Anti-Lufthansa-Kampagne

Kraniche auf Todesflug

Exklusiv fliegen in der »Deportation Class»: Trotz schwerer Vorwürfe will die Lufthansa nicht auf das Geschäft mit Abschiebungen verzichten.

Der Kranich, in Ostasien Symbol langen Lebens und der Unsterblichkeit, in der Antike des kommenden Frühlings und der Lebensfreude, ist das Firmenemblem der Deutschen Lufthansa AG. Der große Vogel mag dort vielleicht für die Lebensfreude mancher Urlauber sorgen, für die Unversehrtheit seiner Passagiere steht er jedenfalls nicht.

Die Rede ist nicht von Flugzeugabstürzen, sondern von Todesfällen und Verletzungen so genannter Schüblinge - Menschen ohne deutschen Pass, die gewaltsam abgeschoben werden. Vor knapp einem Jahr, am 28. Mai 1999, starb Aamir Ageeb an Bord der Lufthansa-Maschine LH 558 nach Kairo. Er sollte in den Sudan abgeschoben werden. Drei Beamte des Bundesgrenzschutzes hatten den 30jährigen so misshandelt, dass er erstickte. Die Grenzschützer hatten ihm einen Motorradhelm aufgesetzt, ihn an Händen und Füßen gefesselt und beim Start der Maschine seinen Kopf zu den Knien gedrückt.

Ageeb war nicht das erste Opfer der Abschiebepraxis in einem Flugzeug der Lufthansa. Bereits 1994 war Kola Bankole aus Nigeria ebenfalls in einer Maschine des Unternehmens getötet worden: Grenzschützer hatten den herzkranken abgewiesenen Asylbewerber wie ein Paket verschnürt und ihm einen Strumpfknebel in den Mund geschoben. Zusätzlich verabreichte ihm ein Arzt noch eine Beruhigungsspritze.

Trotz dieser Todesfälle wird weiter abgeschoben - die Ausländerbehörden, die Innenministerien der Bundesländer, der Bundesgrenzschutz, verschiedene Fluglinien sowie deren Sicherheitspersonal sind die Akteure. Aus dieser Abschiebekette hat sich das bundesweite Netzwerk »kein mensch ist illegal« nun die Fluggesellschaft Lufthansa als letztes, deshalb aber nicht weniger wichtiges Ziel ausgesucht. Mit ihrer Kampagne »Deportation Class - gegen das Geschäft mit Abschiebungen« will der Zusammenschluss antirassistischer Initiativen auf die Lufthansa Druck ausüben und Passagiere sowie Bordpersonal zum Eingreifen auffordern.

Von den rund 33 000 Abschiebungen und 57 000 Zurückweisungen an der Grenze im vergangenen Jahr wurde ein Großteil der Flüchtlinge über den Luftweg abgeschoben. Genaue Angaben über die Zahl der »zwangsweisen Rückführungen« mit Hilfe der Lufthansa liegen dem Netzwerk aber nicht vor: »Der Konzern kennt angeblich keine Zahlen.« Nach eigenen Recherchen, die in Teilen auf Angaben von Flughafen-Sozialdiensten und Lufthansa-Mitarbeitern beruhen, schätzt »kein mensch ist illegal« grob, dass das Unternehmen jährlich zwischen 10 000 und 20 000 Abschiebungen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten durchführt.

Die Fluglinie ermöglicht Abschiebungen rund um die Uhr in fast jedes Land der Welt. Wegen ihrer zahlreichen Direktverbindungen erleichtert sie das Geschäft, denn Einzelabschiebungen würden ohne die regulären Linien- und Charterflüge nicht so reibungslos funktionieren.

Um hier erfolgreich zu sein, buchen die Behörden gerne Direktflüge. Grund dafür ist, dass BGS-Beamte auf Transitflughäfen, auf denen die Maschine landet oder auf denen ein Flugzeugwechsel stattfindet, keinerlei Befugnisse haben. Häufig scheitern Abschiebungen, weil sich die Abgeschobenen beim Umsteigen weigern, das Flugzeug zu verlassen und die jeweiligen Landesbehörden keine Veranlassung zum Eingreifen sehen.

Doch nicht nur in den Transitländern haben BGS-Angehörige eigentlich nichts zu sagen. »Die polizeilichen Befugnisse dieser Beamten enden mit dem Schließen der Außentüren des Flugzeuges«, so die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Bundestag. Der Flugkapitän ist - neben dem Bordpersonal und den anderen Passagieren - verpflichtet, gegen Zwangsmaßnahmen einzuschreiten, will er sich nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen.

Diese Feststellung, nach der die Polizei an Bord den übrigen Passagieren gleichgestellt ist und jedes gewaltsame Handeln der zu Privatpersonen gewordenen Beamten in die Verantwortung des »Luftfahrzeugführers« fällt, weist die Lufthansa bislang zurück. Zwar verfüge der Flugkapitän über die Polizeigewalt, um aber seiner Aufgabe im Cockpit nachzukommen, müsse er sich auf die »ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung« durch die BGS-Beamten verlassen, so Michael Lamberty, Pressesprecher der Fluggesellschaft. Und: »Jeder Einzelne von ihnen hat zuvor bei Lufthansa eine gründliche einwöchige Schulung durchlaufen. Inhalte sind unter anderem die psychologische Dimension und die flugzeugspezifischen Gegebenheiten an Bord eines Verkehrsflugzeuges.«

Zwar fliegen etwa 90 Prozent der Abgeschobenen ohne unmittelbare Gewaltanwendung - der BGS überwacht lediglich den Einstieg ins Flugzeug -, doch allein 1998 begleiteten über 9 000 Beamte auf ihre Weise jene rund zehn Prozent der Abzuschiebenden, die als »renitent« oder »potenziell gefährlich« eingestuft werden. Wegen mangelnder Polizeibefugnisse an Bord arbeiten die zuständigen Behörden verstärkt mit Fluggesellschaften zusammen, die ihr eigenes Sicherheitspersonal stellen - beispielsweise die staatliche rumänische Tarom. Auch die Lufthansa setzt zuweilen ihr eigenes Personal bei Abschiebungen ein. Nach Angaben von Lamberty fliegt das Sicherheitspersonal des Unternehmens »im Ausnahmefall bei größeren Gruppen oder Familien« mit.

Mittlerweile hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Bestimmung erlassen, dass der BGS Ausländer nicht mehr um jeden Preis abschieben darf und gegebenenfalls die Abschiebung abbrechen muss -zumal wenn das Leben des Flüchtlings gefährdet ist. Nach dieser Anweisung sind Motorradhelme, die bis jetzt üblichen Knebel und ein Verkleben der Fingernägel ebenso unzulässig wie die Verabreichung von Psychopharmaka. Fesseln aus Stahl oder Plastik und Klettband an Händen und Füssen sind aber weiterhin erlaubt.

Anfang April behauptete die Lufthansa als Reaktion auf die Proteste, seit Juni letzten Jahres keine Abzuschiebenden zu akzeptieren, bei denen mit Widerstand zu rechnen sei. Doch bei »kein mensch ist illegal« ist man skeptisch - war doch erst am 13. März dieses Jahres an Bord der LH 4115 von Paris nach Berlin eine gewalttätige Abschiebung beobachtet und verhindert worden. Nach Zeugen-Angaben habe die Crew die Gewaltanwendung der französischen Polizei tatenlos hingenommen. Erst als ein Passagier dem Flugkapitän rechtliche Schritte androhte, sei die Abschiebung abgebrochen worden, so der Zeuge.

Aber das Netzwerk möchte noch einen Schritt weiter kommen. Die Lufthansa soll nicht nur wie die SwissAir ihre Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen einstellen. »Wir wollen, dass die Lufthansa erklärt: Keine Abschiebung gegen den Willen der Flüchtlinge«, so Gisela Seidler von »kein mensch ist illegal«. Die Münchner Rechtsanwältin fordert damit das, was die belgische Fluggesellschaft Sabena seit dem Tod der 20jährigen Semira Adamu praktiziert. Die Lufthansa könne sich auch nicht auf ihre Beförderungspflicht berufen, so Seidler: »Das Luftverkehrsgesetz besagt lediglich, dass jeder, der einen Personentransport mit dem Flugzeug wünscht, auch zugelassen werden muss. Die Beförderungspflicht hat aber nicht zum Inhalt, dass Menschen, die nicht fliegen wollen, geflogen werden müssen.«