Bye-Bye Berlin

Zweifelhafte Kredite, manipulierte Bilanzen, Schulden in Milliardenhöhe - die Hauptstadt durchlebt ihre schwerste Finanzkrise.

Die gute Nachricht zuerst: Der Bankgesellschaft Berlin fehlen nicht, wie in der vergangenen Woche spekuliert wurde, sieben oder gar acht Milliarden Mark »frisches Geld«, sondern nur vier Milliarden. Das stellte zumindest das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen fest. Doch was soll man von so einer guten Nachricht halten?

Den Parlamentariern im Berliner Abgeordnetenhaus war am letzten Donnerstag nicht zum Feiern zumute, als es um den in seiner Dimension noch gar nicht richtig erkennbaren Finanzskandal in der Hauptstadt ging. Mit eisiger Miene verfolgten die SPD-Abgeordneten die Rede des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU), der wegen seiner möglichen Mitverantwortung für das Finanzdesaster in die Kritik geraten ist. PDS und Grüne forderten bereits seinen Rücktritt.

Zum ersten Mal steht die große Koalition aus CDU und SPD ernsthaft zur Disposition. Diepgen aber glaubt, weiter »rennen« zu können, wie in seinem Wahlspot von 1998. Er ging sogar in die Offensive und wies in seiner Regierungserklärung jegliche Mitschuld am drohenden Kollaps der Berliner Bankgesellschaft von sich. Verantwortlich seien die Vorstände in der Bank und in ihren Tochtergesellschaften. Wie einst Roland Koch in Hessen versprach er »schonungslose Aufklärung« des Skandals, und das verheißt nun wirklich nichts Gutes.

Die aktuelle Krise fing mit einer Parteispenden-Affäre an, wie man sie von der CDU inzwischen zur Genüge kennt. Der damalige Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU, Klaus Landowsky, genehmigte in seiner Funktion als Vorsitzender der Berlin Hyp Parteifreunden, denen die Immobiliengesellschaft Aubis gehörte, Kredite in Höhe von 600 Millionen Mark. Die Berlin Hyp ist eine Tochter der zu 56 Prozent landeseigenen Bankgesellschaft Berlin.

Womöglich im Gegenzug, zumindest aber in zeitlicher Nähe zu diesem Vorgang, erhielt Landowsky eine Spende von 40 000 Mark für die CDU, die er nicht ordnungsgemäß verbuchte. (Jungle World, 7/01 und 11/01) Der Unterschied zur Leuna-Affäre oder zum Parteispendenskandal in Hessen besteht darin, dass der Verkauf von Leuna ein bisschen Geld eingebracht hat, und dass das Bundesland Hessen nicht bankrott ist. Die Berliner Transaktionen dagegen stürzten die Hauptstadt in die größte Finanzkrise seit ihrem Bestehen.

Denn die Sanierung von Plattenbauten im Osten, die Aubis mit den Krediten finanzieren wollte, geriet zum Flop. Daher blieben die Rückzahlungen der Kredite aus, was die Bankgesellschaft Berlin an den Rand des Ruins gebracht hat. Berlin wird der Bank mit vier Milliarden Mark zur Seite springen, um einen möglichen Konkurs abzuwenden. Dafür muss die Stadt mindestens sechs Milliarden Mark an zusätzlichen Schulden aufnehmen, vorausgesetzt, es bleibt bei den gegenwärtigen Zahlen. Dabei hat Berlin in den letzten Jahren wegen seiner strukturellen Probleme bereits einen Schuldenberg von 70 Milliarden Mark angehäuft.

Für die CDU ist das kein Grund, die große Koalition aufzulösen oder gar Neuwahlen anzusetzen. Ihr neuer Fraktionsvorsitzende Frank Steffel hält diese Idee für »völlig verantwortungslos«. Es scheint auch nicht die Zeit zu sein, sich lange mit der Schuldfrage zu beschäftigen. Gegen Landowsky wurde bisher kein Verfahren eröffnet. Was nicht unbedingt daran liegen muss, dass Diepgen seit dem letzten Versuch der Haushaltskonsolidierung Bürgermeister und Justizsenator in Personalunion ist.

Was interessieren jetzt Vorwürfe über zweifelhafte Kredite oder manipulierte Bilanzen, das Zauberwort heißt mal wieder: sparen. Diepgen kündigte letzte Woche gleich »eine neue Dimension des Sparens« an. Reformiert werden müssten die Sozialhilfe und die Arbeitsmarktpolitik. Der Finanzskandal soll dazu dienen, endlich den Sozialabbau einzuleiten, den Wirtschaft, Medien und Politik schon lange fordern. Flankiert werden soll er durch die Stärkung des Polizeiapparats und rabiate Maßnahmen gegen Marginalisierte. Diepgens Pläne betreffen jene sozialen Gruppen, die kein politisches Gewicht mehr haben: Wohnungslose, Drogenabhängige, Asylbewerber. Dass es ihnen schlechter geht, kann sich die Stadt gerade noch leisten. Diepgen betonte, bei der Verbrechensbekämpfung und der Justiz dürfe es keine Abstriche geben. Das wäre für ihn die »Sollbruchstelle« der Koalition.

Dagegen gibt sich die SPD gerade den Anschein, beim Sparen andere Akzente setzen zu wollen. Ihr Fraktionschef Klaus Wowereit versucht sich mit Alternativvorschlägen zu profilieren. So soll die so genannte Kanzler-U-Bahn U 5 nicht fertig gebaut und ein Polizei-Verwaltungsgebäude nicht saniert werden. Aber auch das »Prestigeprojekt 'Topographie des Terrors'« (Berliner Zeitung) steht für die SPD hinsichtlich seiner Baukosten auf dem Prüfstand. In dieser Frage könnte man sicherlich schnell Einigkeit mit dem Koalitionspartner erzielen.

Die Krise der CDU ist nicht die Stunde der SPD. Schließlich prägten Anhänger der Großen Koalition wie Schulsenator Klaus Böger oder Stadtentwicklungssenator Peter Strieder zuletzt das Bild. Selbst nach den jüngsten Ereignissen meinte Strieder, wie der Spiegel berichtete, man sei noch nicht so weit, die Koalition zu verlassen, es bedürfe noch eines »ordentlichen Knalls«.

Bei Wowereit sieht die Sache auch nicht viel besser aus. Auf die Frage, ob nicht eine Koalition aus SPD, Grünen und PDS eher in der Lage wäre, die Probleme der Stadt zu lösen, antwortete er noch letzte Woche der Berliner Zeitung: »Der Regierende Bürgermeister hat jetzt die Chance, das Gegenteil zu beweisen.« Gelebte Sozialdemokratie: Jeder kriegt seine Chance.

Inzwischen schließt Wowereit zwar ein Ende der Koalition nicht mehr aus. Doch die bisher recht zögerliche Haltung der SPD in dieser Frage hat ihre Gründe. Zum einen ist sie nicht unbeteiligt an der Misere Berlins, schließlich regiert sie schon eine Weile mit. In den Aufsichtsratsgremien der Bankgesellschaft und ihren Tochtergesellschaften sitzen keineswegs nur Christdemokraten. Unsolide Kredite gab es nach Meinung von Finanzexperten schon in der Zeit, als Edzard Reuter noch Aufsichtsratsvorsitzender der Bankgesellschaft Berlin war, also von 1994 bis 1999.

Zum anderen stellt das politische Kräfteverhältnis in Berlin ein Patt dar: Für eine rot-grüne Koalition reicht es nicht. Eine Regierungsbeteiligung der PDS aber würden viele West-Berliner als ein schlimmeres Übel betrachten als das Milliardenloch im Landeshaushalt. Auch lässt sich das Parlament nicht ohne weiteres gegen die Stimmen der CDU auflösen. SPD, Grüne und PDS müssten Diepgen mit einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzen und anschließend Wowereit zum Regierenden Bürgermeister wählen. Wowereit könnte dann das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen.

Andererseits starten PDS, Grüne und FDP in dieser Woche eine eigene Kampagne für Neuwahlen. Denn »die Wut in der Stadt ist groß«, wie der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf meint. Franziska Eichstädt-Bohlig von den Grünen fühlt sich gar an »sizilianische Patenfilme« erinnert. Gut möglich, dass sie die 50 000 Unterschriften zusammenbekommen, die für die Einleitung eines Volksbegehrens nötig sind. Ob dann allerdings ein Fünftel der Wahlberechtigten dieses Volksbegehren unterstützt, ist offen. Immerhin: 58 Prozent der Berliner wünschen sich Umfragen zufolge inzwischen Neuwahlen.

Aber was würden Neuwahlen bringen? Das CDU-Milieu in West-Berlin ist ziemlich fest gefügt, erdrutschartige Verluste sind nicht zu erwarten. Und die Gewinne der SPD dürften auch nicht überragend sein. Sollte es tatsächlich zu einer rot-rot-grünen Koalition kommen, wird es interessant sein zu beobachten, wie ein Bürgermeister Wowereit oder wahlweise Gysi den Hauptstädtern erklärt, dass ihre Kindertagesstätten teurer werden, dass Kliniken schließen, Personal abgebaut wird und die U 5 trotzdem fertig gestellt werden muss.

Die Einbindung der PDS in die Regierung könnte angesichts der Härten, über die nun so viel geredet wird, sogar notwendig werden. Denn wer kann den Berlinern den Sozialabbau besser verkaufen als die Partei der sozialen Gerechtigkeit?