Die kleine Ethno-Wahl

Die Kommunalwahlen im Kosovo werden den ethnischen Separatismus im UN-Protektorat institutionalisieren.

Mit der Republik Kosova geht es aufwärts. Nach dem Aufbau des aus der UCK hervorgegangenen paramilitärischen Kosovo-Schutz-Korps (TMK) und der Eröffnung einer eigenen Post- und Telefongesellschaft finden am 28. Oktober die ersten Kommunalwahlen im UN- und Nato-Protektorat statt. Bis Anfang August hat sich rund eine Million Stimmberechtiger registrieren lassen.

Wie in den anderen Institutionen der Provinz, die laut UN-Vereinbarung offiziell noch zu Jugoslawien gehört, wird auch in den Gemeinderäten die albanische Bevölkerung weitgehend unter sich bleiben. Von den etwa hunderttausend noch im Kosovo lebenden SerbInnen haben sich gerade mal tausend registrieren lassen. Die anderen boykottieren die Wahlen. Oliver Ivanovic, Chef des Serbischen Nationalrates (SNV), fordert, dass erst einmal die über 200 000 geflohenen SerbInnen in die Provinz zurückkehren müssten: »Die Serben werden nicht abstimmen und wir werden die Legitimität dieser Wahlen nicht anerkennen«, sagte er der Jungle World. Der smarte Politiker und Inhaber eines Karate-Clubs kontrolliert mit seiner Organisation die an Serbien grenzende Region nördlich der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica. In diesem bereits vor dem Krieg mehrheitlich von SerbInnen bewohnten Gebiet haben sich Tausende von Flüchtlingen aus dem restlichen Kosovo gesammelt (Jungle World, 10/00).

Der kosovo-albanische Nationalstaat im Aufbau gewährt SerbInnen und anderen Minderheiten wie den Roma keine Bewegungsfreiheit, sie bleiben in wenige Enklaven eingesperrt. Unter den gegebenen Umständen drohen die vom UN-Verwalter Bernard Kouchner organisierten Wahlen die ethnische Teilung der Provinz weiter zu festigen. Das scheint den Franzosen nicht zu stören. »Es tut mir leid für sie«, kommentierte Kouchner den Boykott der Serben. Wegen der permanenten Angriffe auf die serbische Minorität hat Médecins Sans Frontières vergangene Woche ihre Arbeit in drei Enklaven im Nordkosovo unterbrochen. Die Organisation warf UN und Nato vor, SerbInnen nicht ausreichend zu schützen. Erst letzten Samstag wurden im Dorf Crkvene Vodice acht Kinder verletzt, auf die aus einem fahrenden Auto drei Handgranaten geworfen worden waren. Und nur einen Tag vorher war in Pristina vor einem OSZE-Gebäude eine Bombe gezündet worden, die das Büro des serbischen Zentrums für Frieden und Toleranz und einer Partei der türkischen Minderheit zerstörte.

Die Stimmung im Kosovo könnte widersprüchlicher nicht sein. In der gespaltenen Stadt Mitrovica, der zweitgrößten im Kosovo, wird das deutlicher als an jedem anderen Ort der Provinz. Während im albanisch bewohnten Süden die von serbischen Paramilitärs zerstörten Wohnhäuser wieder aufgebaut werden, der Marktplatz an der Moschee zu einem florierenden Handelsplatz geworden und in der Hauptstraße jeden Abend Street-Party angesagt ist, herrscht im Norden Depression. In den wenigen Bier-Bars geben sich serbische Nationalhelden ihren Kriegserinnerungen hin. Die Versorgungslage ist mies.

In dieser angespannten Situation ließ Kouchner letzte Woche die Bleischmelzerei im Dorf Zvecan bei Mitrovica im Morgengrauen von 800 Kfor-Soldaten schließen. Die serbische Belegschaft reagierte mit tagelangen heftigen Protesten. Der jugoslawische UN-Botschafter beantragte eine Sicherheitsratssitzung. Kouchner begründete die Entscheidung mit der extremen Umweltbelastung durch die erst kürzlich wieder in Betrieb genommene Fabrik, die Teil des Bergbaukombinats Trepca ist. Die 1 800 hauptsächlich serbischen Arbeiter bekommen zwar ihren Lohn weiter ausbezahlt und sollen bei Reparaturarbeiten eingesetzt werden, Ivanovic begründete die Proteste aber mit der postkolonialen Form der Besetzung. »Natürlich gibt es in Zvecan ein Umweltproblem«, sagte er, »aber warum muss die Kfor die Fabrik auf eine so brutale Weise räumen?« Die Serben befürchten, dass die Besetzung Zvecans in Wirklichkeit die Fabrik der Kontrolle Belgrads entziehen soll. Und in der Tat hatte die Unmik am Tag vor der militärischen Räumung der Mine angekündigt, dass das gesamte Trepca-Bergbaukombinat im Laufe der nächsten drei Jahre modernisiert wird. Die 16-Millionen-Dollar-Investition wird von einem EU-USA-Konsortium getätigt. Das Unternehmen wird also übernommen.

Diese postkoloniale Aneignungsmaßnahme zeigt, dass die Trennungslinien im Kosovo nicht nur entlang ethnisch-nationaler Grenzen verlaufen. Auch innerhalb der ethnisierten Lager streiten sich unterschiedliche Fraktionen. Auf albanischer Seite konkurrieren bei den anstehenden Kommunalwahlen hauptsächlich zwei Parteien um die Macht. Nach Meinungsumfragen liegt Ibrahim Rugovas Demokratische Liga Kosovas (LDK) vorne. Die aus der UCK hervorgegangene Demokratische Partei Kosovas (PDK), welche von Hashim Thaqi geführt wird, ist die zweite bedeutende Kraft. Daneben haben sich aus der alten UCK-Struktur weitere Parteien abgespalten, von denen die Allianz für die Zukunft Kosovas (AAK) die wichtigste ist. Sie wird vom Ex-UCK Kommandanten Ramush Haradinaj geleitet und stellt wie LDK und PDK in fast allen Wahlkreisen Kandidaten.

Die politischen Differenzen sind indes wenig markant. Alle beteuern, ein demokratisches Kosovo schaffen zu wollen. Alle sind sich im Programm des Nation Building einig, und alle wollen die Unabhängigkeit von Belgrad so schnell wie möglich erreichen.

Die Streitigkeiten scheinen dennoch heftig zu sein. In den letzten Tagen wurden mehrmals LDK-Politiker zum Ziel bewaffneter Anschläge. Sie hatten sich zuvor öffentlich über Einschüchterungen durch PDK-Mitglieder beklagt. In Maliseva wurde letzten Freitag ein Sprengstoffanschlag auf das LDK-Büro verübt. Beobachter vermuten hinter den Gewalttaten vor allem Rangeleien um Macht und Einfluss auf lokaler Ebene. Tatsächlich müssen Ex-UCK-Kommandanten und heutige PDK-Politiker, die in den Tagen nach dem Rückzug der Jugoslawischen Bundesarmee im Juli 1999 viele Bürgermeisterämter eingenommen haben, jetzt um diese Posten fürchten, weil ihre zivilen Fähigkeiten in den Augen der Bevölkerung zu wünschen übrig lassen.

Das gesteht selbst PDK-Mitglied Bajram Rexehpi ein, der von der UCK zum provisorischen Bürgermeister Süd-Mitrovicas ernannt wurde. Im Gespräch mit Jungle World unterstützt er dennoch die Wahlen zum jetzigen Zeitpunkt. Sie legitimierten die lokalen Institutionen und seien der erste Schritt zur Durchführung kosovoweiter Wahlen, die endlich zur Unabhängigkeit führen könnten.

Die serbische Minderheit ist nicht minder zerstritten. Während sich Oliver Ivanovics SNV als nationalistischer Hardlinerverein profiliert, steht ihm eine gemäßigte Gruppe um Bischof Artemije und die Politikerin Rada Trajkovic gegenüber. Ihr Zentrum befindet sich in der Enklave Gracanica. Trajkovic erklärte dem Belgrader Radio Sender B2-92 kürzlich: »Wir wollen eine Bevölkerung, die demokratisch denkt, für zwischen-ethnische Toleranz eintritt und sich nicht nationalistisch vereinnahmen lässt.« Die serbische Minderheit neigt aber, wie der SNV, eher der »patriotischen Opposition« von Vojislav Kostunica zu. Die großserbischen Töne des chancenreichsten oppositionellen Präsidentschaftskandidaten bei den jugoslawischen Wahlen kommen in den belagerten serbischen Enklaven des Kosovo gut an. Der amtierende Präsident Slobodan Milosevic hat dagegen nicht nur den Krieg um das Kosovo verloren, sondern auch die Sympathie der verbliebenen Kosovo-Serben.