Abschiebungen gegen Rechts

Mit der Möglichkeit eines rechten Schulterschlusses wird in Frankreich die repressive Innenpolitik begründet

In Frankreichs rosa-rot-grüner Regierungskoalition kriselt es. Streit entzündete sich seit Ende März vor allem über die repressiven Tendenzen von Innenminister Jean-Pierre Chevènement, insbesondere im Bereich Immigrationspolitik. Sowohl die Grünen wie Teile des PCF (Parti Communiste Fran ç ais) sind davon weniger begeistert.

Hauptsächlich geht es dabei um die Frage, wie auf die aktuelle innenpolitische Krisensituation reagiert werden solle. Angesichts der sich abzeichnenden Spaltung des nicht-gaullistischen Teils der bürgerlichen Rechten, bietet sich dem neofaschistischen Front National (FN) erstmals die Möglichkeit zur Regierungsbeteiligung. Eine bedeutende Fraktion der Sozialdemokratie überlegt daher, sich den weniger rechten Konservativen als Garanten des republikanischen Status quo anzubieten, um den FN von der Regierungsbank fernzuhalten. Premierminister Lionel Jospin deutet das Parteikürzel der französischen Sozialisten, PS, bereits als Kürzel für "p(tm)le de stabilité", Pol der Stabilität.

Denn bereits in zwei Fällen konnte die Regierung Jospin Gesetzesvorlagen im Parlament nur mit Hilfe der bürgerlichen UDF-Abgeordneten durchbringen, da sowohl PCF-Abgeordnete wie die Linksnationalisten - die Partei Chevènements - dagegenstimmten. So am 2. April, als es Brüsseler Richtlinien folgend um die Aufhebung des Monopols der Gaz de France (GDF) ging. Und am vergangenen Mittwoch wiederholte sich diese Konstellation bei einer Abstimmung über die Statutenänderung der französischen Nationalbank, damit diese der zukünftigen Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main einen Teil ihrer Kompetenzen abtreten darf; aus diesem Anlaß stimmten auch vier Abgeordnete vom linken Flügel der Sozialisten gegen die Regierung.

Innenminister Chevènement reagierte auf die Gefahr einer künftigen Rechtskoalition in den ersten Apriltagen damit, seinerseits verstärkt die "innere Sicherheit" zu betonen. Während sich die am 24. Juni letzten Jahres - wenige Tage nach dem Wahlsieg der Linkskoalition - von Chevènement eingeleitete "Legalisierungsoperation" dem Ende zuneigt, nimmt die Zahl der Abschiebungen zu.

Rund 150 000 Migranten ohne Aufenthaltsstatus hatten bei den Behörden eine "Legalisierung" beantragt. Nach dem Stand von Ende März 1998 waren davon rund 41 500 Anträge positiv entschieden und 39 500 definitiv abgelehnt worden. Da den Ablehnungen in der Regel die Abschiebungen folgen, wurden - ähnlich wie 1996 bei der Besetzung der Kirche Saint-Bernard erneut fünf Kirchengebäude von Migranten okkupiert, deren Anträge auf "Legalisierung" die Behörden negativ beschieden hatten. Daß diese Aktion von den Gemeinden offen geduldet wird, machte Chevènement in der vergangenen Woche unter anderem dem Bischof von Bobigny bei Paris zum Vorwurf. Damit, so der Innenminister, würde der Kirchenmann eine Regierung der extremen Rechten begünstigen.

Argumentiert wird von Regierungsseite überhaupt gerne damit, daß Kritik an dem Linksbündnis und deren Politik nur dem Front National nutzen würde. Neben Chevènement hatte sich so bereits Ende März sein Kollege im Bildungsressort, Claude Allègre, anläßlich des Streiks der Lehrerschaft im Département Seine-Saint-Denis jegliche Kritik verbeten. Mit dem Ausstand, der zur Zeit wegen der Osterferien ausgesetzt ist, hatten die Lehrer gegen die finanzielle Benachteiligung ihres Bezirks, der besonders stark von Verarmung, Ghettoisierung und jugendlichen Gewalttätigkeiten betroffen ist, protestiert.

Daß Chevènement für die Proteste gegen seine Abschiebungspolitik "marxistisch-leninistische internationalistische Gruppen" verantwortlich machte, führte in der Koalition allerding zu Verstimmungen. Transportminister Jean-Claude Gayssot (PCF) ging am Kabinettstisch deutlich auf Distanz zu seinem Kollegen, und die grüne Umweltministerin Dominique Voynet rügte öffentlich diese "unglücklichen Äußerungen".

Premierminister Jospin stellte sich hingegen hinter seinen Mann für Inneres und Grobes: Nicht einmal "ein Zigarettenpapier" lasse sich zwischen ihn und seinen Innenminister zwängen, erklärte er, während sich die Uneinigkeiten auch auf der parlamentarischen Ebene widerspiegelten: Fünf der sechs grünen Abgeordneten stimmten am vergangenen Freitag gegen das Chevènement-Gesetz zur Einwanderung, das in dritter Lesung verabschiedet wurde, nachdem es in den Vorwochen noch gehörig verschärft worden war. Es sieht nunmehr eine strafrechtliche Verfolgung von Vereinigungen vor, die Ausländer beim "illegalen" Aufenthalt unterstützen.

Auch ein PCF-Abgeordneter, der Reformkommunist Patrick Braonezec, stimmte gegen den Text. Der Rest seiner 36-köpfigen Fraktion enthielt sich des Votums. Braonezec und weitere prominente Vertreter aus PCF, den Grünen sowie den linken Gewerkschaften CGT und SUD versuchten am 6. April auf dem Pariser Flughafen Roissy Abschiebungen von Illegalen zu verhindern. Zu Wort meldeten sich auch 133 Kinomacher, die bereits vor einem Jahr die Petition gegen das Ausländergesetz des rechten Scharfmachers Debré mitlanciert hatten und publizierten am vergangenen Mittwoch in Le Monde einen Aufruf gegen die "repressive Versessenheit" des Debré- Nachfolgers Chevènement.

Der PCF versucht mit einer Taktik der "Öffnung nach Links", das aktive Spektrum links der Koalition einzubinden und damit die eigene Rolle zu stärken. PCF-Sekretär Robert Hue forderte auf der Tagung des Nationalen Komitees (der Nachfolger des Zentralkomitees) am 3. April, "die 'plurale Linke'" - so der offizielle Titel der rosa-rot-grünen Regierungskoalition - "zu verbreitern und jene zu sammeln, die sich entweder in die Wahlenthaltung oder in das Votum für die radikale Linke geflüchtet haben".

Der PCF müsse außerdem, so erläuterte der Parteisekretär, über eine gemeinsame Liste für die Wahlen zum Europaparlament im nächsten Jahr nachdenken, "welche jene sammelt, die eine progressive Umorientierung des Europa-Projekts wünschen, einschließlich der gewerkschaftlichen, Initiativen- und politischen Kräfte sowie in der Zivilgesellschaft" - unter der Bedingung allerdings, daß sie nicht rein antieuropäisch dächten.

Die Sozialdemokraten sehen diese Öffnungsbemühungen des PCF nach Links nicht unbedingt negativ, ist man sich doch der Notwendigkeit bewußt, auch in dieser Richtung "integrationsfähig" zu bleiben. Solange die Regierungsbeteiligung des PCF nicht offiziell in Frage gestellt wird, dulde man auch sein "Abschweifen" bereitwillig, denn - so zitiert die Tageszeitung Libération ein Führungsmitglied des PS - "der PCF muß seinen Wählern schließlich zeigen, daß er existiert".