Waffenlos auf die Kabinettsbank

Im Baskenland könnte Herri Batasuna als politischer Arm der bewaffneten Eta schon bald Regierungspartei werden. Nordirland dient dafür als Vorbild

Der Friedensprozeß in Nordirland hat weitreichende Auswirkungen. So konstituierte sich mehr als 1 000 Kilometer weiter südlich, im baskischen San Sebasti‡n, am vergangenen Wochenende ein "Forum für den irischen Weg". Die Initiative, an der sich rund 20 baskisch-nationalistische Gruppierungen beteiligen, soll die nordirische Situation analysieren und mögliche Parallelen für das Baskenland herausarbeiten.

Eingeleitet wurde sie von der "linksnationalistischen" Volksunion Herri Batasuna (HB). Nachdem im Dezember vergangenen Jahres fast die gesamte Parteispitze wegen Unterstützung der bewaffneten Eta zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war (Jungle World, Nr. 50/97), lud der am 14. Februar neugewählte Vorstand zu dieser Gesprächsrunde - unterstützt durch ein von 145 Prominenten unterzeichnetes "Manifest für einen Verhandlungsweg im baskischen Konflikt".

Neben der als politischer Arm der bewaffneten Eta geltenden HB nahmen mit der Solidaritätspartei (EA) und der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) auch Vertreter der baskischen Regionalregierung an den Gesprächen vom Wochenende teil. Bereits im Februar hatten sich die drei Parteien auf eine Zusammenarbeit in Einzelfragen verständigt. Insbesondere bei der "Pflege" der baskischen Sprache und bei der Verlegung von Eta-Gefangenen ins Baskenland oder dessen Nähe waren HB, EA und PNV sich einig und überstimmten gemeinsam die ebenfalls an der Regionalregierung beteiligten Sozialisten.

Nach Ansicht des PNV-Vorsitzenden Xabier Arzalluz ließen sich die Gemeinsamkeiten aber noch erweitern: Im Anschluß an die baskischen Regionalwahlen im kommenden Oktober müßte die PNV "die Bildung einer Regierung mit HB erwägen, so dem keine Waffen mehr im Wege stehen", erklärte er Anfang der vergangenen Woche in der Illustierten Avu'. Schließlich sei HB eine legal gewählte Partei. Damit die katholisch-geprägte PNV, von der sich 1959 die Eta abspaltete, aber nicht in den Verdacht der "Terrorismus-Unterstützung" gerät, bemühte sich Parteisprecher Joseba Egibar, die Äußerung seines Vorsitzenden zu relativieren. Eine mögliche Koalition mit den "Linksnationalisten" sei "eine unwahrscheinliche Hypothese". Außerdem sei mit einem Waffenstillstand der bewaffneten Untergrundgruppe - über den im Baskenland eifrig spekuliert wird - so bald nicht zu rechnen.

Laut Arzalluz ist ein Ende der Gewalt im Baskenland aber keineswegs im Interesse der spanischen Zentralregierung unter Ministerpräsident José Mar'a Aznar. Sie favorisiere statt dessen "einen Terrorismus der niedrigen Intensität".

Ähnlich äußerte sich gegenüber Jungle World Antton Karrera, Stadtverordneter des Linksbündnisses Izquierda Unida (IU) in San Sebasti‡n. Ein einseitiger Waffenstillstand der Eta würde die Widersprüche im Partido Popular (PP), der konservativen Partei Aznars, zuspitzen. Der PP "bliebe durch den entstehenden gesellschaftlichen Druck keine andere Möglichkeit, als zu verhandeln". Karrera, der früher selbst Eta-Mitglied war und während der Diktatur Francisco Francos sieben Jahre im Gefängnis saß, hält den Konflikt im Baskenland für lösbar - sogar einfacher als in Irland: "Klar ist doch, daß der Konflikt von keiner Seite militärisch gewonnen werden kann". Deswegen müsse Eta sich zum Waffenstillstand entschließen.

Gleichlautende Forderungen hatte es auch schon von dem im Frankreich inhaftierten Eta-Mitglied José Luis Alvarez und von Patxi Zabaleta, ehemaliger HB-Vorsitzender und mittlerweile Fraktionssprecher im Regionalparlament Navarra, gegeben. "Irgendwer muß den ersten Schritt tun", erklärte Zabaleta gegenüber Radio Euskadi. Die Separatistengruppe hatte zuletzt in ihrem Kommuniqué vom 28. April ihre Dialogbereitschaft erneuert und dabei die Hoffnung ausgesprochen, "daß andere Generationen nicht mehr mit der Waffe in der Hand für eine Lösung kämpfen müssen". Seit dem 20. November letzten Jahres herrscht bereits ein "Waffenstillstand an der Gefängnisfront", den Eta damals in der ihr nahestehenden Tageszeitung Egin verkündete.

Verhandlungen mit der bewaffneten Unabhängigkeitsgruppe sind in Spanien allerdings nicht besonders populär. Nach einer von der in Barcelona erscheinenden Tageszeitung El Peri-dico de Catalunya am 9. Juni veröffentlichten Umfrage sind 67 Prozent der Spanier gegen Gespräche mit Eta. So schlägt sich auch der ehemalige Ministerpräsident Felipe Gonz‡lez und dessen Sozialistische Partei in dieser Frage auf die Seite seines Amtsnachfolgers Aznar. Es könne nicht sein, erklärte der Oppositionspolitiker, daß "die Terroristen mit ihrem Tun persönliche oder politische Vorteile erreichen könnten".

Bei PNV, EA und IU ist man dagegen weit weniger um Abgrenzung gegenüber der "nationalistischen Linken" von HB und Eta bemüht. So verabschiedeten die vier Parteien im Parlament von Vitoria am 11. Juni gemeinsam ein Sportgesetz, das die Teilnahme baskischer Formationen an internationalen Wettkämpfen vorsieht. Als Vorbereitung auf eine Koalitionsregierung wollte die IU-Pressesprecherin in Vitoria das Abstimmungsverhalten allerdings nicht gedeutet wissen: "Wir planen keinen Pakt mit niemandem. In Einzelfragen verwehren wir uns aber einer Zusammenarbeit auch nicht." Insbesondere in sozialpolitischen Fragen, wie der Forderung nach einer 35 Stunden-Woche machen HB und IU bereits gemeinsame Sache. Auch die HB-Gewerkschaftsorganisationen LAB und ihr PNV-Gegenstück ELA agieren kaum noch ohne einander.

Der PP ist über die verstärkte Zusammenarbeit der baskischen Nationalisten wenig erfreut. Leopoldo Barreda, PP-Sprecher im baskischen Parlament von Vitoria, befürchtet eine "Radikalisierung" der PNV, die im Madrider Parlament die Regierung Aznar unterstützt. Ein Bündnis mit HB "ist ein Pakt mit den Anhängern des Terrorismus", erklärte er. Die Aznar-Partei ist derzeit erklärtes Hauptziel von Eta-Anschlägen.

Seit der spektakulären Ermordung des PP-Mannes Miguel Angel Blanco am 12. Juli 1997 wurden vier weitere Lokalpolitiker der Regierungspartei von der bewaffneten Organisation ermordet. Entsprechend setzen Aznar und sein Innenminister Jaime Mayor Oreja auf Isolation und militärische Zerschlagung der Eta mit Hilfe der paramilitärischen Polizeitruppe Guardia Civil und dem militärischen Geheimdienst Cesid. Deren gemeinsame Todesschwadronen GAL sollen zwischen 1983 und 1988 mindestens 28 mutmaßliche Eta-Aktivisten umgebracht haben.

Auch in der "nationalistischen Linken" des Baskenlandes gibt es allerdings Stimmen gegen eine Entwicklung nach nordirischem Vorbild. Auffällig ist beispielsweise, daß Egin die Forderungen von Zabaleta und Alvarez bisher verschwiegen hat, da es offenbar einige Differenzen zu deren Waffenstillstandsforderung gibt. Während die "nationalistische Linke" fleißig Kontakt zu anderen sucht, präsentiert sie sich intern uneinig. Eine einheitliche Position über einen möglichen Waffenstillstand scheint es bisher weder bei HB, noch bei Eta oder Egin zu geben. Die baskischen Hardliner stimmen daher absurderweise zumindest in einem Punkt mit der Aznar-Regierung überein.

Denn nur bei weiteren Todesopfern - wie der Eta-Aktivistin I-axi Zeberio, die am 5. Juni bei einer Verhaftungsaktion erschossen wurde - ließe sich problemlos gegen einen Waffenstillstand mobilisieren.