Vom Wunsch, der Zeit zu ähneln

Über die Filme "Empire" und "Poor Little Rich Girl" von Andy Warhol.

Seit über dreißig Jahren geht in den Filmgeschichten ein Gespenst um, das sich ebenso hartnäckig einer Untersuchung entzieht wie die Ungeheuerlichkeit von Loch Ness, das Gespenst eines Films, dessen Absonderlichkeit im Umstand seiner Existenz, nicht aber in seiner Sichtbarkeit selbst besteht. Ein Film verkörpert das bedrohliche Ausmaß einer einzeiligen Inhaltsangabe und eines gänzlich untätig verbrachten Arbeitstages: die achtstündige Ansicht eines unbeweglichen Gebäudes. So wurde Warhols "Empire" (1964) zum berühmtesten unbekannten Film.

Die Phobie betrifft einen Begriff von Arbeit. Die gewöhnliche Ausbeutung des Zuschauers im Kino, hat jemand sehr Kluges gesagt, bestehe darin, daß er die Arbeit, die der Film von ihm verlange, nicht betrachten könne. Warhol nimmt darin eine Umwertung vor: Die Action ist im Saal, wo die Tonspur des stummen Films entsteht. Warhol nennt das Sound Movie without Sound. Das Schweigen des Films provoziert ein Flüstern im Saal wie von Schulkindern bei Klassenarbeiten. Der Auftritt von Warhols Superstar "Empire State Building" versetzt das Publikum zunächst in eine seriös "ästhetische" Haltung: Stillhalten und leise sein. Doch das anhaltende Ausbleiben eines erlösenden Wortes entlockt den reglementierten Körpern Gesten, Bewegungen und Rufe. Die Vereinzelung der Kunstrezeption bricht zusammen. Hier betrügt Kunst Gesellschaft um den Mehrwert.

Die Titel von Warhols Filmen bergen kein Geheimnis; mehr als versprochen wird, wird auch nicht geboten. Sie sind Inhaltsangaben wie die Etiketten der Campbell's Soup. So ißt man in "Eat", küßt in "Kiss" und schläft in "Sleep" (alle 1963). "Empire" handelt aber nicht von Dingen und nicht von der (abstrakten) Zeit, sondern von der Ersetzung der Chronologie und Geschichte durch einen Prozeß im schauenden Kollektiv. Darin überwindet der Film den Rahmen in der Kunst, der eine symbolische Abgrenzung vom Alltag vornahm. Er fängt über die Dauer seiner Projektion hin an. Er hat nur Mitte, aber keinen Inhalt. Der Film besteht aus Schauen und Murmeln, aus Trägheit und Anspannung; sein Thema ist die lange Weile. So vergißt man die Angst vor dem eigenen Verstummen im Kollektiv und den kindlichen Schauer vor der Dunkelheit.

Warhol distanziert nicht und stilisiert auch nicht; er trennt das Sichtbare von den Dingen und die Bewegung von der Geschichte; denn irgendwann hatten die Dinge und Bewegungen im Kino ihre Sichtbarkeit zugunsten ihrer Bedeutung eingebüßt. Sie waren nur noch die Agenten der Geschichten. Warhol filmt eine gefallene Diva, ein erratisches Ding mit symbolischer Ausstrahlung und auratischem Wert, das zu jener Zeit schon von der Errichtung höherer Konkurrenten bedroht war.

Nicht ganz zufällig kehrt Warhol daher an den Tatort zurück, wo einst der Riesenaffe King Kong den Vorteil des Monströsen im Wolkenkratzerwald der Großstadt verlor. Warhol hindert das Unvorstellbare oder Monströse an der Darstellung, indem er das Sichtbare in seiner ganzen Massivität und Dauerhaftigkeit ausstellt. Hinter dem Sichtbaren lauert kein Unsichtbares, das plötzlich erscheinen könnte, entdeckt und behutsam freigelegt werden müßte, wie die verborgene Insel in "King Kong" (1933), die auf keiner Karte eingezeichnet ist. Es gibt keine Monster mehr, die mit geeigneten Mitteln doch noch zur Ausstellung erpreßt werden könnten. Das Sichtbare rückt in eine absolute Nähe.

Der Stummfilm kannte eine Frontalität der Szene; doch diese sollte nur einen Ausschnitt des Ganzen vorstellen. Warhol behandelt das Sichtbare nicht mehr als Ausschnitt; das Sichtbare ist das Gerahmte: eine Frontalität ohne jeden Hintergrund. Das Vorbild ist also nicht mehr die analoge Karte von "King Kong", die eine Blindstelle aufweist, sondern ein Bild, das nichts verbirgt. Dieses Kino hat den unsichtbaren Faden zerrissen, der in das Abwesende führte.

Das "Außerhalb" des Bildes kommt nicht von außen; es ist der Effekt des Bildes selbst in seiner sichtbaren Schwere und nichtoptischen Entleerung: "The more you look at the same exact thing, the more the meaning goes away, and the better and emptier you feel", sagt Warhol. "Empire" saugt in einer unendlichen Langsamkeit die Formen auf und verweigert durch eine dramaturgisch exakte Entleerung den Dingen das Happy End: Die völlig geöffnete Blende und das hochempfindliche Material nehmen dem Bild Tiefe und Horizont.

Schon in der Dämmerung des Anfangs sickert das Gebäude durch den Stummfilm-Effekt der verlangsamten Vorführgeschwindigkeit in eine strahlende und flackernde Helligkeit ein. Der Beginn der künstlichen Beleuchtung nach etwa einer Stunde schafft dann ein vollständig flächiges Bild, das sich aus Verteilungen von Licht und Dunkel zusammensetzt, eine informelle Fläche aus geheimen Zeichen und Botschaften, ein rätselhafter Plan des Sichtbaren. Das Blinken der Lichtuhr auf einem entfernten Gebäude scheint keine Zeit mehr anzugeben, es sendet die Morsebuchstaben einer unleserlichen Sprache.

Die Architektur des Lichts baut ein glamouröses Wesen, ein Wesen des Kinos, das unerreichbar vor dem Blick verharrt. Man schaut unentwegt am Vollen vorbei, als ob diese obskure und fremdartige Stummheit sich tief in die eigene sprachlose Abwesenheit hinein erstreckte. Die Dauer des Unbeweglichen verrückt das Zentrum des Bildes. Mit dem Verlöschen der Gebäudebeleuchtung gegen Ende taucht dann die letzte Gestalt aus dem Bild in eine schimärische Materialität ab.

Eine archivarische oder philologische Frage nach dem "ursprünglichen" (und zu rekonstruierenden) Film zielt an der eigenwilligen optischen Qualität des fleckigen, zerkratzten und zitternden Materials vorbei. Callie Angell hat darauf hingewiesen, daß jene "Störungen" bereits von der chemischen Entwicklung des Filmnegativs herrühren und keine Abnutzung der Kopie darstellen. Der Film gewinnt an Sinnlichkeit, wenn er mit den Dingen, die er in einen Abgrund des Sinns hinabreißt, seinem unaufhaltsamen schimmernden Verschwinden entgegengeht. Indem er seine Sichtbarkeit zelebriert, riskiert er verglühend seine Existenz.

"Poor Little Rich Girl" (1965) ist ein Gegenstück zu "Empire", denn beide Filme handeln von der Geburt eines "Stars". Der Titel des Films ist eine Hommage an den gleichnamigen Film mit Shirley Temple, Warhols Idol. Warhol hatte zuerst geplant, 24 Stunden aus dem Leben von Edie Sedgwick zu filmen. Übrig geblieben ist eine Stunde Film, die sie bei der morgendlichen Toilette zeigt. Die Besonderheit von Warhols "Superstars" ist, daß sie zu solchen werden können, ohne Geschichten darzustellen und Figuren zu verkörpern. Warhol sagt, seine Stars benötigten kein Drehbuch, es genüge die Behauptung von Glamour.

Der erste Teil des Films bleibt in nahezu völliger Unschärfe. Warhol hat auch diese technische Störung beibehalten und mit einem zweiten, "scharfen" Teil zusammengebracht. Die Unschärfe übt eine ganz ähnliche Wirkung der Unnahbarkeit aus wie schon in "Empire". Es gelingt dem Auge nicht, Besitz zu ergreifen vom vollen Sinn; es versinkt in einer Bewegung, die sich materialisiert. Ebenso entrückt das Kostümieren vor dem Spiegel im zweiten Teil die kometenhafte Erscheinung. Jede Annäherung ist eine Entfernung des Brennpunktes und des begehrten Objektes. Die Filme bezeichnen die Konstruktion einer unmöglichen Begegnung, einer absoluten Unzugänglichkeit.

Es ist ganz richtig, daß es hier nicht mehr um ein körperliches Verlangen gehe; es geht um den Versuch, das Vergehen zu denken, das Unbegreifliche selbst in der Wiederkehr der Zeit. Kino, könnte man sagen, sei der Wunsch, der Zeit zu ähneln.