Apo kam nur bis Imrali

Beim ersten Prozeßtag gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan lehnte ein türkisches Gericht dessen Verlegung nach Ankara ab

Letzte Woche war es endlich soweit. Der Onkel stand erstmals vor einem türkischen Gericht, auch wenn Apo in Ankara nicht anwesend war. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß.

Tatsächlich begann der erste Verhandlungstag in einem der Nebenprozesse zur Hauptverhandlung gegen PKK-Führer Abdullah Öcalan mit unschönen Szenen: Schon am Vortag war angekündigt worden, daß eine Gruppe von Familienangehörigen der im Kampf gegen die PKK gefallenen Soldaten dem Prozeß beiwohnen würde. Mütter weinten im Gerichtssaal und zeigten die Bilder ihrer toten Söhne. Zeitweilig bedrängte die Menge die Anwälte Öcalans, als seien sie stellvertretend für "den Mörder an 30 000" zu lynchen.

Längst ist es ein Teil staatlicher Propagandaarbeit geworden, den Schmerz der Eltern, die ihre Kinder in dem seit Jahren nicht enden wollenden Krieg zwischen PKK-Guerilla und türkischem Militär verloren, auszunutzen, als seien sie die eigentlichen Kläger in dem Prozeß. Konsequenterweise ließ dann auch das Gericht Hunderte Angehörige von angeblichen PKK-Opfern als Kläger zu.

Die Tagesordnung hielt das Gericht ansonsten knapp: Der Antrag der Anwälte, Abdullah Öcalan in ein anderes Gefängnis ohne Isolationsbedingungen zu verlegen, wurde abgelehnt und beschlossen, Öcalan in seinem Spezialgefängnis auf der Insel Imrali im Marmarameer anzuklagen. Die Verhandlung wurde auf den 30. April verlegt; bis dahin soll das eigens dafür zu errichtende Gerichtsgebäude fertiggestellt sein.

Die Arbeit der Anwälte Öcalans wird nach wie vor systematisch behindert. Ahmet Zeki Ok ç uoglu, der kurz nach der Festnahme Öcalans zunächst die Verteidigung übernommen und dann kurzzeitig wegen Bedrohung seiner Person zurückgetreten war, ist weiterhin Rechtsvertreter Öcalans, aber er beschwert sich über die Unmöglichkeit, unter den gegebenen Bedingungen eine Verteidigung vorzubereiten. Gegenüber Jungle World erklärte Ok ç uoglu, daß in der rechten Presse zwar alle möglichen abstrusen Nachrichten über angebliche Aussagen Öcalans, seine Unterbringung, seinen Gesundheitszustand und seine Eßgewohnheiten veröffentlicht würden, den Anwälten bislang aber noch nicht einmal die Protokolle über die Aussagen Öcalans während seiner Vernehmung zugänglich gemacht wurden.

Ok ç uoglu: "Was wir hier zur Zeit erleben ist, psychologische Kriegsführung. Die Öffentlichkeit wird über gesteuerte Pressekanäle ständig mit irgendwelchen Nachrichten gefüttert. Dabei ist es gesetzwidrig, vor Prozeßbeginn Informationen zu übermitteln. Wir hingegen werden bei unserer Arbeit behindert." Bei jedem Gespräch mit Öcalan auf der Insel Imrali ist ein Beamter der Spezialeinheiten anwesend. Dementsprechend dünn bleibt der Informationsaustausch zwischen den Anwälten und ihrem Klienten.

Öcalan sagt bislang, daß er bei guter Gesundheit sei, und versucht, politische Botschaften nach außen zu tragen. Sein Hauptanliegen: "Ich will nicht, daß Zivilisten Opfer von Bombenanschlägen werden." Entgegen der in der türkischen Presse erschienenen Berichte verfügt Öcalan allerdings über keinerlei Nachrichten aus der Außenwelt; er hat kein Radio, keine Zeitungen, selbst ein Buch und Schreibutensilien wurden ihm nicht bewilligt.

In diesem politischen Klima verwundert es nicht, daß die aus Europa angereisten Delegationen zum Newroz-Fest, den kurdischen Feierlichkeiten zum Frühlingsbeginn, in der vergangenen Woche ebenfalls wie potentielle Terroristen behandelt, verhaftet und abgeschoben wurden. Die reine Tatsache der Anwesenheit von Delegationen reichte aus, um die angereisten Menschenrechtsbewegten als Provokateure zu diffamieren.

Die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann-Kasten erklärte in Istanbul gegenüber Jungle World, daß sie mehrere Tage damit verbracht habe, die Verhaftungen der verschiedenen Delegationen zu recherchieren. Ihrer eigentlichen Aufgabe, Präsenz bei den Newroz-Feierlichkeiten zu zeigen, habe sie überhaupt nicht nachkommen können. "Man hat auch nicht das Gefühl, daß dies noch irgendeine Wirkung erzielt. Die türkischen Autoritäten interessiert die Anwesenheit europäischer Beobachter inzwischen überhaupt nicht mehr."

Obwohl allein in Istanbul am Wochenende mehr als 2 000 Menschen verhaftet, elf durch Schüsse verletzt und 195 krankenhausreif geprügelt wurden, ließen die etablierten türkischen Medien zum Ende des Newroz-Festes brav verlauten: Bis auf die Ausschreitungen an zwei Orten sei das Newroz-Fest im ganzen Land ruhig verlaufen (siehe auch Seite 28/29). In Istanbul herrschten am Newroz-Wochenende Bedingungen wie unter Notstandsgesetzen. Der Gouverneur hatte im Vorfeld deklariert, daß die Sicherheitskräfte nur die staatlich inszenierten Newroz-Feuer gestatten und alle "illegalen" unterbinden werde.

Die PKK rief über ihre Medien dazu auf, zum Zeichen der prokurdischen Bewegung im ganzen Land die Feuer zu entzünden. Im Istanbuler Stadtviertel Gazi kam es zu Schußwechseln zwischen Demonstranten und der Polizei. Das hatte weniger etwas mit Newroz zu tun. Die ultralinken Gruppierungen in Gazi nahmen vielmehr Newroz zum Anlaß, die sich seit den Ausschreitungen von Gazi im März 1995 verschärfenden Auseinandersetzungen mit der Polizei fortzusetzen. Damals waren 38 Zivilisten von den Staatsorganen erschossen worden.

Die Vorsitzende der Istanbuler Zweigstelle des türkischen Menschenrechtsvereins, Eren Keskin, ebenfalls eine der Anwältinnen im Öcalan-Prozeß, äußerte gegenüber Jungle World Befüchtungen, daß sich das politische Klima vor den Wahlen und zum Auftakt des Öcalan-Prozesses weiter verschärfen könnte.

Am Newroz-Samstag hatten Unbekannte eine Paketbombe vor der Tür des Menschenrechtsvereins deponiert, als sich gerade die Teilnehmer der seit Wochen nicht mehr zugelassenen Demonstration der sogenannten Samstag-Mütter - der Angehörigen von Vermißten - dort aufhielten. Die zu Hilfe gerufene Polizei erlaubte niemandem, das Vereinsbüro zu verlassen und ließ die Bombe nahe vor dem Gebäude detonieren.