Les Ueberstünden

Frankreich: Das "Aubry-Gesetz" wird keine Arbeitszeitverkürzung bringen

"Ein Abkommen, das keinen einzigen Arbeitsplatz schafft", urteilt Le Monde über den Ende letzter Woche vorgestellten Tarifvertrag der Metallindustrie, der mit Spannung erwartet worden war, da es das erste branchenübergreifende Tarifabkommen ist, in dem die Modalitäten zur Einführung der 35-Stunden geregelt werden. Nach Vorgabe des Gesetzgebers soll bis zum Jahr 2000 (bzw. 2002 in Kleinbetrieben) die 35-Stunden-Woche eingeführt werden (Jungle World, Nr. 27/1998).

Die Linkskoalition hatte auf verbindliche Vorgaben zu den Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung und zu den Gegenleistungen, die die abhängig Beschäftigten erbringen müssen, verzichtet und es den "Sozialpartnern" überlassen, sich auf dem Verhandlungsweg zu einigen. Landesweit sind bereits in rund 80 Unternehmen entsprechende Einzelabkommen getroffen worden, bevor jetzt die Metallindustrie den ersten branchenübergreifenden Tarifvertrag auf Basis des - nach der sozialistischen Arbeitsministerin benannten - "Aubry-Gesetzes" zur Arbeitszeitverkürzung vorgestellt hat.

Mit dem Tarifabkommen wird die von der Linksregierung praktizierte Methode, die Arbeitszeit durch einen "Konsens" zwischen Kapital und Arbeit zu reduzieren, glatt ad absurdum geführt. Denn der Hauptinhalt des Tarifabkommens zwischen dem Verband der Metallbetriebe UIMM sowie den drei Unterzeichnergewerkschaften besteht darin, daß das jährliche Überstundenkontingent von derzeit 94 Stunden im Jahr (gemäß einem Tarifabkommen aus dem Jahr 1982) auf 180 Stunden jährlich angehoben wird. Durch Betriebsvereinbarung kann es für die Dauer der ersten beiden Jahre nach Inkrafttreten des "Aubry-Gesetzes", also 2000 bis 2002, für die größeren und 2002 bis 2004 für die Kleinbetriebe um weitere 25 auf 205 Stunden angehoben werden.

Sieht der Artikel 1 des Abkommens eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 35 Stunden vor, so organisiert der Tarifvertrag zugleich die systematische Umgehung der Arbeitszeitverkürzung. Denn die vorgesehene Überstundenregelung dient offenbar dazu, die Arbeitszeit auf ihrem derzeitigen Niveau zu halten.

Die Verkürzung der Arbeitszeit um vier Stunden auf die 35-Stunden-Woche ergibt bei 47 Arbeitswochen ein Volumen von 188 Stunden im Jahr und entspricht damit fast genau der vorgesehenen Überstundenzahl. Im Unterschied zu einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit erlauben freilich die Überstunden, die der Betrieb je nach Bedarf ansetzten kann, die flexible Ausnutzung der Arbeitskraft - je nach Auftragslage des Untenehmens.

Eine Ausnahmeregelung sieht das Gesetz für Betriebe vor, in denen die Arbeitszeit nicht mehr im Wochen-, sondern im Jahresmaßstab berechnet wird - das sind Betriebe, in denen die wöchentliche Arbeitszeit bedarfsorientiert geregelt wird. Dort wird das Überstundenkontingent zukünftig um 30 Stunden herabgesetzt, beträgt also 150 bzw. (nach Betriebsvereinbarung) 175 Stunden. Wie der CFDT-Gewerkschafter Robert Bonnand in Le Monde schreibt, wird so "die Kombination von Flexibilisierung durch Arbeitszeitkonten plus Flexibilisierung der Arbeitszeit durch Überstunden" ermöglicht. Dabei ist noch nicht einmal bekannt, um welchen Prozentsatz der Lohn für die Überstunden erhöht wird. Das Arbeitsgesetzbuch sieht einen Überstundenzuschlag von 25 Prozent vor, was einer Lohnerhöhung von insgesamt 2,5 Prozent entspräche. Daß das "Aubry-Gesetz" zur Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Arbeitszeitverkürzung führt, wird inzwischen bezweifelt. Der Tarifvertrag der Metallindustrie hat einmal mehr die Gefahren des französischen Tarifvertragsrechts offengelegt und zugleich die Absurdität einer Politik gezeigt, die die Umsetzung eines Gesetzes allein vom "Konsens" der Unterzeichner eines Tarifabkommens abhängig macht. Denn nach geltendem französischem Arbeitsrecht reicht die Unterschrift einer unter mehreren konkurrierenden Gewerkschaften, damit der Tarifvertrag rechtskräftig wird.

Bisher war diese Regelung auch wenig problematisch: Die Verhandlungen zwischen konkurrierenden Richtungsgewerkschaften und der Kapitalseite führten in der Regel dazu, Vorteile für die Lohnabhängigen gegenüber dem gesetzlichen Mindeststandard herauszuhandeln. Fragwürdig ist diese Regelung allerdings, wenn Tarifverträge in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit dazu dienen müssen, Abstriche der abhängig Beschäftigten zugunsten des Erhalts ihrer Arbeitsplätze festzuschreiben. Im Fall des Abkommens der Metallindustrie haben die beiden weit rechts stehenden Gewerkschaften, die christliche CFTC sowie die Gewerkschaft der höheren Angestellten CFE-CGC, die bislang noch jede reaktionäre Vereinbarung mitgetragen haben, den Vertrag mit dem Unternehmerverband UIMM unterschrieben.

Unterzeichner ist aber auch die Metallersektion des drittgrößten Gewerkschaftsbunds, der sozialdemokratisch- unpolitischen Force Ouvrière (FO). FO-Chef Marc Blondel rechtfertigte die Unterschrift seiner Organisation gegenüber Le Monde damit, daß einerseits die neue Überstundenregelung den Beschäftigten Lohnzuwächse bringe, andererseits die vereinbarte Überstundenzahl von 180 "niedriger ist als 188", somit nicht der Beibehaltung der 39-Stunden-Woche gleichkomme.

FO, die traditionell als "Lohnzettelgewerkschaft" gilt, privilegiert regelmäßig den starren Blick auf die Lohnprozente gegenüber allen anderen Aspekten der Lebens- und Arbeitsbedingungen von abhängigen Beschäftigten. Lohnerhöhungen zieht sie daher allen Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung vor.

Im Gegensatz dazu favorisiert die sozialdemokratische CFDT die Arbeitszeitverkürzung als "moderne, innovative" Forderung um jeden Preis, selbst wenn sie mit Lohneinbußen verbunden ist. Als eine Strategie zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit verteidigt die Gewerkschaft von Nicole Notat eine Politik des "Teilens in der Klasse".

Die KP-nahe Gewerkschaft CGT hingegen ist nicht bereit, ihre Forderungen zur Arbeitszeitverkürzung gegen Lohnforderungen ausspielen zu lassen. Im Gegensatz zur CFDT, die auch schon mal die 32-Stunden-Woche ohne vollen Lohnausgleich propagiert, beschränkt sich die CGT aber auf die 35-Stunden-Forderung.

Im aktuellen Fall bekämpfen CFDT und CGT, die zusammen in der Metallindustrie die große Mehrheit der Stimmen bei Betriebsratswahlen auf sich vereinigen, das Tarifabkommen, während die minoritären Organisationen FO, CFTC und CFE-CGC ihm durch ihre Unterschrift Rechtskraft verliehen.

Der Abschluß wurde freilich auch durch die Drohung der Unternehmervereinigung UIMM beschleunigt, alle Tarifverträge aufzukündigen, falls das Abkommen nicht bis zum 31. Juli getroffen werde. Die UIMM gilt als das "Flaggschiff" des zentralen Unternehmerverbands CNPF und ist dessen wichtigster Geldgeber. 20 Prozent des CNPF-Budgets bestreitet die UIMM, die zugleich einer der konservativsten Verbände innerhalb der Dachorganisation ist. Ihr "Nein" zu jedem Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung ist notorisch. Wie die KP-Tageszeitung L'Humanité am Freitag letzter Woche bekanntgab, strebt die Bauindustrie nunmehr einen Tarifabschluß an, der ähnliche Regelungen wie der der Metallindustrie vorsieht.