»Gestohlene Generation«

Nach der Generation X in den USA, der '89er-Generation in Deutschland, den unzähligen "Kriegs"-, "Erlebnis"- und "verlorenen Generationen" weltweit nun auch noch das: Australien wartet mit einer "gestohlenen Generation" auf.

Während mehrerer Jahrzehnte - bis in die siebziger Jahre - wurden minderjährige Aborigines von australischen Behörden aus ihren Familien "entfernt" und in Heimen der Kirche oder bei weißen Familien untergebracht. "Zwangsassimilation" wird diese Form der Verschleppung aus einer vertrauten Zwangsgemeinschaft in eine nicht vertraute seitdem in der australischen Amtssprache genannt. Nach Schätzungen verschiedener Verbände sind etwa 70 000 Kinder und Jugendliche davon betroffen. Neu ist das nicht, liegen doch seit längerem dazu Berichte vor, die selbst von offizieller Seite nicht bestritten werden.

Neu ist nur der Umgang, den die australische Regierung gefunden hat: Rund 56 Millionen australische Dollar (etwa 67 Millionen Mark) will Ministerpräsident John Howard Organisationen zukommen lassen, welche die "Familienzusammenführung" fördern wollen. Eine Entschuldigung bei den Betroffenen selbst sei aber nicht drin, da das alles lange her sei und die heutige Regierung damit nichts zu tun habe. Zudem sei die "Politik der Zwangsassimilation (...) in vielen Fällen zum Wohle derer gewesen, die von ihr betroffen waren", ließ er vor zwei Wochen einen Regierungssprecher die rassistische Karte ausspielen.

Howard weiß genau, daß eine offizielle Entschuldigung eine Rechtsgrundlage für individuelle Entschädigungen darstellen würde. Noch besser aber weiß er, den in Australien weit verbreiteten Rassismus - der sich nicht nur gegen Aborigines richtet - zur Grundlage der Regierungspolitik zu machen: Nur wenige Tage zuvor hatte der Senat ein Gesetzespaket der Regierung zur "Regelung der Landrechte für Ureinwohner", den sogenannten Wik-Plan, stark modifiziert an das Repräsentantenhaus zurückverwiesen. Die vom Senat erarbeiteten Änderungen betrafen vor allem eine Stärkung der Landrechte der Aborigines, die bereits 1992 und 1996 vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden waren.

Die ursprüngliche Gesetzesfassung der national-liberalen Regierungskoalition war dem Senat zu eindeutig auf die Interessen von (weißen) Farmern und Bergbau-Konzernen zugeschnitten gewesen. Zwar sollen diese auch nach dem Senatsentwurf weiterhin bei der staatlichen Landvergabe und -verpachtung favorisiert werden, für die Aborigines sollen jedoch auch einige Stückchen Wüste abfallen. Der nationalliberalen Mehrheit im Repräsentantenhaus ging dies aber viel zu weit. Sie schickte die Vorlage an den Senat zurück, verbunden mit der Aufforderung, diese wieder - möglichst in die Urfassung - abzuändern. Falls das nicht geschehe, werde sie vom Repräsentantenhaus erneut nicht anerkannt. Neuwahlen im Lauf der nächsten zwölf Monate seien dann die Folge, verkündete Finanzminister Costello. Die Verfassung gibt der Regierung das Recht, beide Kammern des Parlaments aufzulösen, wenn diese sich zweimal hintereinander nicht auf ein Gesetz einigen können.

Die Nationalliberalen haben somit alle Trümpfe in der Hand: Entweder geht der Wik-Plan so durch, wie sie es sich vorstellen, oder sie gewinnen eben die Neuwahlen im nächsten Jahr. Denn wer auf Australiens politischer Bühne Aborigines angreift, kann sich der Stimmen des rassistischen Mobs sicher sein. Und das sind dort nicht weniger als hierzulande.