Ein Bein drinnen, eins draußen

Die französischen Arbeitslosen bringen vor allem die Kommunisten in Verlegenheit

"Ein Bein drinnen und ein Bein draußen." So resümierte ein führender Vertreter der Sozialisten spöttisch die politische Gymnastik, die die französischen Kommunisten derzeit zeigen. In der Tat haben die Protest- und Besetzungsbewegung der französischen Arbeitslosen, die seit Anfang Dezember 1997 andauert, vor allem den an der Links-Regierung beteiligten PCF in die politische Akrobatik getrieben - 94 Prozent der kommunistischen Wählerschaft unterstützen laut den letzten Umfragen die soziale Mobilisierung.

Während Transportminister Jean-Claude Gayssot, ein waschechter Vertreter der KP-Bürokratie, die polizeiliche Räumung der besetzten Arbeitslosenkassen vom 10. Januar rechtfertigte, wetterte Alain Bocquet, der kommunistische Fraktionsvorsitzende im Parlament gegen die Polizeieinsätze: Es handele sich um einen "schweren Fehler auf humaner und politischer Ebene". Auch PC-Sekretär Robert Hue kritisierte, wenn auch vorsichtiger, den Einsatz der Uniformierten: Er "ziehe die Kraft des Dialogs den Ordnungskräften vor". Regierungschef Jospin sieht Einsätze wie die von Gayssot gerne, sichert dieser dieser doch seine Forderung nach "Autorität" im Land nach links ab.

Inzwischen machte die Wochenzeitung Le Canard encha"né öffentlich, daß Arbeitsministerin Martine Aubry und die CFDT-Chefin und Arbeitslosenkassen-Präsidentin Nicole Notat bereits im Dezember 1997 den Einsatz der Polizei zur Räumung der besetzten Arbeitslosenkassen gefordert hatten, Jospin ihn jedoch hinausgezögert hatte, um dem Image seiner Regierung nicht zu schaden.

Jospin hat unterdessen die letzte Woche genutzt, um seine Koalition zusammenzuschweißen. Bei einem Arbeitsessen mit den fünf Fraktionsvorsitzenden aller an der Linksregierung beteiligten politischen Formationen beschwor er seine Regierungspartner: Wenn diese ihren eigenen Kurs steuern wollten, könne er auch aufs Altenteil gehen, er besuche ohnehin lieber mit seiner Frau die Pariser Museen. "Unser Erfolg war ein gemeinsamer, unser Scheitern wird ein gemeinsames sein." Dieser Appell war deutlich an seinen Kritiker Alain Bocquet gerichtet. Man solle künftig nicht mehr, fuhr Jospin fort, von majorité plurielle, einer pluralen Mehrheit reden, sondern einfach nur noch von "Mehrheit".

Die Regierung hat nunmehr ein teilweises Einlenken gegenüber der Forderung nach Anhebung der Mindestsätze für das Existenzminimum signalisiert - dazu gehören die Arbeitslosenhilfe nach Auslaufen der "degressiven Unterstützung" und die Sozialhilfe. Diese Mindestsätze liegen derzeit zwischen 2 100 und 2 300 Francs pro Monat (650 Mark). Über 82 Prozent der Arbeitslosen verfügen nach Auslaufen der "degressiven Unterstützung", die alle vier Monate um 17 Prozent abnimmt und nach knapp zwei Jahren am Nullpunkt ankommt, derzeit über weniger als 3 000 Francs (900 Mark) im Monat.

Allerdings, so hieß es aus dem Amt des Premierministers, könne diese Anhebung erst 1999 stattfinden, da der (Maastricht-) Haushalt für 1998 nicht gefährdet werden solle. Um jedoch die Proteste der Arbeitslosen zu dämpfen, wurde im Vorfeld des nationalen Demonstrationstags am 18. Januar angekündigt, eine Erhöhung für 1998 sei "nicht ausgeschlossen".

Eine am 17. Januar von Le Monde veröffentlichte Studie des unabhängigen CERC (Zentrum für das Studium der Kosten und Einkommen) zeigt unterdessen, daß seit 1983, als die Linksparteien an der Macht waren, eine deutliche Verschlechterung der materiellen Lage der Erwerbslosen festzustellen ist. Der Studie zufolge ist seitdem das Gesamtvolumen der Unterstützungszahlungen gleich geblieben, während die Zahl der Empfänger deutlich angestiegen ist. 1983 war das Jahr der "Wende zur Austerität", in dem unter der sozialistisch-kommunistischen Koalition die (bis dahin geltende) automatische Bindung der Einkommen an den Preisanstieg abgeschafft wurde. 3,3 Millionen Empfänger und, mit den Familien, insgesamt sechs Millionen Personen leben laut der Studie heute von den staatlichen Existenzminima (Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Mindestrente, Behindertenunterstützung).

Die Mobilisierung im Zuge der Arbeitslosenbewegungen reißt unterdessen nicht ab. Nachdem am 13. Januar rund 40 000 Demonstranten, darunter 10 000 in Paris, auf die Straße gegangen waren, demonstrierten am vergangenen Samstag erneut Zehntausende in verschiedenen Städten Frankreichs. In Paris allein waren es 20 000. Die Proteste weiten sich unterdessen auf weitere soziale Träger aus, so bildeten sich in Paris und anderen Städten "Schüler-Aktionskomitees" (CAL, Comités d'action lycéen). Auch die Studentengewerkschaften UNEF und UNEFID beteiligten sich an den Demonstrationen, neben dem gesamten Sptektrum der Organisationen der alternativen und radikalen Linken.