Wahlen im Kosovo

Undankbare Schützlinge

Auch nach dem Sturz von Milosevic will im Kosovo niemand mit Belgrad verhandeln. Die Kommunalwahlen am Wochenende werden zum Referendum über die Unabhängigkeit.

Bernard Kouchner hat ein Problem. »Finden Sie einen Albaner, der für den Dialog mit Kostunica ist, und ich bin bereit, den Gesprächsprozess zu beginnen«, antwortet der Chef der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo (Unmik), wenn westliche Politiker auf Verhandlungen zwischen Kosovo-Albanern und der neuen jugoslawischen Regierung unter Vojislav Kostunica drängen. Jetzt, nach dem »demokratischen Wechsel« in Belgrad, so die Hoffnung der Außenpolitiker, müsse man doch eine Lösung für den anhaltenden Konflikt um das Kosovo finden. Dabei bestehen vor allem die USA darauf, dass das Kosovo als Republik neben Montenegro und Serbien im jugoslawischen Staat verbleibt. So sollen auch die Autonomiebestrebungen der albanischen Minderheit in der angrenzenden Provinz Mazedonien eingedämmt werden.

Doch zum Leidwesen des Westens will die kosovo-albanische Seite überhaupt nicht verhandeln. Wozu auch? »Alle Albaner, seien sie moderat oder nicht, wollen die Unabhängigkeit«, erklärt Kouchner. »Wenn wir jetzt den endgültigen Status des Kosovo festlegen wollen, könnte das zu einem offenen Konflikt führen«, fürchtet der Franzose. Nach dem Ende des Nato-Bombardements war in der Resolution 1 244 des UN-Sicherheitsrats festgelegt worden, dass das Kosovo ein UN-Protektorat ist, zugleich aber Bestandteil Serbiens und damit Jugoslawiens bleibt.

So zeichnen sich drei Wochen nach der Machtübernahme durch Kostunica neue Konfliktlinien ab. Der Flirt des Westens mit dem neuen Präsidenten, der als überzeugter Nationalist darauf besteht, dass das Kosovo weiterhin bei Serbien bleibt, verärgert die Albaner. Als Zoran Djindjic, Kostunicas Wahlkampfmanager und strategischer Kopf des ehemaligen Oppositionsbündnisses DOS, am 12. Oktober gar ankündigte, die jugoslawische Armee und serbische Polizei ins UN-Protektorat zurückzuschicken, löste er bei den Kosovo-Albanern Entrüstung aus. Falls die Vereinten Nationen Djindjic gewähren ließen, »würden sich die Albaner über Nacht gegen die UN-Mission« stellen, warnt Baton Haxhiu, Chefredakteur der in Pristina erscheinenden Tageszeitung Koha Ditore.

Nach dem Machtwechsel in Belgrad bekommen die nächsten Samstag anstehenden Kommunalwahlen im Kosovo eine neue Bedeutung. Hatte UN-Protektor Kouchner die Wahlen bisher als wichtigen Schritt zur Demokratisierung angepriesen, sehen die Kosovo-Albaner darin eine Etappe auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Der Journalist Llazar Semini, Mitarbeiter des Londoner Institute for War & Peace Reporting, stellt den Zeitplan der albanischen Politiker folgendermaßen dar: Nach den Kommunalwahlen am 28. Oktober solle eine Konstitution ausgearbeitet werden. Danach könnten im nächsten Frühjahr Parlamentswahlen stattfinden. »Eine neue Regierung würde dann ein Referendum ausrufen, um über die Zukunft des Kosovo zu entscheiden.«

Während tatsächlich fast alle albanischen politischen Kräfte im Kosovo die Unabhängigkeit fordern, hat sich im Vorfeld der Kommunalwahlen das Parteienspektrum aufgefächert. Neben den beiden bisherigen Hauptakteuren, der UCK-Nachfolgepartei PDK (Demokratische Partei Kosovos) von Hashim Thaqi und der LDK (Demokratische Liga Kosovos) von Ibrahim Rugova, treten weitere 19 Formationen an. Von größerer Bedeutung dürfte dabei hauptsächlich die AAK (Allianz für die Zukunft Kosovos) des ehemaligen UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj sein. Sie kandidiert wie PDK und LDK flächendeckend, während viele der anderen Gruppen lediglich in regionalen Hochburgen vertreten sind.

Die Differenzen zwischen PDK und LDK sind vor allem durch Thaqis Vorwürfe gegen Rugova geprägt. Dieser habe als Führungsfigur der Kosovo-Albaner nach der Aufhebung des Autonomiestatuts 1989 den Widerstand zu passiv organisiert, versucht Thaqi den »Gandhi des Kosovo« in der nationalistisch kontaminierten Atmosphäre der Provinz zu diskreditieren.

Dennoch konnte Rugovas LDK in den letzten Monaten Boden gegenüber der PDK gutmachen. Nach dem Einmarsch der Kfor-Truppen ins Kosovo Mitte Juni letzten Jahres setzte die UCK vielerorts ihre Kommandanten als Bürgermeister ein. Korruption und Inkompetenz dieser Statthalter haben dazu geführt, dass viele Kosovo-Albaner mittlerweile wieder die zivilere LDK präferieren. Doch die einmal erkämpften Machtpositionen geben die ehemaligen UCK-Kader nicht so einfach wieder auf. In den letzten Monaten kam es zu zahlreichen Einschüchterungsversuchen und Attentaten gegen LDK-Politiker.

Andererseits hat Thaqis PDK auch das Monopol auf den im Kosovo gepflegten Heroenmythos der UCK verloren. Mit der von Haradinaj geführten AAK hat sich eine Allianz gebildet, welche sich aus Kräften der ehemaligen UCK zusammensetzt, die sich nie mit Thaqis pro-amerikanischem Kurs arrangiert haben. Teilweise handelt es sich um Kader, die den bewaffneten Kampf schon propagierten, als die UCK noch gar nicht existierte.

So finden sich in der AAK die Mitglieder der Volksbewegung des Kosovo (LPK) und der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Kosovo (LKCK). Diese Fraktion der kosovo-albanischen Guerilla orientiert sich zum Teil bis heute an einem kruden Marxismus-Leninismus-Maoismus in der Prägung des ehemaligen albanischen Diktators Enver Hoxha und kombiniert ihn mit einem aggressiven Nationalismus. Zum Spektrum der AAK zählt auch Adem Demaci, die Leitfigur des bewaffneten Kampfes im Kosovo, der ab Juni 1998 Sprecher der UCK war, bis er sich Anfang letzten Jahres mit dem US-Freund Hashim Thaqi überwarf.

Doch die Auseinandersetzungen drehen sich kaum um politische Differenzen. Viel eher scheinen innerhalb des albanischen Lagers Verteilungskämpfe um lokale Machtpositionen und Finanzquellen zu toben. Auch auf AAK-Chef Haradinaj wurden bereits Attentate verübt. Ihm wird sein Einflussgebiet zwischen Prizren und Pec geneidet. In dieser südlichen Region des Kosovo kann er den Schmuggel mit Erdöl, Zigaretten und sonstigen begehrten Gütern an der Grenze zu Albanien und Montenegro kontrollieren.

Die noch verbliebenen 100 000 Serben im Kosovo wollen mit dem ganzen Gerangel unter den Albanern nichts zu tun haben. Nur tausend von ihnen haben sich überhaupt in die Wählerlisten eingetragen. 200 000 Serben, Roma und Angehörige anderer nicht-albanischer Minderheiten können überhaupt nicht am Demokratieexperiment im Protektorat teilnehmen, weil sie unter den Augen von Kfor und UN von kosovo-albanischen Nationalisten ganz aus der Provinz vertrieben wurden.

Im August erklärte Oliver Ivanovic, Vorsitzender des Serbischen Nationalrats (SNV) in der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica, gegenüber Jungle World: »Erst wenn die Vertriebenen zurückkommen, werden wir an Wahlen teilnehmen.« So wird der Wahlgang am Samstag wohl die »ethnische Teilung« im Kosovo weiter vertiefen. Daran wird auch die Kandidatur der PDAShK (Demokratische Partei der albanischen Ashkali in Kosovo) und der BSDAK (Bosnische Partei der Demokratischen Aktion in Kosovo) nichts ändern. Diese Gruppen treten für den Schutz der Ashkali und der slawischen Muslime im Kosovo ein. Deshalb werden sie von serbischen und albanischen Nationalisten gleichzeitig verfolgt.