Mexiko gedenkt des Massakers von 1968

Pflichterfüllung

Am späten Nachmittag hört man plötzlich Stimmen laut werden, die im Chor etwas rufen. Eine Gruppe Jugendlicher nähert sich dem Platz vor der Gemeindeverwaltung, keiner von ihnen ist älter als 17 Jahre. Die Umstehenden schauen sich ungläubig an. Eine Demonstration? In Rosarito?

Niemand kann sich erinnern, jemals eine Demonstration in diesem Ort nahe der US-amerikanischen Grenze erlebt zu haben. Ein 15jähriger steigt auf das Denkmal des Revolutionsführers Emilio Zapata und hält eine Rede: Das Massaker vom 2. Oktober 1968 dürfe nicht vergessen werden, und daß es heute wieder zu kämpfen gelte, weil sich so sehr wohl Veränderungen bewirken ließen. "Si, se puede!" - "Ja, es geht" - antwortet ihm der Chor junger DemonstrantInnen.

30 Jahre 1968 - in Mexiko heißt das vor allem: 30 Jahre Tlatelolco. Auch Platz der drei Kulturen genannt, steht Tlatelolco für das Massaker an Studierenden in Mexiko-Stadt. Am Nachmittag des 2. Oktober 1968 versammelten sich auf dem Platz Zehntausende DemonstrantInnen - überwiegend Studenten. In den Monaten davor hatte sich die Situation im Land zugespitzt. Seit Mitte September hielt das Militär damals die Universitäten der Hauptstadt Mexiko-Stadt besetzt. Die SprecherInnen der Studentenbewegung erfuhren allerdings, daß das Militär in der Umgebung des Platzes aufmarschierte, und entschieden, die Versammlung vorzeitig zu beenden. Wenig später fielen die ersten Schüsse aus Maschinengewehren. Zwei Soldaten starben, ebenso wie eine bis heute unbekannte Anzahl von Demonstranten. Von bis zu 800 Toten ist die Rede.

Vor fünf Jahren ging das Militär erstmals offiziell auf das Ereignis ein: General Antonio Riviello erklärte 1993 im Campo Militar Nœmero Uno, einer für Folterungen berüchtigten Kaserne in Mexiko-Stadt, die Armee von heute sei "eine andere", weil die heutigen Soldaten 1968 noch nicht einmal ge-boren gewesen seien. Ihn, so Riviello, könne man ja auch schlecht für die Taten Zapatas verantwortlich machen. Neben der Armee habe es auch noch andere Beteiligte gegeben - wen, das verrate er aber nicht. Auch die wenig später eingesetzte Wahrheitskommission erfuhr es nie, sie hatte kaum Kompetenzen.

Das mexikanische Militär genießt immer noch den Ruf als aus der Revolution heraus entstandene "Volksarmee". Auch Ceauhtémoc Cardenas, Oppositionsführer und seit knapp einem Jahr Bürgermeister der Hauptstadt Mexiko-Stadt, bezeichnete es als "ungerecht", daß dem Militär die Verantwortung für das Massaker vom 2. Oktober 1968 angelastet werde. Der damalige Präsident Gustavo D'az Ordaz habe in seinem Regierungsbericht des Jahres 1969 schließlich die Verantwortung für "alle Regierungsentscheidungen im Zusammenhang mit den Ereignissen des vergangenen Jahres" übernommen.

Ähnlich argumentiert auch die Armee selbst, die an einer von Oppositionszeitungen in den vergangenen Wochen geforderten Öffnung der Archive zur Klärung der damaligen Vorfälle offenbar wenig Interesse hat. Vielmehr, meinte der ehemalige General Alvaro Vallarta, sei auf eine Öffnung der einst sowjetischen Archive zu hoffen, "um zu erfahren, wer hier in Mexiko von dort Geld erhalten hat, um die Bewegung aufzubauen". Zwar seien an der Protestbewegung von 1968 auch Studierende mit "gesunder Ideologie" dabei gewesen, die das Land nur transformieren wollten, doch habe es auch eine Bedrohung der Institutionen gegeben. Von daher hätten die Streitkräfte ihre Pflicht erfüllt - "wie sie es heute immer noch tun".