architektur der Republik« zu verändern, prophezeite ein Kommentator. Wird die Frau Umbauarbeiten an Regierungsgebäuden in Auftrag geben? Man weiß es nicht. Aber welche schier globale Bedeutung ein Treffen von Mitgliedern der Linkspartei in der Provinz hat, wusste zumindest der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine, der eigens nach Lollar gereist war. »Was ihr heute vorhabt, ist einzuordnen in unser Gesamtprojekt. Wenn unser Projekt hier gelingt, hat das Auswirkungen auf Länder über Deutschland hinaus«, rief er den Anwesenden zu.
Heute Lollar, morgen Deutschland und übermorgen fast schon die ganze Welt – angesichts solcher Ambitionen wird es auch der Konkurrenz mulmig. Zwar dürfte die CDU vor allem die Tatsache umtreiben, dass sie sich in Hessen bald in der Opposition befinden könnte. Aber es geht um mehr: Die SPD mache nun »selbst im Westen mit der Linken gemeinsame Sache«, empörte sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Christian Wulff, der niedersächsische CDU-Ministerpräsident, steht ihm zur Seite. Wulff hat das schier Unmögliche geschafft: Er hat in der Linkspartei »Kommunisten« entdeckt. Mit deren Hilfe wolle die SPD an die Macht, und das sei skandalös. Wahrscheinlich meint Wulff stalinistische Altkader wie das ehemalige DKP-Mitglied Pit Metz, das nun Beisitzer im Vorstand der hessischen »Linken« ist. Auch in Bayern will man den Westen keinesfalls den »Kommunisten« anheim fallen lassen. Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber befindet sich seit zwei Wochen auf dem Kreuzzug gegen die »Linke«, in der vergangenen Woche trat er demonstrativ in Begleitung zweier »Stasi-Opfer« vor die Presse. Zudem hat Huber eine weitere »Mobilisierungsphase« angekündigt. Ob er in nächster Zeit bewaffnete Freikorps aufbieten wird, ist noch unklar.
In der Aufregung wird selten erwähnt, was die SPD und die »Linke« eigentlich wollen. Um den »Politikwechsel« gehe es ihnen, sagen Mitglieder dieser Parteien unablässig. Es gelte nun, das »soziale Netz neu zu knüpfen«, wie es Ypsilanti und Lafontaine formulierten. Zunächst muss also Roland Koch (CDU) als Ministerpräsident abgelöst werden. Dann wird man sich irgendwie einigen: nach Möglichkeit auf ein Ende von Privatisierungen, auf eine bestimmte Anzahl von Stellen, die im öffentlichen Dienst entstehen sollen, und weitere Details. Die Meinungsverschiedenheiten sind quantitativer Art, eine gemeinsame Form staatlich-autoritärer Krisen- und Armutsverwaltung haben SPD und »Linke« im Osten bisher immer gefunden. Warum sollte das im Westen nicht gelingen? Und wenn die Zusammenarbeit in Hessen demnächst nicht zustande kommt, klappt sie vielleicht 2009 im Saarland. Dort tritt schließlich Oskar Lafontaine persönlich an.