Türkischer Ramadan

Auf das Verbot der Refah-Partei sind die Islamisten bestens vorbereitet

Das Urteil sei "juristischer Mord" - mit dieser Äußerung reagierte der türkische Islamistenchef Necmettin Erbakan, noch recht lebendig, auf das Verbot seiner Refah Partisi (RP, Wohlfahrtspartei). Nach achtmonatiger Verfahrensdauer hat das türkische Verfassungsgericht am vergangenen Freitag mit überwältigender Mehrheit beschlossen, die islamistische RP zu verbieten. Zur Begründung wurde angeführt, die RP sei "Hort reaktionärer (islamistischer) Aktionen", sie habe gegen den kemalistischen Grundsatz der Trennung von Staat und Religion verstoßen. Über den Parteivorsitzenden Erbakan und eine Handvoll weiterer führender Parteimitglieder wurde ein fünfjähriges Politikverbot verhängt, mit der gleichzeitigen Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität können sie nun auch juristisch verfolgt werden.

Das türkische Militär hatte mit einer Kampagne gegen die Islamisten - einen "weichen Putsch", wie dies in der Türkei bezeichnet wird - zunächst dafür gesorgt, daß Erbakan am 18. Juni 1997 nach einjähriger Amtszeit in einer Koalition mit Tansu Cillers Partei des rechten Weges (DYP) als Ministerpräsident zurücktreten mußte. Das Verbotsverfahren gegen die RP war Teil der Strategie des Militärs, die Islamisten als politische Kraft auszuschalten.

Am Freitagabend rief Erbakan in Bursa bei einer Veranstaltung der Nationalen Jugendstiftung, die der RP nahesteht, zunächst zur Ruhe auf. Eine Eskalation würde aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende der Salonfähigkeit des Islamismus und Erbakans selber bedeuten. Vor seinen Anhängern, die "Mudschaheddin Erbakan" skandierten, erklärte er, die Entscheidung des Gerichts sei ein schwerer Fehler, die Türkei werde sich jedoch "mit uns von diesem Fehler befreien, und wir werden wieder und diesmal allein regieren". Am Samstag hielten in Ankara einige Hundert Islamisten eine Sympathiekundgebung für Erbakan ab.

Der Aufstieg der Islamisten unter Erbakan hatte sich in drei Etappen vollzogen. Laut der Islamistenzeitung Akit hatte die Nationale Ordnungspartei bei ihrem Verbot 1971 auf 680000 Stimmen bauen können, die Nationale Heilspartei (1980 verboten) auf 1,6 Millionen, die Refah schließlich hatte bei den letzten Parlamentswahlen im Dezember 1995 etwas mehr als sechs Millionen Stimmen auf sich vereinigen können. Mit 150 Abgeordneten war und ist sie sie damit stärkste Fraktion im Parlament. Laut Michael Karadjis, einem Korrespondenten der australischen Wochenzeitung Green Left Weekly, hatte Erbakan als Regierungsmitglied in den siebziger Jahren islamische paramilitärische Gruppen aufgebaut, die zusammen mit den faschistischen Grauen Wölfen gegen die erstarkende Linke und die Arbeiterbewegung eingesetzt wurden. Nach dem Nato-Putsch 1980 und der blutigen Repression gegen die türkische Linke wurde auf eine begrenzte Islamisierung gesetzt, besondere Koranschulen wurden gegründet und der Religionsunterricht an den Schulen zum Pflichtfach gemacht. Mitglieder der islamistischen Bewegung integrierte man im Sicherheitsapparat und in anderen Bereichen des Staates, unter Turgut Özal (Ministerpräsident von des Militärs Gnaden ab 1983) wuchs der Einfluß der Islamisten.

1983 formierte sich die Refah, und sie konnte in den folgenden Jahren vor allem aus zwei Bereichen Anhänger rekrutieren: Zum einen die kleinen und mittleren Kapitalisten aus den Provinzstädten Anatoliens, die mittlerweile ein islamistisches Unternehmer-Netzwerk namens Müsiad ("Vereinigung unabhängiger Industrieller und Geschäftsleute") geschaffen haben, das die Hauptstütze der RP/DYP-Regierung unter Erbakan und Tansu Ciller darstellte. Zum andern Teile der Binnenmigranten, die in den Slums der westlichen Großstädte leben und denen die Refah mit ihrer autoritären Rhetorik vom "einfachen und gerechten Leben" zu Leibe rückt. Konkretisiert wurden diese Vorstellungen, als die Refah sich in verschiedenen westlichen Metropolen bei den Kommunalwahlen durchsetzen konnte; sie versuchte, subkulturelle Treffpunkte und Kneipen zu schließen oder zumindest ein Alkoholverbot durchzusetzen, scheiterte aber am Widerstand, der sich dagegen formierte.

Großbritannien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, bekundete am Freitagabend im Namen der Europäischen Union hinsichtlich des Refah-Verbots "ernsthafte Besorgnis über die Folgen für den demokratischen Pluralismus und die freie Meinungsäußerung". Ähnlich äußerte sich der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin. Die Islamisten, die nicht lange fackeln würden, den kleinen Überresten an "demokratischem Pluralismus" und "freier Meinungsäußerung", die in der Türkei noch existieren, den Garaus zu machen, wenn sie die Macht dazu hätten, haben schon vorgebaut: In den vergangenen Tagen wurden die RP-Parteizentralen leergeräumt. Und im vergangenen Monat wurde die islamistische "Tugendpartei" gegründet, die ein Auffangbecken für die Islamisten darstellen könnte.