Feudalisten auf dem Vormarsch

Ein neues Landgesetz bringt in Ägypten Sozialisten, Nasseristen und Pächter gegen die Regierung auf

"Land oder Tod" skandierten rund 3 000 aufgebrachte Bauern Ende August im Hehia-Bezirk während einer Großdemonstration gegen die Regierung. Sie hatten zuvor in einer öffentlichen Anhörung von Regierungsvertretern der Nationaldemokratischen Partei erfahren, daß die bisher niedrigen Pachtzinsen ihrer Grundstücke und Ackerflächen an die Marktpreise angepaßt werden sollen. Auch Kündigungen von Pachtverträgen sollen künftig möglich sein. Die seit Anfang Oktober in Kraft getretenen Auflagen, mit denen die Regierenden dem Wirtschaftsliberalismus in Ägypten einen Schritt näher gekommen sind, bedeuten eine Revision der nasseristischen Landreform von 1952.

Damals wurden die Feudalherren enteignet und die Ländereien an landwirtschaftliche Kooperativen und Kleinbauern verteilt. Die Höchstgrenze privaten Grundbesitzes wurde auf 84 Hektar festgelegt und 1969 durch ein zweites Gesetz weiter reduziert. Die Pächter profitierten von umfassendem Kündigungsschutz, der Erbpacht und davon, daß beim Verkauf der Ländereien die Hälfte des Gewinns in ihre Taschen floß. Das jetzt rechtskräftig gewordene Gesetz Nummer 96 soll mit den bisherigen Privilegien der Pächter aufräumen. Nach der Privatisierung eines Großteils staatlicher Unternehmen und Dienstleistungssektoren wird nun einer willkürlichen Festlegung der Marktpreise und Mieten für Grundstücke und Ackerflächen sowie der Bodenspekulation Tür und Tor geöffnet.

"Der Feudalismus hält wieder Einzug in Ägypten! Reaktionäre Kräfte versuchen die sozialen Errungenschaften der Massen zurückzunehmen und den öffentlichen Sektor zu liquidieren, der dem Volk gehört und die Festung der ökonomischen Unabhängigkeit des Landes repräsentiert!" beschreibt die nasseristische Oppositionszeitung Al-Arabi das Krisenszenario. Nach der Einführung des neuen Gesetzes, das nach einer fünfjährigen Übergangszeit in Kraft getreten ist, wurden mittlerweile mindestens 10 000 Bauern von ihrern Äckern vertrieben. Unter der Federführung der sozialistischen Tagammu'-Partei und der Nasseristen veranstalteten die Kleinbauern in den letzten Wochen Demonstrationen, Sit-Ins und hißten schwarze Fahnen des Widerstands vor ihren Häusern und Ortschaften. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden bislang 14 Bauern getötet und 180 weitere verletzt. Nach Angaben der ägyptischen Organisation für Menschenrechte wurden zahlreiche Bauern und politische Aktivisten der Oppositionsparteien inhaftiert. Laut Al-Arabi hat die Nasseristische Partei Beschwerde bei der obersten Staatsanwaltschaft wegen Menschenrechtsverletzungen gegen ihre inhaftierten Genossen, die sich nach Paragraph 97 des Anti-Terrorgesetzes vor Gericht verantworten müssen, eingelegt.

Eine Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungsweg scheint momentan unwahrscheinlich, zumal Landwirtschaftsminister Yussuf Wali keine Kompromißbereitschaft gegenüber Gegnern des Gesetzes signalisiert hat. Schließlich seien - entgegen den Darstellungen der Nasseristen - nicht sechs Millionen, sondern nur ein Bruchteil der ägyptischen Bauern davon betroffen. Neun Zehntel der Landpächter hätten die neuen Konditionen akzeptiert. Die Gegner der Bodenreform seien zudem nicht in der Lage gewesen, genügend Unterschriften der Betroffenen gegen die neue Gesetzesinitiative zu sammeln, so Wali. Ganz anders die Version der Gesetzesgegner: 250 000 gesammelte Unterschriften seien mehr als genug, so ein Sprecher der Sozialisten. Bei den angeblichen 90 Prozent Gesetzesbefürwortern handele es sich um eine absichtliche Falschmeldung der Regierung, die die Bauern überzeugen wolle, ihr Widerstand sei nunmehr zwecklos.

Geht es nach den Vorstellungen der Nasseristen, sollen die Kleinbauern ein Mitbestimmungsrecht beim Landverkauf erhalten. Auch an staatliche Finanzhilfen zum Erwerb von Grundbesitz wird gedacht. Mietwucher und Bodenspekulation sollen durch eine Festlegung von Höchstgrenzen für die Bodenpreise verhindert werden. Nicht zuletzt, um einer immer häufiger zu beobachtenden Entwicklung vorzubeugen, daß Kooperativen von agrarwirtschaftlichen Unternehmen geschluckt werden.