Deutschland bleibt Deutschland

Bei ihrem Antrittsbesuch in Washington sandten Gerhard Schröder und Joseph Fischer ein einziges Signal aus: Es bleibt alles beim alten

Von Journalisten umlagert worden seien Gerhard Schröder und Joseph Fischer bei ihrer Stippvisite in Washington, "neugierig beäugt" worden sei vor allem der künftige grüne Außenminister, berichtet die deutsche Presse einhellig. Doch nachdem sich der, wie man in Washington weiß, einstige Berufsrevolutionär als gesetzter Herr mit dunkelgrauem Anzug und Haupthaar entpuppt habe, der beim geräucherten Hirsch kompetent mit dem Präsidenten über das Weltklima plauderte, sei die Skepsis in Interesse umgeschlagen. "Fischer verschafft sich schnell Respekt, der kriegt bei seinen Kollegen mal ein richtig gutes Ansehen", lobte Schröder sein präsentables Anhängsel.

Doch übertrieben groß scheint das Interesse der US-amerikanischen Presse an dem seltsamen Gespann aus Germany nicht gewesen zu sein. Wie man den künftigen Regierungschef nun anreden sollte - als "Mr. Chancellor", "Mr. Chancellor elect" oder gar als "Mr. President of Germany" war so wenig klar wie die korrekte Schreibweise seines Namens. Den gängigen Varianten "Schroder" und "Schroeder" fügte die renomierte New York Times, die einen internationalen Zeichensatz ihr eigen nennt, ein "Schröeder" hinzu. Dem angeblich so interessanten Fischer widmete auch diese Zeitung nur zwei Absätze, obwohl sie als einzige unter den landesweit erscheinenden Tageszeitungen den Staatsbesuch nicht nur deswegen erwähnte, weil er Clinton Gelegenheit gab, vor die Journalisten zu treten und zu den jüngsten Boshaftigkeiten des Sonderermittlers Kenneth Starr Stellung zu nehmen.

Das einzige andere Thema, welches das politische Washington an diesem Wochenende interessierte: Der bevorstehende Nato-Schlag gegen Jugoslawien. Doch auch hier gaben die Verbündeten keinen Anlaß zur Besorgnis. Im Weißen Haus sei man beruhigt gewesen, daß weder Schröder noch sein grüner designierte Außenminister Gewaltanwendung durch die Nato blockieren würden. "Nichts hat sich an der deutschen Grundhaltung gegenüber Milosevic geändert", wird Fischer zitiert. "Milosevic sollte nicht denken, daß die neue Regierung eine weniger entschlossene Haltung einnimmt als die alte." Allerdings müßten die Amerikaner Verständnis zeigen, daß "in dieser Übergangssituation unsere Möglichkeiten, tätig zu werden, sehr beschränkt sind". Das verstand man selbstverständlich sehr gut; besser als die, wie die New York Times anmerkt, "für gewöhnlich vage Ausdrucksweise" des neuen Kanzlers. Und was Fischers "transition phase" betrifft: Während der ersten Angriffswelle, so gab man im Weißen Haus zu verstehen, sei man ohnehin nicht auf deutsche Truppen oder Kampfflugzeuge angewiesen. Und schließlich zeichnet sich eine Übergangsphase dadurch aus, daß sie irgendwann vorüber ist. Kontinuität bewiesen, schönen Dank, Mr. Fischer, schönen Dank, Mr. Schröeder; und nun wenden wir uns wieder Ms. Lewinsky zu.

So wurde denn aus dem Auftritt der beiden frischgebackenen Weltpolitiker vor den US-amerikanischen Kameras doch einer fürs deutsche Fernsehpublikum: Schröder und Fischer Seite an Seite mit dem Präsidenten der USA - auch das war eine Art Initiationsritual: Weltformat für Deutschland? Das können wir auch. Und, kleinliche Details in den Koalitionsverhandlungen hin oder her, - das Regierungsbündnis steht, denn man stellt nicht jemanden beim US-Präsidenten vor, um dann doch nicht mit ihm zu koalieren.

Auch bei Leuten, die zumindest dem Ruf nach verläßlichere Linke sind als der grüne Fraktionschef, scheint Schröder keine Berührungsängste zu haben. An der Seite des künftigen Kanzlers und seines Außenpolitikers durfte in Washington neben Fischer Ludger Volmer auftreten, grüner Außenpolitiker und Angehöriger des parteilinken Babelsberger Kreises. Das demonstrierte nicht nur Gleichberechtigung unter den Koalitionspartnern. Vor allem sollte es Fischers Position auf dem grünen Sonderparteitag Ende Oktober stärken, wo der inoffizielle Parteichef seiner Basis nicht nur ein Verhandlungsergebnis zu präsentieren haben wird, das an den Parteiprogrammen große Abstriche machen wird, sondern auch eine Bundesregierung, die sich unter grüner Beteiligung anschickt, Deutschlands Weltgeltung mit einem Militärschlag außerhalb des Nato-Gebiets und ohne völkerrechtliches Mandat handfest zu manifestieren.

Die Einbindungsstrategie scheint zu funktionieren. Volmer schien in Washington Kreide gefressen zu haben und übte sich in der Kosovo-Frage ebenso in Treue zu Fischer wie zu Hause die Pazifistin Angelika Beer: Zumindest, was die Außenpolitik betrifft, scheint die Parteilinke die Rolle übernommen zu haben, Fischer im Hinblick auf den Parteitag den Rücken freizuhalten. Denn an der Außenpolitik macht sich das Sein oder Nichtsein der rot-grünen Koalition in Bonn fest.

All das andere, worüber sich vor der Wahl so trefflich streiten ließ - von der Rente bis zur Ökosteuer - scheint jetzt nicht mehr als das eine oder andere Geplänkel in der Bonner Verhandlungsdelegation wert zu sein. Klaglos haben die Grünen hingenommen, daß Schröder keine Woche nach der Wahl sein Wort gegeben hat, den Benzinpreis um nicht mehr als sechs Pfenig pro Jahr zu erhöhen. Dafür hat dem Vernehmen nach die SPD dem baldigen Einstieg in die Öko-Steuerreform zugestimmt. Wie der Spiegel berichtet, soll die Reform so angelegt sein, daß eine Entlastung für mittlere und untere Einkommensgruppen vor allem durch eine höhere Besteuerung der Unternehmen finanziert wird. Zudem sollen demnach bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode die Lohnnebenkosten auf duchschnittlich 40 Prozent gedrückt werden. Schon zu Weihnachten sollen Kindergeldempfänger pro Kind 30 Mark mehr für die Lebkuchen in der Kasse haben.

Das klingt zwar alles nicht ganz nett, doch sonderlich aufregend ist es - erwartungsgemäß - nicht. Weder Schröder noch Fischer haben sich als die Art von Politiker angekündigt, die große gesellschaftliche Umwälzungen betreibt. Was von den Ankündigungen übrigbleibt, die nun während der Koalitionsverhandlungen gestreut werden, hängt ohnehin von der Finanzlage ab. Vorsichtshalber haben die Sozialdemokraten schon Anfang vergangener Woche ein neues Haushaltsloch entdeckt, das qua Finanzierungsvorbehalt für jede Reformvorhaben wird herhalten müssen, das die Regierung Schröder auf Eis legt.

Für das unter Clinton wiedergeborene Attribut vom "Dritten Weg" - nach Erklärung der sozialdemokratischen Frankfurter Rundschau etwas, von dem keiner weiß, was es genau ist, "außer daß er irgendwo zwischen sozialer Marktwirtschaft und Marktwirtschaft pur liegt" - wird es wohl dennoch reichen. Es scheint, daß die Analysten in Washington ganz beruhigt sein können, nicht nur, was die Außenpolitik betrifft: In Deutschland bleibt alles beim alten. Verläßlich.