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Exakt zwanzig Jahre nach Walter Ulbrichts Tod: Statt einem zackigen Marsch vom NVA-Stabsorchester tuckert Techno, ein betrunkener Austromarxist raunzt: "Dr Bckr is a Däb / is a Däb" und "Ihr seids Diere / Dr Bckr is mei Gehnohse", blutjunge Linksradikale winden sich unter diesen befremdlichen Worten auf der Tanzfläche, von der Theke drängt eine Schar gereifter Antifas heran, volltrunken, Paare umschlingen sich, irgend jemand schüttet Bier dazwischen, ja, wo samma denn hier hingeraten?

Es will uns ja keiner glauben, daß seit Wolfgang Fritz Haugs niederschmetternder Kritik der Warenästhetik noch irgendein Linker unter "Party" anderes als lauen Reggae, Altherrenjazz oder gar Adornos Klavierkonzerte versteht, verschämt zwischen zwei leninistischen Lehrgängen dargeboten, als Abendprogramm nach einer Flügel-Diskussion von hohem Gebrauchswert. Am vergangenen Wochenende hätten wir die Zweifler bekehren können. Es gibt auch linken Gabba. Wir haben auch einen Soul. Das zeigte sich im Berliner Stellwerk, wo Jungle World die ersten dreizehn Monate ihres Bestehens abfeierte. DJ Tobias hatte in seiner exquisiten Plattensammlung gewühlt, Hörspiel-Hermann Bohlen mischte unter seine stahlharten Techno-Tracks die seltsamsten Samples, seit es diese Zeitung gibt (darunter einige der merkwürdigsten Sätze, die unsere Redakteure und ihre ärgsten Feinde jemals geäußert haben)

Über dem Tanzbunker chillten die Gäste an einem Pool mit Blick auf die Bahnanlagen. Was da wieder an Leser-Blatt-Bindung gestiftet worden ist, es ist kaum zu ermessen. Die Konkurrenz saß still dabei und wunderte sich. Noch bis früh um acht hämmerte es aus der Tiefe. Nun steckt uns der Beat in den Knochen: Das kann nicht alles gewesen sein. Wir lassen unsere Blattkonferenzen samplen und mit Drum'n' Bass aufmischen, Kosovo-Kommentare im Disco-Mix, Kulturkritiken von Verzerrern aufgefräst. Und dann heißt es ab Herbst auf der Sportseite: Wo waren Sie, als die Jungle-Party tobte?