Die UN-Intervention in Sierra Leone destabilisiert Westafrika

Außerordentliche Maßnahmen

Nach der Rückkehr aus Westafrika zeigte sich die Delegation des UN-Sicherheitsrates besorgt: Die Lage stelle »eine außerordentliche Herausforderung dar, die außerordentliche Maßnahmen erfordert«. In ihrem am 19. Oktober veröffentlichten Bericht wird gefordert, die Truppenstärke der UN-Mission in Sierra Leone (Unamsil) von 13 000 auf 20 500 zu erhöhen.

Fast die Hälfte aller UN-Soldaten - gegenwärtig 37 000 an 14 Einsatzorten - wäre dann in Sierra Leone stationiert. Der in der Geschichte der UN-Interventionen beispiellose Aufwand gilt der von Foday Sankoh geführten Vereinigten Revolutionären Front (Ruf). Ursprünglich zur Überwachung eines Friedensabkommens entsandt, kämpft die Unamsil an der Seite der von Tejan Kabbah geführten Regierung gegen die Ruf. Verhandlungen mit einer ausreichend geschwächten Ruf werden für die Zukunft nicht ausgeschlossen, aber, so der Vorsitzende der Delegation, der britische Botschafter Jeremy Greenstock: »Es muss militärischen Druck auf die Ruf und ihre Hintermänner geben« - eine kaum verhüllte Drohung auch an die Adresse des liberianischen Staatschefs Charles Taylor, der als wichtigster ausländischer Unterstützer der Ruf gilt.

Unstrittig ist, dass die Ruf Anfang Mai mit der Entführung von mehr als 500 UN-Soldaten auf recht spektakuläre Weise das Friedensabkommen gebrochen hatte. Die Verweigerung jeglicher Verhandlungen und die mit britischer Hilfe in kaum mehr als einer Woche organisierte Offensive gegen die Ruf legen jedoch den Verdacht nahe, dass so manche nur auf eine Provokation gewartet hatten, die ihnen die Rechtfertigung für einen Militärschlag und die Inhaftierung Sankohs bot.

Sankoh wollte durch die Geiselnahme die UN-Truppen daran hindern, in die von der Ruf kontrollierten Diamantenabbaugebiete vorzudringen. Doch bei westlichen Regierungen und Konzernen hat sich in jüngster Zeit der Wunsch verstärkt, die rohstoffreichen Gebiete Afrikas wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die britische Regierung und der Diamantenkonzern DeBeers stehen an der Spitze einer Initiative, die afrikanische Warlords von ihrer wichtigsten Einkommensquelle, dem Rohstoffexport, abschneiden will.

Die westlichen Staaten haben an politischem Einfluss, die Konzerne Marktanteile verloren. Die Warlordisierung ist geschäftsschädigend geworden und soll zurückgedrängt werden - mit Hilfe von Warlords. Die Unamsil ist Teil eines bizarren Joint Ventures von etwa 400 britischen »Militärberatern«, diversen Milizen und der Truppe des Ex-Putschisten Johnny Paul Koroma. Eine erste Abspaltung aus dieser heterogenen Koalition, die Rebellion der »West Side Boys«, wurde von eilig eingeflogenen britischen Elitetruppen blutig niedergekämpft.

Auch nach einer Verstärkung der Unamsil ist ein schneller Sieg über die Ruf unwahrscheinlich. Die UN-Truppe gilt als zerstritten und ineffizient. Die Dominanz Nigerias und seiner westafrikanischen Verbündeten, die den Einsatz als Mittel betrachten, ihre politischen und geschäftlichen Interessen durchzusetzen, machen den Konflikt in Sierra Leone mehr und mehr zu einem regionalen Machtkampf. Guinea gibt, sekundiert von Nigeria, Taylor und der Ruf die Schuld an den Kämpfen im Süden des Landes. Taylor kontert mit dem Vorwurf, Guinea unterstütze die Angriffe liberianischer Rebellengruppen. Es kam bereits zu ersten Grenzzwischenfällen. Damit ist eine dem Kongo-Konflikt vergleichbare Internationalisierung des Krieges in greifbare Nähe gerückt.