Bush präsentiert sein Kabinett

Mainstream der Minderheiten

Im Kabinett des republikanischen US-Präsidenten Bush finden sich Repräsentanten fast aller Bevölkerungsgruppen. Einige sind alte Bekannte.

Colin Powell, George W. Bushs zukünftiger Außenminister und der erste Schwarze in diesem Amt, ist ein Nationalheld. Seine Lebensgeschichte klingt wie der American Dream. Powell stammt aus ärmlichen Verhältnissen, ging zur Armee, erwarb sich seine ersten Lorbeeren in Vietnam und brachte es bis zum gefeierten Golfkriegsgeneral. Auf ihn geht die so genannte Powell-Doktrin zurück, in der er den Einsatz maximaler Kräfte fordert, um Kriege schnell zu beenden und das Leben der eigenen Soldaten zu schonen. Zunächst war Powell gegen den Angriff der Anti-Hussein-Koalition auf den Irak, leistete dann aber an der Seite von General Norman Schwarzkopf ganze Arbeit.

Grundsätzlich tritt Powell für eine Steigerung der Militärausgaben ein, um es den USA zu ermöglichen, zwei regionale Kriege wie im Irak oder im Kosovo gleichzeitig zu führen. Seine Beliebtheit in der Armee beruht vor allem auf seinem Ruf, immer für »seine Jungs« da zu sein. Es war wohl auch dieser Korpsgeist, der ihn 1968 in Vietnam daran hinderte, das berüchtigte Massaker von My Lai aufzuklären. Im März 1968 hatten US-Soldaten von der American Division ein ganzes Dorf niedergemetzelt; im Juli wurde Powell dieser Division als Offizier zugeteilt. Als ein ehemaliger GI in einem Brief die willkürliche Gewalt der US-Soldaten kritisierte, ging Powell den Vorwürfen nicht auf den Grund.

Unter der Reagan-Regierung war General Powell als militärischer Berater für Lateinamerika beschäftigt und rechtfertigte öffentlich die Unterstützung von Konterguerillas mit der Staatsräson. In der Iran-Contra-Affäre deckte Powell seinen Vorgesetzten, den damaligen Verteidigungsminister Caspar Weinberger, indem er unter Eid unvollständige Aussagen machte. Als die USA 1989 in Panama einmarschierten und dem Diktator Noriega seines Amtes enthoben, führte Powell das Oberkommando, getreu der Powell-Doktrin. Eine Untersuchung der US-Organisation Ärzte für Menschenrechte deckte später auf, dass in der »sauberen« Operation Just Cause mehrere Hundert Zivilisten getötet, über 3 000 verwundet und 15 000 aus ihren Wohnorten vertrieben wurden, von denen nur ein Fünftel Hilfe von der US-Armee erhielt.

Ein jüngerer Eintrag in der Personalakte des Nationalhelden Powell dürfte diesen in der Armee allerdings weniger beliebt machen. Im zweiten Golfkrieg waren etwa 100 000 US-Soldaten geringen Dosen von Nervengas ausgesetzt worden; außerdem wiesen viele Golfkriegsveteranen Symptome einer Strahlenkrankheit auf, verursacht durch uranhaltige panzerbrechende Munition. Die betroffenen Soldaten wandten sich zunächst an das Bureau of Veterans Affairs; als sie dort abgewiesen wurden, schrieben sie Briefe an die Kommandierenden Schwarzkopf, Powell und Richard Cheney, Bushs zukünftigen Vizepräsidenten. Sie erhielten keine Antwort. Nichtsdestotrotz, gemeinsam mit dem designierten Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, einem konservativen Republikaner und vehementem Unterstützer des geplanten satellitengestützten Raketenabwehrsystems, wird Powell dafür sorgen, dass die Stimme des Militärs in der neuen Regierung nicht ungehört verhallt.

Enthusiastisch schreibt Randall Mikkelsen in der Washington Post, Bush mache seine Versprechungen im Hinblick auf ein gemischtes Kabinett wahr, um dann den KandidatInnen für Ministerposten identitäre Etiketten anzuheften: Bildungsminister Rod Paige, schwarz; Innenministerin Gale Norton, Frau; Mel Martinez, Minister für Wohnen und Stadtentwicklung, Exilkubaner; Landwirtschaftsministerin Ann Veneman, Frau; Beraterin für nationale Sicherheit Condolezza Rice, schwarze Frau. Colin Powell ist ein typisches Beispiel für das, was George W. Bush mit seiner Programmatik der Einbindung von Repräsentanten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in die Regierung meint.

Seine Regierungsmitglieder sind Menschen, die trotz ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts Karriere gemacht haben in einem Spiel, dessen Regeln von weißen, männlichen, protestantischen Oligarchen geschrieben wurden. Bush setzt ihre äußerliche Diversität ein, um die politischen Mechanismen zu verwischen und Marginalisierte politisch ruhig zu stellen. Von den Schwarzen, Frauen und Latinos in der zukünftigen US-Regierung kann man nicht erwarten, dass sie sich gegen die strukturelle Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppen einsetzen. Ihre Nominierung ist rein symbolisch.

Die zukünftige Innenministerin Gale Norton ist derzeit Generalstaatsanwältin von Colorado, einem Staat, der die Todesstrafe praktiziert. In ihren Zuständigkeitsbereich fällt die Verwaltung von umfangreichen bundeseigenen Ländereien im Mittleren Westen und in Alaska. Norton unterstützt die Nutzung dieser Landstriche durch Viehzüchter und Bergbaugesellschaften. Ein Sprecher der Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnete Nortons Ernennung im Hinblick auf die geplante Freigabe von Teilen Nordalaskas für die Ölförderung als »besorgniserregend«.

Rod Paige, der designierte Bildungsminister, hat bis dato den siebtgrößten Schuldistrikt der USA in Houston, Texas geleitet. Er ist verantwortlich für die Teilprivatisierung öffentlicher Schulen. Paiges vager kommunitaristischer Ansatz - ein höheres Maß an Verantwortlichkeit für die einzelnen Schulen in finanziellen Angelegenheiten sowie in den Bereichen Lehrplan und Sicherheit - hat während seiner Amtszeit zwar bessere Schulnoten und einen Rückgang der Gewalt an den Schulen gebracht. Doch warum Paige lieber staatliche Zuschüsse an Eltern vergibt, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken wollen, als den Schulen in den Armenvierteln von Houston Zuschüsse für Löhne und Lehrmittel zu geben, bleibt wohl sein Geheimnis.

Wie emanzipatorisch Bushs gemischte Besetzung der Regierungsämter gemeint ist, lässt sich am besten an seiner Wahl für den Posten des Gesundheitsministers ablesen. Thomas Thompson war bisher Gouverneur des Staates Wisconsin. Er war einer ersten Politiker in den USA, die auf den Gedanken kamen, staatliche Sozialhilfe vom Arbeitswillen der EmpfängerInnen abhängig zu machen und vergrößerte somit die Schicht der working poor erheblich. Als Gesundheitsminister ist Thompson für das Sozialsystem verantwortlich, unter anderem für die staatliche Gesundheitsvorsorge Medicaid, die teilweise aus Bundesmitteln finanziert wird. Thompson ist ein strikter Gegner der Abtreibung, deren Regelung ebenfalls in sein Ressort fällt; seine Nominierung hat bereits die Proteste liberaler Frauenverbände wie der Organisation Planned Parenthood hervorgerufen.

Der Karneval ist vorbei, zumindest in Florida und in Washington D.C. George W. Bush steht am Ende der bereits jetzt schon so bezeichneten Clinton-Ära; Al Gore hat eingesehen, dass er gegen das Oberste Bundesgericht nicht gewinnen kann, und reiht sich ein in den Chor derer, die meinen, für zersetzende Demokratiedebatten sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, die nationale Einheit sei wichtiger. »Zählt jede Stimme!« hat ausgedient als Kampfschrei der Demokratischen Partei in den USA. Der neue Wahlspruch heißt: »Beiß' nicht in die Hand, die dir zu essen gibt!«

Die Demokratische Partei hat kein Interesse an einer starken sozialen Bewegung, die eventuell in der Lage wäre, die alte politische Klasse in den USA zu destabilisieren. Das ganze Theater um die Auszählung der Stimmen in Florida war ein Kampf innerhalb dieser politischen Klasse. Ginge es den Demokraten um nachhaltige Verbesserungen im Wahlsystem, hätte das Democratic Leadership Council nicht Jesse Jackson zurückgepfiffen, der öffentlich beklagte, dass Schwarze systematisch schikaniert und teilweise völlig von der Wahl ausgeschlossen wurden.

George W. Bush demonstriert indessen, dass man repressive Politik nicht nur gegen, sondern auch mit Frauen, Schwarzen und Latinos machen kann. Bushs »mitfühlender Konservatismus« bedeutet keine liberale Migrationspolitik, kein allgemeines Recht auf Abtreibung, keine Erhöhung des Mindestlohnes, keine Abschaffung der Todesstrafe. Die Opfer der Migrationspolitik sind hauptsächlich Latinos und Asiaten, die Opfer der Abtreibungspolitik sind Frauen, der Mindestlohn wird meistens an Latinos und Schwarze ausgezahlt, und der Anteil der Schwarzen in den Gefängnissen und auf den Hinrichtungslisten ist etwa viermal so hoch wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung der USA. Der Staat, in dem sich die benachteiligten Bevölkerungsschichten ihre VertreterInnen selbst aussuchen können, muss wohl noch gegründet werden.