Outing-Welle in Great Britain

Queer rules

"Sag uns die Wahrheit, Tony: Werden wir von einer schwulen Mafia kontrolliert?" titelte das britische Boulevardblatt Sun Anfang vergangener Woche.

Diesem Höhepunkt in einer Kampagne der Blätter aus dem Murdoch-Verlagsimperium News International war eine wochenlange absurde Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche Schwule aus Tony Blairs Kabinett vorausgegangen: "Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie viele Homosexuelle Machtpositionen besetzen", "die Öffentlichkeit verlangt Aufklärung", es gebe "weitverbreitete Ängste", hieß es in zahlreichen Schlagzeilen und Kommentaren in den vergangenen Wochen.

Begonnen hatte alles mit dem überraschenden Rücktritt von Ron Davies, der in Tony Blairs sozialdemokratischem Kabinett für Wales zuständig war. Davies, dem hohe Chancen bei den Regionalwahlen im nächsten Jahr eingeräumt worden waren, war angeblich überfallen geworden. Aber die britische Öffentlichkeit wunderte sich, warum jemand zurücktreten mußte, der Opfer eines Verbrechens geworden war.

Der Hintergrund und das Problem: Davies war im Clapham Common, einem Park in Süd-London, der als Schwulentreffpunkt und Drogenumschlagplatz bekannt ist, aufgegriffen worden und hatte der Polizei mehrere Versionen seiner Geschichte erzählt. Dabei hat er sich bis heute nicht geoutet, obwohl Homosexualität von allen denkbaren Gründen, sich in

Clapham Common aufzuhalten, sicherlich noch der ministrabelste ist.

Als danach öffentlich ruchbar wurde, es gebe eventuell sogar zwei schwule Minister, fragte man sich, wer neben dem offen schwulen Kulturminister Chris Smith noch mit von der Partie sein könnte.

Es war der Handels- und Industrieminister Peter Mandelson, der sein Schwulsein nicht verleugnete - es wußten auch so alle -, sich aber jede öffentliche Beschäftigung mit seinem Privatleben unter Androhung von Klagen verbat. Unterstützt wurde er dabei von Tony Blair.

Am 8. November schließlich wurde auch noch Landwirtschaftsminister Nick Brown von dem Trashblatt News of the World geoutet. Zwei Anlässe waren schnell bei der Hand: Ein ehemaliger Liebhaber, der sich rächen wollte, und ein angebliches Telefonat mit einem Stricher, von dem niemand weiß, ob es existiert: Die bloße Behauptung eines Journalisten, das Gespräch mitgeschnitten zu haben, reichte aus, um neue Diskussionen zu beginnen.

Unterdessen zogen liberale Zeitungen wie der Guardian Vergleiche zwischen Monica-Gate in den USA und den Enthüllungen in Großbritannien. Denn mittlerweile haben Umfragen ergeben, daß die Outing-Strategie der Insel-Rechten ebensowenig bei der Bevölkerung ankommt wie in den USA. 52 Prozent der Befragten sahen vor zwei Wochen kein Problem darin, wenn Minister schwul sind. Minister Brown bedankte sich brav - vor allem bei den Landwirten - für die erwiesene Solidarität.

Der Spuk war so plötzlich zu Ende, wie er begonnen hatte: Die Murdoch-Blätter versprachen, keine Enthüllungen mehr zu starten, außer die nationale Sicherheit sei gefährdet. Wann das aber so ist, behält sich die Chefetage von News International vor, selbst zu entscheiden.

Ein Grund zum Aufatmen ist dies für Großbritanniens Schwule aber nicht: In den gleichen Umfragen stellte sich heraus, daß ebenfalls eine große Mehrheit gegen die Herabsetzung des sogenannten Schutzalters für Minderjährige von 18 auf 16 Jahre ist.