Schluß mit solidarisch

Polens führende Regierungspartei AWS torkelt von Krise zu Krise

Der Pensionsschock hat Polens Ex-Präsident Lech Walesa am 22. Juli wohl voll erfaßt. Da gründete der frühere Chef der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc seine eigene Partei, die Christdemokraten.

Die politische Innovation ist das spektakuläre Finale einer politischen Scheidung zwischen Ex-Legende Walesa und dem politischen Arm der Solidarnosc-Gewerkschaft, der Wahlaktion Solidarnosc (AWS).

Schon seit längerem fühlte sich Walesa von seinen ehemaligen Weggefährten ins Abseits geschoben. Ein Gefühl, das nicht trog. Erste Anzeichen für die Abschiebung Walesas in das politische Aus gab es im Wahlkampf letzten Jahres, als die Vorstellungen Walesas und der AWS ziemlich weit auseinanderdrifteten. Walesa nämlich wollte sich im Wahlkampf als politisches Zugpferd inszenieren, die neue AWS-Spitze aber hielt Walesa höchstens für einen lahmenden Esel. Statt im Wahlkampf den Mythos Walesa wiederaufleben zu lassen, ließ man den ehemaligen Volkstribunen durch die Provinz tingeln.

AWS-Chef Marian Krzaklewski, dynamischer, jünger und auch selbstbewußter als Walesa, wollte sich von dem Politpensionisten nicht die Show stehlen lassen. Seine AWS hatte sich aus mehreren, der Gewerkschaft Solidarnosc nahestehenden konservativen Polit-Gruppierungen gebildet, die alle nur ein Ziel hatten: die Wahlen zu gewinnen.

Mit Walesa hätte das schwierig werden können. Denn in der polnischen Bevölkerung rangiert Walesa ganz oben in der Hitliste der Witzfiguren. Als Präsident des Landes zwischen 1990 und 1995 hatte er sich lächerlich gemacht, wo es nur ging, in Warschau tragen Jugendliche T-Shirts mit den schönsten Sprüchen des Ex-Präsidenten ("Freiheit ist, wenn man sich entscheiden kann, ob man einen Mercedes oder einen Skoda kauft"; "Ich bin dagegen und dafür").

Den absoluten Führungsanspruch für alle Solidarnosc-Angelegenheiten meldete AWS-Chef Marian Krzaklewski an. Im September letzten Jahres unterwarf er sich auch noch die Gewerkschaft Solidarnosc und wurde deren Chef. Dazu war sogar eine Änderung eines Teils der Solidarnosc-Statuten notwendig, denn bis dahin war Chef-Sein in der Solidarnosc-Gewerkschaft und gleichzeitiges Ausüben eines politischen Mandates unmöglich.

Zwar verfügt Krzaklewski mit der Doppelrolle als AWS-Parteichef und Solidarnosc-Gewerkschaftschef über eine ungeheuer breite Machtbasis, politisch aber ergibt sich daraus eine hohe Anfälligkeit für den politischen Spagat: Als AWS-Chef muß Krzaklewski den neoliberalen Kurs der Regierung mittragen und als Gewerkschaftschef die Arbeiter beschwichtigen, die zu Recht Angst vor Arbeitslosigkeit und einer Durchlöcherung des sozialen Netzes haben.

Zudem agiert auch die AWS selbst recht eigenartig. Getragen wird sie vom Aktionismus katholischer Eiferer in den eigenen Reihen und sie versteigt sich immer mehr zu einem Kreuzzug für den reinen Katholizismus. Kurz nach dem Wahlsieg etwa wurde die politische Arbeit im Parlament über Wochen lahmgelegt, weil die AWS-Fraktion über Nacht Kruzifixe im Sitzungssaal des Warschauer Parlaments aufgehängt hatte und dies den Unmut der anderen Parteien hervorrief.

Erst im Juni entbrannte im Sejm, dem Unterhaus des Parlaments, eine völlig überzogene Debatte über die Einschränkung der Werbung für Bier: Bibelfeste AWS-Mandatare wollten Bierwerbung mit dem Hinweis auf katholische Abstinenz aus der Öffentlichkeit verbannen.

Die inquisitorischen Anwandlungen der AWS zeitigen zwei Effekte: Die Bevölkerung wendet sich angewidert von der AWS ab, weil sie eher Lösungen für die brennendsten politischen Probleme erhofft. Gleichzeitig wird Raum für die politische Profilierung des politischen Gegners geschaffen.

Einer, der sich beinahe ausschließlich über hohe Popularität dank der katholischen Kleinmütigkeit der AWS freuen kann, ist Polens linker Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. Er gilt den Polen als Bremser der Heißsporne in der AWS. Dabei vermeidet es Kwasniewski, andauernd seine Wurzeln in der postkommunistischen polnischen Linken hervorzuheben, sondern gibt sich als Garant für politische Vernunft abseits parteipolitischer Feindschaft. Das erhöht das Ansehen des Amtes des Staatspräsidenten und nimmt der AWS die propagandistische Chance, Kwasniewskis Widerstand gegen einige politische Vorhaben bloß als Reminiszenz an die politische Herkunft abzuschmettern. So legte Kwasniewski erst vor einigen Monaten ein Veto gegen den AWS-Plan ein, den Sexualunterricht in polnischen Gymnasien abzuschaffen. Er begründete das mit lebensnahen Argumenten wie Gesundheitsvorsorge, während die AWS nur in der katholischen Moraltheologie argumentative Rückendeckung suchte.

Doch nicht nur dem politischen Gegner geht die Vatikanisierung der AWS mächtig auf den Nerven. Auch der kleine Koalitionspartner in der Regierung, die Freiheitsunion (UW), bemerkt die Gefahr: Sie drängt als technokratische Alternative auf sachpolitische Entscheidungen, die zwar allesamt den Schriftzug des puren Neoliberalismus tragen, aber zumindest keine transzendentale Komponente in sich haben. Zudem fühlt sich die UW von der gottgewollten Vormachtstellung der AWS und der Arroganz einiger AWS-Politiker übervorteilt. Mitte Mai sprach ein UW-Mandatar erstmals aus, was ohnehin schon alle ahnten: "Es könnte bald sein, daß wir die Koalition mit der AWS beenden." Der bislang letzte Streit entzündete sich am Vorsitzenden des polnischen EU-Integrationskomitees, Riszard Czarnecki. Der AWS-Günstling gilt in seinem Amt als völlig überfordert und sorgte mit seiner Politik dafür, daß die EU eine zugesagte Subvention im Rahmen des PHARE-Programms über 33 Millionen US-Dollar wieder zurückzog.

Da forderte die UW Czarneckis Rücktritt, jedoch vergebens. Nicht, daß Czarnecki in der AWS ungeteilte Zustimmung erntet - die interne Struktur der AWS verhinderte bislang Czarneckis Sturz: Als Zusammenschluß mehrerer konservativer Splittergruppen ist die AWS existenzbedrohenden Fliehkräften ausgesetzt, die politische Einigkeit findet sich nur in der Gegnerschaft zur Linken und der Liebe zur Macht. Das verursacht große Brüchigkeit des Bündnisses, der Czarnecki sein Verbleiben im Amt zu verdanken hat. Immerhin haben seine Freunde von der AWS-Gruppierung der "Christen" sofort gedroht, aus dem Bündnis auszusteigen, wenn Czarnecki gefeuert würde.