Besetzte Häuser in Barcelona

Leben in der Lücke

Eurotop VIII: In der katalanischen Metropole Barcelona gibt es die meisten besetzten Häuser in Europa.

Unbestreitbar hat man von der Kasa de la Muntanya eine wunderschöne Aussicht über den Stadtkern und den Hafen von Barcelona. Doch dieser »strategische Blick« aus dem »Hauptquartier der Ocupas«, den das Bürgertum der katalanischen Metropole so sehr fürchtet, verdankt sich ursprünglich der Angst der gut situierten Gesellschaft vor Aufständen. Denn das seit fast elf Jahren besetzte Haus ist eine alte Kaserne der Guardia Civil, die 1809 gebaut wurde, um gegen die Banditen vorzugehen, die damals in den Wäldern rund um Barcelona aktiv waren. Heute ist das in der Nähe des von Antonio Gaudí gestalteten Parc Güell gelegene Haus problemlos mit der Metro zu erreichen.

Dass dieses Gebäude bis heute noch nicht geräumt wurde, liegt an seinem festungsartigen Charakter und an einem Streit um das Eigentumsrecht. Die Adelsfamilie, der das Land gehörte, auf dem die Kaserne steht, hatte es damals dem Staat nur zweckgebunden überlassen. Nun möchte sie die inzwischen wertvolle Immobilie wieder in Besitz nehmen. Auch die BesetzerInnen sind sich darüber im Klaren, dass sich der Streit nur darum dreht, wer von beiden - Staat oder Adel - den Räumungstitel unterschreiben darf. Doch solange es keine Einigung gibt, existiert auch die Kasa de la Muntanya.

Sie bildet eine Ausnahme in der ansonsten von Immobilienspekulationen geprägten Wirtschaftsmetropole Barcelona. Zwar beträgt die Arbeitslosigkeit im dreieinhalb Millionen EinwohnerInnen zählenden Großraum offiziell nur fünf Prozent. Aber in Spanien, wo es fast keine staatlichen Sozialleistungen gibt, bleibt vielen auch nichts anderes übrig, als jeden Job anzunehmen. »Wir werden in eineinhalb Jahren zwar dasselbe Geld haben wie alle Westeuropäer, aber weiterhin nur die halben Löhne«, klagt die 25jährige Carmen*. Als städtische Angestellte verdient sie in einem Vollzeitjob 600 Euro netto.

Der ökonomische Druck, der auf den Menschen lastet, ist groß. 80 Prozent der Appartements in der Stadt sind Eigentumswohnungen, und Jugendliche, die sich selbständig machen, zahlen die nächsten 30 Jahre lang Bankzinsen. Diese Situation verschafft aber auch der BesetzerInnen-Bewegung immer neuen Zulauf. Zwar versuchte die Stadtverwaltung immer wieder - wie 1992 vor und während der Olympischen Spiele - , gegen die Szene vorzugehen. Doch 1997 formierte sich eine neue Bewegung.

Über 70 Häuser sind zur Zeit in Barcelona besetzt, vor allem in den an die Altstadt grenzenden Stadtteilen Gràcia und Sants. Einige Häuser versuchen, sich ihren Nachbarn im Stadtteil als »centro social ocupa« zu öffnen, andere fühlen sich eher der Selbstmarginalisierungstradition der Punks verpflichtet, und manche ziehen eine stille Besetzung ohne großes öffentliches Aufsehen vor.

Im Sommer 1997 waren auch viele BesetzerInnen überrascht, als es nach der Besetzung des mitten in der Altstadt gelegenen »Cine Princesa« innerhalb weniger Wochen gelang, aus dem Haus ein kulturelles Zentrum zu machen, mit großer Ausstrahlung weit über die BesetzerInnen-Szene hinaus. Zu den meisten Feten und Konzerten kamen über tausend Leute. Die Stadtverwaltung reagierte prompt und ließ das Zentrum nach wenigen Monaten abreißen.

In den folgenden Monaten wies der sozialdemokratische Oberbürgermeister Joan Clos Vorschläge sozialer Einrichtungen, die eine Vertragslösung zumindest für die anderen besetzten Häuser vorsahen, brüsk zurück. »Verträge mit besetzten Häusern? So etwas gibt es nirgends auf der Welt«, behauptete er lapidar, obwohl der Consell de la Juventud (Stadtjugendring) eine ganze Reihe solcher Verträge sowohl aus Spanien als auch aus dem Ausland vorgelegt hatte.

Seitdem bewegte sich bei der Kommunalverwaltung nichts mehr. Darum hängt die Zukunft vieler Häuser von Gesetzeslücken ab. So hat zum Beispiel der Eigentümer der im Stadtteil Sants gelegenen besetzten Fabrik »l'Hamsa« zumindest momentan ein Interesse an der Besetzung, weil er sich sonst um seine leerstehende Fabrik kümmern müsste. Dennoch hat der Staat schon dreimal vergeblich Anlauf genommen, das Zentrum zu räumen.

Zwar wird alle paar Wochen ein Haus geräumt. Aber im Gegenzug gelang es bisher jedes Mal, den Vorsatz »eine Räumung - eine Neubesetzung« in die Tat umzusetzen. Etwa 500 Leute stecken zur Zeit in Verfahren wegen Besetzung und Widerstands, die mit Geldstrafen oder im Wiederholungsfalle mit einigen Monaten Knast enden können.

Doch auch die BesetzerInnen selbst haben nur geringes Interesse an einer Verhandlungslösung. Zu groß ist das Misstrauen, dass sie in »gute« und »böse« gespalten werden sollen. »Bevor wir überhaupt Gespräche mit dem Staat oder der Stadt beginnen würden, müssten erst einmal der Paragraph aus dem Gesetzbuch gestrichen werden, der Besetzungen illegalisiert«, meint Miguel*, einer der Besetzer der Kasa de la Muntanya. »Außerdem müssten alle anhängigen Strafverfahren eingestellt und eine Lösung für alle Häuser gefunden werden.«

Nicht ohne Stolz führt Miguel durch die Kasa. So festungsartig das Gebäude von außen aussieht, so nett wirkt es von innen. Hat man die Hofdurchfahrt durchschritten, erinnert es an eine mexikanische Hacienda. Links die Volxküche und ein Infobüro; in den alten Stallanlagen gibt es Werkstätten, eine Druckerei und ein Videostudio. Auch das riesige Planschbecken im Hof darf nicht unerwähnt bleiben.

Innerhalb der Bewegung brechen ähnliche Widersprüche auf, wie sie aus der Berliner HausbesetzerInnen-Szene bekannt sind. Soll man auf die eigene Stärke vertrauen oder versuchen, sich mehr in den Stadtteil zu integrieren? Deutlich ist die Tendenz zu bemerken, auf die Bevölkerung zuzugehen. »Die Jungen kommen zu uns, und wir gehen zu den Alten«, erzählt Maria* aus einem besetzten Sozialen Zentrum in Sants. So beteiligt man sich selbstverständlich am tagelangen offiziellen Stadtteilfest »fiesta mayor« mit »contra el racisme, sants amb ritme«. An fast jeder Straßenecke findet man die wöchentlichen Wandzeitungen der BesetzerInnen-Bewegung, in denen Veranstaltungen in den Häusern angekündigt werden, aber auch zu allen möglichen aktuellen sozialen Konflikten Stellung genommen wird. Sie sind auf spanisch und katalanisch geschrieben - eine Ausnahme, da auch die Linke mit dem katalanischen Separatismus sympathisiert und häufig nur die Regionalsprache verwendet.

Anlässe für die »Contra-información« gibt es in Barcelona genug. In diesen Wochen finden die Prozesse wegen dreier Räumungen in den letzten Jahren statt, darunter die des »Cine Princesa«.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.