Viel Arbeit, wenig Ruhm

Portugal will sich während seiner Ratspräsidentschaft vor allem in der EU-Außenpolitik profilieren.

Sein Land erlebe derzeit die besten Jahre seit der Ära der großen Entdeckungen, ereiferte sich kürzlich der portugiesische Botschafter in Deutschland. Die kleine Nation am Rande von Europa habe seit seinem EU-Beitritt einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Es sei daher eine große Ehre, dass Portugal nun die erste EU-Ratspräsidentschaft im neuen Jahrhundert übernehmen dürfe.

Tatsächlich hat die Teilnahme am Euro und die wirtschaftliche Aufholjagd zu anderen EU-Staaten eine gewisse Euphorie bei der Bevölkerung aufkommen lassen. Selbst die OECD hat in ihrem letzten Länderbericht die wirtschaftliche Entwicklung des Landes als »bemerkenswert« bezeichnet. Der steigende Wohlstand in den Städten ist deutlich sichtbar.

Portugal ist es gelungen, innerhalb weniger Jahre zum europäischen Musterschüler aufzusteigen. So wurden die Maastrichter Kriterien für den Eu-ro-Beitritt mit Hilfe einer straffen Haushaltspolitik und durch die Privatisierungen von Staatsbetrieben fast alle erfüllt.

Seit 1995 liegt das Wachstum bei durchschnittlich 3,5 Prozent im Jahr; damit gehört Portugal neben Irland und Finnland zu den wirtschaftlich am stärksten expandierenden Ländern der EU. Die Arbeitslosenrate ist seit 1996 von 7,3 auf 4,5 Prozent gefallen, bei Jugendlichen ist die Quote sogar geringer als in Spanien und Italien.

Doch trotz der guten Wirtschaftsdaten liegt der Lebensstandard immer noch weit hinter dem EU-Mittelwert zurück. Die gesteigerte Kaufkraft und das Konsumverhalten der Bevölkerung haben zur Folge, dass sich immer mehr Portugiesen verschulden. Dabei entspricht das monatliche Gehalt gerade einmal einem Viertel des deutschen Durchschnitts - und das, obwohl das Preisniveau längst angepasst ist. Und während die Großbaustellen auf dem Expo-Gelände als nationale Prestigeobjekte gefeiert werden, wird die andere Seite des portugiesischen Wirtschaftswunders kaum zur Kenntnis genommen.

In Zeiten, in denen das Land in einen regelrechten Konsumrausch verfallen ist, würde die sozialistische Regierung das Armutsproblem gern zu einem Relikt einer fernen Vergangenheit erklären. Doch die Slums von Lissabon und Porto sind nicht zu übersehen.

Die Regierung versucht zwar, mit einem Sonderprogramm, für das 2,2 Milliarden Mark zur Verfügung stehen, etwa 150 000 Menschen aus den Slums in neue Quartiere zu holen. Die Neubausiedlungen reichen allerdings kaum noch aus, um den Bedarf zu decken, obwohl erst knapp 20 Prozent der Bewohner umquartiert werden konnten.

Die sozialistische Regierung in Lissabon lässt sich dadurch nicht in ihren ehrgeizigen Ziele stören. So hat Portugals Ministerpräsident Antonio Guterres für die neue Legislaturperiode eine umfassende Reform im Bildungs-, Kranken- und Sozialwesen angekündigt. Innerhalb der nächsten zehn Jahre möchte er das Land am westlichen Rand Europas an die reichen Länder Mitteleuropas heranführen.

Dass Portugal seit Anfang des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, kommt der Regierung daher sehr entgegen - auch wenn man am Ufer des Tejo weiß, dass das Land ein schlechtes Los gezogen hat: Wichtige Beschlüsse werden erst wieder im zweiten Halbjahr 2000 unter französischer Ratspräsidentschaft getroffen. Nach den »historischen« Entscheidungen auf dem EU-Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 müssen die Portugiesen nun im kommenden halben Jahr zahlreiche Arbeitsaufträge bewältigen. Das bedeutet für sie viel Arbeit, aber wenig Ruhm.

Das erste größere Ereignis des Halbjahres findet Ende März statt; dann widmet Portugal dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit einen Sondergipfel - im vergangenen Jahr waren innerhalb der Union immerhin noch 16 Millionen Menschen ohne Job. In welche Richtung die Beschlüsse bei dem Gipfel gehen könnten, hat der britische Regierungschef Tony Blair bereits vergangenes Wochenende auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erklärt. Lissabon könne zu »einem Wendepunkt« in der europäischen Beschäftigungspolitik werden. Dazu müsse aber der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft beschränkt und die Deregulierung der starren Arbeitsmärkte vorangetrieben werden, sagte Blair.

Eigene Akzente will Portugal vor allem beim Ausbau der EU-Außenbeziehungen setzen - die ehemalige Kolonialmacht sieht sich wegen ihrer traditionellen Verbindungen nach Afrika, Indonesien und Südamerika geradezu prädestiniert für eine Vermittlerrolle an.

In diesem Sinne haben die Portugiesen drei große Projekte ins Auge gefasst. Innerhalb ihrer EU-Ratspräsidentschaft soll es in Kairo zum ersten EU-Afrika-Gipfeltreffen kommen. Spanien und Portugal sind seit längerem wegen der Armutsentwicklung in den nordafrikanischen Ländern besorgt - vor allem, weil sie zu einer unkontrollierbaren Einwanderung führen könnte.

Auch die Beziehungen nach Übersee rücken verstärkt in den Blickwinkel der Portugiesen. Besondere Aufmerksamkeit will Guterres den Verhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten widmen. Portugal ist mit hohen Investitionen in Brasilien präsent und hat somit ein Interesse, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der ehemaligen portugiesischen Kolonie zu stärken.

Als drittes Vorhaben will Portugal den Mittelmeer-Prozess stärken, in dem es zusammen mit den anderen südeuropäischen Ländern seine spezifischen Interessen gegenüber den reicheren mitteleuropäischen Ländern behaupten will.

Doch erst einmal dürften die Portugiesen genug mit der Arbeit zu tun haben, die ihnen Finnland als letzter EU-Ratspräsident überlassen hat. Die Liste mit schwierigen Aufträgen fängt bereits mit der Osterweiterung an. Anfang dieses Jahres sollen die Beitrittsgespräche mit den Mitgliedern der ersten Erweiterungsrunde beginnen - neben Polen, Ungarn und Tschechien kommen Slowenien, Estland und Zypern hinzu.

Weitere Aufgaben sind der Aufbau einer »Schnellen Eingreiftruppe« sowie die Verhandlungen über die internen Reformen der EU. Beide Aufgaben sollen in der ersten Jahreshälfte so weit wie möglich vorangebracht werden.

Größere Schwierigkeiten wird es vermutlich vor allem bei der EU-Reform geben. Die Zahl der EU-Kommissare pro Mitgliedsstaat soll neu festgelegt und der EU-Rat künftig - statt wie bisher nach dem Konsens-Prinzip - per Mehrheitsbeschluss entscheiden. Dies durchzusetzen, dürfte den Portugiesen mehr als schwer fallen.

Zu den undankbarsten Aufgaben im ersten Halbjahr dieses Jahres gehört jedoch der Versuch, die Zinsbesteuerung in der EU zu harmonisieren. Bereits die Ratspräsidentschaft Finnlands ist an dieser Aufgabe gescheitert.