Widerstand mit Hijab

Die Vorbereitung des Europäischen Sozialforums in London wurde von heftigen Konflikten begleitet. Insbesondere die Orientierung der Socialist Workers Party sorgte für Aufregung. von bernhard schmid, paris

Und wieder wird es wohl ein Jahrmarkt der Möglichkeiten werden. Ein Seminarprogramm, das Ähnlichkeiten zu einem Telefonbuch aufweist, und eine breite Palette von gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen dürften auch beim diesjährigen Europäischen Sozialforum in London (ESF) für ein schwer überschaubares Nebeneinander unterschiedlicher Ansätze sorgen. Dabei koexistieren mitunter Konzepte, die unvereinbar wären, würde man sie direkt miteinander konfrontieren. Eigentlich sollte es in diesem Jahr anders werden. Das ESF vom November vorigen Jahres in Paris hatte sich unter anderem durch seine Unübersichtlichkeit ausgezeichnet. Die geographische Dezentralisierung, die ursprünglich dazu dienen sollte, auch die Bewohner »sozialer Brennpunkte« wie der Pariser Banlieues besser einbeziehen zu können, hatte für eine organisatorische Verzettelung gesorgt.

Nicht dass man keinerlei Lehren daraus gezogen hätte. In London hätte es sogar ganz anders werden sollen: Einige in den Mittelpunkt gerückte Großveranstaltungen und eine überschaubare Zahl sonstiger Workshops und Seminare sollten dem ESF eine zentrale Stoßrichtung verleihen. So lautete der anfängliche Vorschlag jener britischen Kräfte, die bei der nationalen Vorbereitung führend sind. Doch die damit verbundene inhaltliche Ausrichtung behagte den meisten anderen Initiativen, sozialen Bewegungen und Vorbereitungsgruppen nicht so richtig. Aus guten Gründen.

Dominiert wird die britische Vorbereitung des ESF von einer Koalition, die im Wesentlichen aus der trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP) und einigen Fraktionen der Labour Party besteht. Die SWP ist die britische »Mutterpartei« einer internationalen Strömung, die von London unterstützte Ableger in mehreren anderen Ländern unterhält; dazu gehören der deutsche Linksruck und die französische Kleingruppe Speb (»Socialisme par en bas«, Sozialismus von unten). Diese Strömung zeichnet sich einerseits durch ihren atemlosen Aktionismus aus, andererseits aber auch durch ihr rigides »kampistisches« Weltbild. Dieser Begriff bezeichnet ein Denken, das die Welt in »zwei Lager« einteilt und eine entsprechend schematische Interpretation aller wichtigen Ereignisse vornimmt. Zu den Spezialitäten der SWP gehört das verbale und mitunter auch konkrete Bündnis mit konservativ-muslimischen oder auch islamistischen Kräften, wenn es »gegen den Imperialismus« geht. Diese Orientierung wird in Europa weder von den ebenfalls starken französischen Trotzkisten unterschiedlicher Couleur, noch etwa von libertär-kommunistischen Gruppen geteilt. Aus taktischen Gründen ist die SWP vor Beginn des Sozialforums eine Allianz mit Strömungen der Labour Party eingegangen, vor allem, weil beiden daran liegt, kleinere kritische Strömungen innerhalb der Linken zu dominieren. Zu ihren wichtigsten Bündnispartnern auf Zeit zählt momentan der linkspopulistische Londoner Bürgermeister Ken Livingstone.

Als Folge dieser Konstellation sollten erstens auch konservativ-reaktionäre islamische Kräfte zu einer Reihe von Foren eingeladen werden, andererseits sollte eine starke inhaltliche Konzentration der Großveranstaltungen auf die Themen Irak und Palästina erfolgen. Das aber behagte den Vorbereitungsgruppen in fast allen anderen EU-Ländern in der vorgeschlagenen Form überhaupt nicht: Es kam zu heftigen Konflikten. Wer noch vor drei Wochen das damalige vorläufige ESF-Programm in französischer Sprache im Internet anklickte, konnte etwa die Spuren dieses Streits unfreiwillig dokumentiert sehen. Mitten in der Ankündigung eines Forums britischer Muslime zu »Islamophobie« und Kopftuchverbot stand, ohne Überleitung, der Satz hineingeschrieben: »Möglichst viele Seminare und Workshops zu den Rechten der Homosexuellen vorsehen!« Das war offensichtlich während der Dispute, die es zuvor gegeben hatte, eilig in den Programmvorschlag aufgenommen und gleich mit transkribiert worden.

So soll letztlich wieder fast allen etwas geboten werden. Wer will, kann so auch zum Thema Hijab und »A Woman’s Right to Choose« diskutieren. Nun ist sicherlich richtig, dass einzig die Frauen ein Recht haben sollten, sich für oder gegen das Kopftuch zu entscheiden, da sie dabei die einzigen Subjekte möglicher Emanzipation sein können. Nur bleibt völlig rätselhaft, warum man dann zu dieser Frage auch den männlichen Tariq Ramadan prominent reden lässt, neben fünf oder sechs weiblichen Podiumsteilnehmerinnen, die nebenbei mehrheitlich das Kopftuch verteidigen. Der kommunitaristische moslemische Ideologe aus Genf soll ferner auch auf dem Panel »Voices of Resistance and Alternatives from the Global South« zu Wort kommen neben einer Kolumbianerin und dem Vertreter einer indischen Bergarbeitergewerkschaft. Dabei kommt der in der Schweiz aufgewachsene und seit kurzem als Lehrkraft in die USA eingeladene Ramadan nicht gerade aus dem »globalen Süden«. Darin kommt eine Sichtweise zum Ausdruck, die neben anderen Kräften auch den Islam oder aus ihm abgeleitete gesellschaftliche Ideologien unter »Stimmen des Widerstands« fassen will, ohne die Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt zu stellen.

Gleichzeitig gibt es aber auch einen Panel für Feministinnen aus Südasien, Kurdistan und der europäischen Immigration zu Themen wie »Resisting Patriarchy, State and religious based Violence«. Zu den verschiedenen Podien über den besetzten Irak sind erfreulicherweise keine Islamisten oder Ba’athisten eingeladen, sondern Vertreter von Gewerkschaften oder der Elektrizitätsarbeiter aus Basra. Ebenso positiv zu vermerken ist, dass die Seminare und Podien zum israelisch-palästinensischen Konflikt ausnahmslos binational besetzt sind. So kommen israelische Piloten, die den Einsatz in den besetzten Gebieten verweigern, linkszionistische Friedensgruppen und die »Israeli Campaign against House Demolitions« zu Wort.

Insgesamt bleibt für jeden Ansatz etwas geboten, aber vieles steht vermittlungslos nebeneinander. Aber wer sich richtig gruseln will, der kann sich beim »9/11 Truth Movement« über die ultimative »Wahrheit zum 11. September« informieren, wofür es zum Glück nur einen »small workshop« gibt.