Irakisches Nervengas liegt blank

Der Konflikt um die UN-Waffenkontrollen ist noch längst nicht beendet. Denn es gibt weitere Anzeichen für irakisches VX

US-Verteidigungsminister William Cohen sieht seine Streitkräfte bestens gerüstet. "Binnen 96 Stunden", erklärte er in der vergangenen Woche bei einem Besuch der US-Truppen im Persischen Golf, könnte die Präsenz im Mittleren Osten ausreichend verstärkt werden, um im Zweifelsfall schlagkräftig gegen den Irak vorgehen zu können.

Aber damit rechnet Cohen erst einmal nicht. Frühestens "in einigen Monaten" sei es wieder soweit, daß in dieser Region ein Militäreinsatz anstünde. Momentan könnten sich die USA also voll auf einen Einsatz gegen die Bundesrepublik Jugoslawien konzentrieren. In den USA fürchten insbesondere Konservative, daß die Supermacht durch die gemächliche Abrüstung nach dem Ende der Blockkonfrontation nicht mehr einsatzfähig genug sein könnte. Aber Cohen ist bemüht, die besorgten Gemüter zu beruhigen: Während sich die Nato bereits auf ihren Angriff gegen die jugoslawische Armee vorbereitet, erhöhten die USA sicherheitshalber ihre Präsenz von Cruise Missile-Raketen im Mittleren Osten, und 20 000 Soldaten hat Washington dort sowieso verfügbar.

Für den Irak ist aber allein das ein klarer Akt der Aggression. Die USA, glaubt die Führung in Bagdad, seien unbedingt auf Krieg aus. Deswegen hätten sie sich auch alle Mühe gegeben, die zehntägigen Verhandlungen zwischen Irak und den Vereinten Nationen über die Aufhebung von Sanktionen und Waffeninspektionen zu behindern. Dabei hatte das Regime Saddam Husseins offenbar große Hoffnungen in die Gespräche von New York gesetzt und war mit einer relativ großen Delegation angereist, angeführt von Außenminister Tarik Aziz, dem Stellvertreter von Hussein.

Nach den bereits Ende September begonnenen Gesprächen zeigte sich aber nur das Büro von UN-Generalsekretär Kofi Annan zuversichtlich: Herausgekommen sei zwar nichts Konkretes, aber beide Seiten hätten vereinbart, die Gespräche fortzusetzen. Immerhin ein Zugeständnis der UN an den Irak, der seit dem 5. August konsequent sämtliche Waffeninspektionen durch die UN Special Comission (Unscom) boykottiert. Denn nach Bagdads Verständnis sind die Kontrollen abgeschlossen, weil es keine atomaren, bakteriologischen und chemischen Waffen mehr besitze.

Teilweise bestätigt dies selbst der Unscom-Chef Richard Butler. Auf den Gebieten chemische Waffen und der Mittelstreckenraketen seien die Inspektionen so gut wie abgeschlossen. Problematisch seien allein die bakteriologischen Waffen in irakischer Hand. Bagdad hat zwar zugegeben, etliche Tonnen des Nervengases VX besessen zu haben, will diese aber alle vernichtet haben. Dagegen haben die Waffenexperten der Unscom Raketensprengköpfe sichergestellt, in denen US-Experten später Spuren des Nervengases nachwiesen. Für Irak ein klarer Fall von Manipulation, um das Land weiter durch als Unscom-Mitarbeiter getarnte CIA-Agenten und im Auftrage Israels bespitzeln zu können.

Während sich Aziz noch bei Annan für das Ende der Unscom-Mission stark machte, gibt es nach einem Bericht der New York Times vom vergangenen Mittwoch neue Hinweise über VX in irakischem Besitz. Ein französisches Expertenteam soll bei der Untersuchung von durch die Unscom sichergestellten Waffenteilen auf Spuren des Nervengases gestoßen sein. Der französischen Seite kann Irak wohl kaum eine politische Motivation für den Befund unterstellen, weil Frankreich eigentlich ein indirekter Verbündeter Bagdads im UN-Sicherheitsrat ist. Schließlich haben französische Erdölfirmen sich längst Rechte an irakischem Erdöl gesichert - so die Sanktionen erst einmal aufgehoben sind.

Paris dementierte den Bericht der US-Zeitung aber zunächst, und die australische Tageszeitung Sydney Morning Herald - die in den vergangenen Konflikten zwischen Irak und der Unscom durch ihren guten Kontakt zum Australier Butler aufgefallen ist - behauptet, den Grund dafür zu kennen: Unter Berufung auf nicht näher bezeichnete "UN-Beamte" berichtete das Blatt, die Testergebnisse seien zurückgehalten worden, um die Verhandlungen zwischen UN und Aziz nicht unnötig zu gefährden.

Der Sydney Morning Herald behauptete außerdem, der Irak würde schon seit langem die Ausfuhrbeschränkungen für Erdöl in großem Umfang umgehen. Seit Februar dieses Jahres darf Irak halbjährlich Öl im Gegenwert von 5,25 Milliarden US-Dollar ausführen, was nach Angaben Bagdads aber noch immer nicht ausreicht.

Während die Regierung Husseins allerdings die UN-Sanktionen für den "Tod von tausenden Kindern" verantwortlich macht, beantragte sie zugleich, 150 Millionen US-Dollar aus dem sogenannten food-for-oil-Programm für den Aufbau eines Mobilfunknetzes benutzen zu dürfen.