Machtkampf in der FPÖ

Kein Feind, kein Ehr

Haiders Einfluss schwindet, doch das »einfache Parteimitglied« kämpft nicht nur innerhalb der FPÖ erbittert um seine Macht.

Ein »Supertalent«, ein »Finanzgenie«, ein »Sunnyboy« und »Wunderknabe« - mit solchen Titeln wird zur Zeit der 31jährige Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) selbst von linksliberalen österreichischen Zeitungen überhäuft. Fast nur Lob findet sein schonungsloser Sparkurs, der bereits für 2002 einen ausgeglichenen Haushalt vorsieht, obwohl die Alpenrepublik momentan in der Europäischen Union das höchste Budgetdefizit erwirtschaftet. Everybody's Darling verhandelt auch nur sehr selten - und wenn, dann ungern. Empörte Gewerkschaften? Tobende Opposition? Warnende Koalitionspartner? Grasser ist nicht zu bremsen. Das Parlament? Für den blaugelben Rising Star lediglich ein Kasperltheater. Hinter dem stets verbindlichen Lächeln Grassers verbirgt sich ein harter neoliberaler Rationalisierer.

Der Kärntner Grasser - einst als Lieblingszögling von Jörg Haider in die FPÖ geholt, doch wenig später schon als Verräter gebrandmarkt und mit Schimpf und Schande aus der Partei gejagt - gilt, nachdem er auf wundersame Weise wieder aus der Versenkung aufgetaucht ist, als eine Hoffnung der Freiheitlichen. Keine unbeherrschten Parolen mit latent rassistischer Komponente, keine populistischen Bierzelt-Auftritte, keine wüsten Beschimpfungen europäischer Spitzenpolitiker, keine EU-feindlichen Wortspenden - der ideale FPÖ-Führer der Zukunft. Sogar Haiders tägliche Kontrollanrufe, so wird berichtet, nimmt er kaum noch entgegen.

Klar, dass Haider so etwas überhaupt nicht gefällt. War er doch bis vor kurzem selbst noch der junge aufstrebende Politstar, der mit seinem Stammtisch-Charisma die österreichische Arbeiterschaft in Scharen aus der SPÖ in seine Partei herüberholte, zum Seriensieger sämtlicher Wahlen avancierte und die Fünf-Prozent-Randgruppe zu einer mächtigen fundamentalistischen Rechtsaußen-Oppositionspartei formte. Jörg Haider hat die FPÖ nicht erschaffen - er ist die FPÖ.

Doch nun muss er, mangels eines anderen Amtes, in Klagenfurt auf Landeshauptmann machen. Wirklich ausüben mag Haider seinen Job nämlich nicht. Auf Landtagssitzungen sieht man ihn kaum. Warum sollte ein europaweit gefürchteter Rechtspopulist auch Freude dabei empfinden, sich mit zweit- und drittklassigen Provinzpolitikern über wenig bis gar nicht Publicity-trächtige Themen zu streiten?

Doch ohne Parteiamt findet Haider kein Podium für rechte Stimmungsmache. Er fühlt sich ins Abseits gedrängt. Der hautnahe Kontakt zu seinen Erzfeinden, die sowohl in der Opposition als auch in der ÖVP zu finden sind, fehlt ihm, und das macht ihn merklich unruhig. Dazu kommt das beklemmende Gefühl, von einem wie Wolfgang Schüssel, den Haider drei Nummern kleiner wähnte, übervorteilt worden zu sein. Vor sich her treiben wollte er die ÖVP eigentlich, die als traditionelle Nummer zwei neben den Sozialdemokraten schon auf die dienende Rolle festgelegt schien. Und nun sind die Schwarzen die unangefochtene Vormacht in der Regierung; während die FPÖ ohne Haider und mit schwachen Ministern als Juniorpartner dasteht.

Hatte Wolfgang Schüssel mit einer solchen Entwicklung gerechnet, als er die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ platzen ließ und die Freiheitlichen auf die Regierungsbank holte? Mittlerweile traut man dem besten Bundeskanzler sogar zu, dass er die von den 14 EU-Staaten verhängten Sanktionen bewusst in Kauf genommen haben könnte, nur um Jörg Haider dorthin zu zwingen, wo er den geringsten Schaden anrichten kann: heim ins Reich, nach Kärnten.

Tatsächlich aber wären Haiders Existenzängste kaum begründet. Schließlich diktierte Haider erst kürzlich aus Klagenfurt dem Bundeskanzler, wie der sich zum Thema »Volksbefragung - EU-Sanktionen ja oder nein?« verhalten soll, und droht auch jetzt noch, die Konferenz von Nizza im Dezember sei »gestorben«, wenn die Sanktionen gegen Österreich bis dahin nicht aufgehoben würden. Haider sitzt nach wie vor im Koalitionsausschuss, hat mit FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler seinen Lautsprecher im Parlament und genießt als »einfaches Parteimitglied« und Landeshauptmann von Kärnten weiterhin die ungebrochene Zuneigung sämtlicher Medien.

Während seine Ziehsöhne und -töchter Österreich regieren, denkt der Gründervater darüber nach, was er wem noch nicht gesagt hat und wie er neue Schlagzeilen produzieren kann. Wenn Haider spricht, dann lauscht das Land, trotz der für österreichische Verhältnisse enormen Entfernung zwischen Klagenfurt und Wien.

Der Bündnispartner ÖVP ist unterdessen krampfhaft bemüht, den Koalitionsfrieden so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Während Kenner der Szene längst von unüberwindlichen Differenzen und gravierenden Auffassungsunterschieden sprechen, ist die Volkspartei stets darauf bedacht, den freiheitlichen Juniorpartner in der Öffentlichkeit als gleichwertige Kraft zu präsentieren.

Was die FPÖ aber nie war, nicht ist und wohl auch so schnell nicht sein wird. Denn die FPÖ-Minister bekleiden vornehmlich jene Ressorts (Soziales, Finanzen, Verkehr, Verteidigung), die nach den Vorgaben des FPÖVP-Regierungsprogramms permanent sparen müssen und somit beim jahrelang umworbenen »kleinen Mann« alles andere als gut ankommen. Bundeskanzler Schüssel mit seiner ÖVP hingegen hat bei Umfragen Erfolg, zumal er zusätzlich von einem in Österreich traditionellen Kanzlerbonus profitiert und nach der zu erwartenden Aufhebung der Sanktionen der EU-14 als Nationalheld gefeiert werden wird.

All diese Umstände müssen Jörg Haider maßlos ärgern. Seit zwei Wochen ist deshalb wieder von seiner Kanzlerkandidatur zu hören. Einen baldigen Wechsel in die Bundespolitik schließt Haider allerdings aus, denn er wolle »kein Zweiter« in einer Regierung sein. Dass Haiders Kanzler-Pläne Vizekanzlerin Susanne Rieß-Passer (FPÖ), eine langjährige treue Gefolgsfrau, offiziell natürlich sehr freuen, liegt auf der Hand. Mit dem Jörg noch einmal so richtig durchstarten - das wäre schon was. Nur: Was wird passieren, wenn Grassers Null-Defizit ohne gröbere Schäden gelingt? Oder wenn man, wie bereits geplant, die hilflosen Minister im Herbst kurzerhand auswechselt? Wird man Jörg Haider dann noch brauchen?

Es ist schon eine verkehrte Welt, in der Haider zur Zeit agiert. Früher war er die Opposition - und kannte seine Feinde genau. Jetzt, da seine Freiheitlichen das Land mitregieren und es praktisch keine Opposition mehr gibt, wird sich Haider seine Gegner anderswo suchen müssen - nämlich in der Koalition. Die eigenen Reihen wird er dabei kaum verschonen können. Der Kampf um die Macht in der FPÖ hat bereits am 1. Mai begonnen, als Jörg Haider sich vom Parteivorsitz verabschiedete.