Italienische Flüchtlingspolitik

Ein Land als Lager

Die zahlreichen Toten machen es deutlich - in der Adria findet ein regelrechter Krieg statt. Ungewöhnlich sind lediglich die Gegner. Auf der einen Seite der italienische Staat, auf der anderen eine gesamte Berufsgruppe im Nachbarstaat Albanien: Die Schmuggler und Schleuser. Nachdem Ende Juli ein albanisches Schlauchboot mit einem Boot der italienischen Küstenwacht kollidierte, ist dieser nie erklärte Krieg wieder ins Bewusstsein der Italiener getreten. Kaum einer erinnert sich dabei an einen ähnlichen Zusammenstoß vor drei Jahren, als das Flüchtlingsschiff »Kater I Rades« von der Marine versenkt wurde. Denn diesmal starben keine Flüchtlinge, sondern zwei italienische Beamte der Guardia di Finanza.

Jetzt wird in der italienischen Öffentlichkeit ein hartes Durchgreifen gefordert. Der Präsident der Anti-Mafia-Kommission, Giuseppe Lumia plädierte - unter Beifall der rechten Oppositionskoalition - für den Einsatz von Schusswaffen gegen die albanischen Schleuser. Dabei hat auch Lumia längst erkannt: Je fester die Grenzen geschlossen sind, desto verzweifelter sind die Versuche, sie zu durchbrechen. Und desto teurer. Im hohen Preis sieht der Schmuggel-Jäger auch den Grund, »warum sie bereit sind, vor nichts Halt zu machen«.

Der italienische Premierminister Giuliano D'Amato reagierte umgehend auf die scharfen Töne und reiste nach Tirana. Mit der Drohung, dem Balkanland alle finanziellen Hilfen zu streichen, setzte er sich durch. Der albanische Premier Ilir Meta ließ sich einen Gesetzentwurf diktieren, der die Beschlagnahme von Schlauchbooten ermöglicht, wie sie für den Transport von Immigranten verwendet werden.

Zudem braucht die italienische Polizei nicht länger darauf zu warten, dass die albanischen Schlauchboote in See stechen, um sie dort abzufangen. Die Italiener sollen ab sofort in Zusammenarbeit mit der albanischen Polizei direkt auf albanischem Boden operieren. Schon jetzt sind rund 80 italienische Beamte in Albanien stationiert, um die Einwanderung nach Italien effizient zu behindern. D'Amato kündigte an, ihre Zahl zu erhöhen.

Der albanische Präsident Rexhep Meidani sträubte sich zunächst gegen die Forderungen; sie würden die Souveränität seines Landes in Frage stellen. Dabei ist diese längst erheblich eingeschränkt. Denn D'Amato ist nicht nur Premierminister in Albaniens wichtigstem westlichen Partnerland, er ist auch der für Albanien zuständige Vertreter des Internationalen Währungsfonds, der seit 1992 in Albanien eine rabiate Privatisierung vorantreibt.

Italien rüstet auf gegen die Immigration. Doch die Hysterie hat wenig mit der Realität zu tun. Tatsächlich sind in diesem Jahr nur noch halb so viele Einwanderer in das Land gekommen wie im Vorjahr. So aufgeblasen die Diskussion, so abwegig die Antworten. Denn nur noch rund zwanzig Prozent der Immigranten sind Albaner. Die clandestini, die über die Meerenge bei Otranto kommen, sind vor allem Kurden aus der Türkei und dem Irak, Roma aus dem Kosovo und Chinesen.

Sollte durch die neuen Polizeimaßnahmen tatsächlich das Schlupfloch in der Adria wirksam gestopft werden, könnte es in Albanien bald so ähnlich aussehen wie während des Kosovo-Krieges. Denn über so praktische Rückführungsabkommen, wie sie die EU-Länder mit den Herkunftsländern abgeschlossen haben, verfügt Albanien nicht. Eine bequeme Lösung: Albanien als ständiges Flüchtlingslager der EU.