Nationale Präferenzen

Frankreichs ehemaliger Ministerpräsident Balladur bemüht sich, rechtsextreme Positionen im bürgerlichen Lager salonfähig zu machen

Der neofaschistische französische Front National (FN) und die Deutsche Volksunion (DVU) streben ein Wahlbündnis für die im Juni 1999 stattfindenden Wahlen zum Europaparlament an. Dem soll auch eine gemeinsame Fraktion im Parlament von Strasbourg folgen, wie die Parteien am Montag vergangener Woche in Frankreich verkündeten. Zwischen 1989 und 1994 hatte der FN noch mit den Republikanern (Rep) und dem italienischen MSI zusammengearbeitet. Da die Rep sich aber auf ihre Salonfähigkeit im rechtsbürgerlichen Lager konzentrieren, scheint die DVU bei dem erfolgreichen französischenVorbild der deutschen Rechten höher im Kurs zu stehen.

Innenpolitisch gelang dem FN unterdessen ein wichtiger Erfolg bei der Etablierung seiner Positionen. Der bürgerliche Spitzenpolitiker Edouard Balladur vom gaullistischen RPR äußerte sich am Abend des 13. Juni in einem Fernsehgespräch über den möglicherweise akzeptablen Charakter der préférence nationale. Die "Bevorzugung der Mitglieder der Nation" (bei Wohnungen, Sozialleistungen, Arbeitsplätzen) ist eigentlicher Kern des FN-Programms. Alle sozialen Versprechen der Rechtsextremen sollen durch die préférence national erfüllt werden - dadurch, daß man jenen, die nicht zur "natürlichen Gemeinschaft" gehören, die entsprechenden Leistungen kürzt.

Balladur erklärte dem Fernsehpublikum, es müsse eine Kommission eingerichtet werden, um "leidenschaftslos" über die préférence nationale zu debattieren. Auf Nachfrage bekundete er, auch der nicht im französischen Parlament vertretene FN solle an diesen Kommissionen beteiligt werden, denn "ich habe nicht bemerkt, daß der FN vom Gesetz verboten wäre".

Damit hat er sich weit vorgewagt. Zwar hatten sich nach den Regionalwahlen im März dieses Jahres einige bürgerliche Politiker mit Stimmenhilfe der neofaschistischen Abgeordneten in politische Ämter wählen lassen, zur préférence national mochte sich bisher aber kein namhafter bürgerlicher Politiker bekennen. Dies hätte auch einen offenen Bruch mit der bürgerlich-demokratischen Tradition Frankreichs - der Verkündung der universalen Menschenrechte im Jahre 1789 - bedeutet. Die Zusammenarbeit mit dem FN gab es daher bisher nur auf der Basis eines bürgerlichen Programms mit etwas verschärften Zügen: Steuersenkungen, mehr Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulen durch mehr Polizei sowie die Forderung "Verteidigung von Arbeitsplätzen durch bessere Berufsausbildung".

Daß es gerade der frühere Premierminister und 1995 knapp gescheiterte Präsidentschaftskandidat Balladur ist, der dem aktuellen Umbruchprozeß der französischen Rechten - bis hin zu einer möglichen Einbindung des FN - einen neuen Impuls gibt, kann nicht verwundern. Während seiner Amtszeit als Regierungschef von 1993 bis 1995 empfing er fünfmal den FN-Chef Jean-Marie Le Pen in seinem Amtssitz, um ihn zu aktuellen politischen Fragen zu konsultieren.

Im Gegensatz zu seinem innerrechten Konkurrenten, dem Staatspräsidenten Jacques Chirac, steht Balladur für ein ausgesprochen großbürgerliches, elitäres und in sozialer Hinsicht arrogantes Profil. Insofern liegt nahe, daß Balladur eine Art Arbeitsteilung mit den Neofaschisten vorschwebt, in denen das plebejische Publikum der Rechten - die "kleinen Leute" eben - der FN-Sozialdemagogie überlassen würden.

Während der Großbürger Balladur mit seinem vornehmen Auftreten "in aller Ruhe" über ein rassistisches Ausgrenzungssystem ˆ la fran ç ais debattieren will, zeigt sich die gesellschaftliche Realität des Rassismus "ganz normaler" Rechtsextremisten in Aix-en-Provence. Dort stehen drei FN-Plakatkleber vor Gericht, die am 21. Februar 1995 in Marseille den 17jährigen Ibrahim Ali erschossen hatten. Der junge Rap-Sänger war damals zusammen mit anderen Jugendlichen schwarzer Hautfarbe in der Nacht zu einem Bus gerannt, wodurch sich die FN-Anhänger von "fremdstämmigen" Jugendlichen bedroht sahen und Ali erschossen.

Für den als Prozeßzeugen geladenen Bruno Mégret, die Nummer zwei des FN, sind die Plakatkleber dennoch die "Elite unserer Landsleute", die "physische Risiken auf sich nimmt und sich in Viertel begibt, wo sich die Polizei nicht mehr hintraut". Daher seien die drei auch keine Mörder. Sie hätten sich in einer Notwehrlage befunden - nicht unbedingt objektiv, aber doch "im Geiste", wie der FN-Chefideologe erläuterte. Das Urteil wurde für Montag, nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe, erwartet.

In den mit FN-Unterstützung regierten Regionen stellt sich außerdem die Frage, wie die linken Oppositionsparteien mit den rechten Mehrheitsverhältnissen umgehen. So ist in der von Charles Millon regierten Region Rh(tm)ne-Alpes unter den Linksparteien ein exemplarischer Streit ausgebrochen. Während die Sozialdemokraten des Parti Socialiste (PS) bisher eine systematische Blockade der Millon-Regierung praktizieren, sprechen sich die Kommunisten des Parti Communiste Fran ç ais (PCF) für eine konstruktive Haltung aus. Gegen sämtliche Regierungsprojekte und Haushaltsvorlagen zu stimmen, stärke nämlich die Position des FN, auf den Millon dann zwingend angewiesen sei.

Die Auseinandersetzung entzündete sich an der Bewilligung von 3 300 Studien-Stipendien für Auslandssemester. Die Neofaschisten betrachten die Beihilfen als "Geldverschwendung". In der Sitzung vom 20. Mai wurde dieser Haushaltsposten daher mit den Stimmen von FN und Linksparteien abgelehnt. Insbesondere der PCF bemängelte daraufhin, die Studierenden dürften nicht die Leidtragenden der Situation sein.

Bei einer erneuten Abstimmung am vergangenen Freitag votierten daher PCF und die linksnationalistische "Bewegung der Citoyens für die Stipendien". Auch der FN hatte mittlerweile seine Haltung geändert, dafür aber im Gegenzug Kriterien "sozialer und nationaler Selektion" - so ein PCF-Parlamentarier - durchgesetzt. Die PS-Fraktion aber blieb hart und begründete dies mit der "historischen Sondersituation". Sie hält es nach wie vor für möglich, mit Hilfe von Dissidenten des konservativen Lagers Millon zu stürzen. Der PS wäre bereit, eine bürgerliche Minderheitsregierung zu tolerieren, wenn Millon und sämtliche FN-Vertreter in den Regionalinstitutionen ihrer Posten enthoben würden.

Diese regionale PS-Taktik ist aber mittlerweile landesweit umstritten. Frankreichs sozialdemokratischer Ministerpräsident Lionel Jospin erklärte bereits am 6. Juni, die Bevölkerung der betroffenen Regionen dürfe "nicht als Geisel genommen werden".