Asyl für die Eliten

Jospins Regierung hat eine leichte Abschwächung der repressiven Ausländergesetze durchs Parlament gebracht. Die kommunistische und grüne Fraktion enthielten sich fast vollständig

Es ist vollbracht. Die französische rosa-rot-grüne Linkskoalition unter Lionel Jospin hat eine kleine Kurskorrektur auf dem Gebiet des Ausländerrechts über die parlamentarische Bühne gebracht. Nach ihrem Wahlsieg am 1. Juni hatte sie die Bewegung gegen die drastischen Gesetzesverschärfungen, die die ab 1993 regierende Rechte eingeführt hatte, durch leichte Abschwächung der repressiven Gesetze versucht zu integrieren. Seit der letzten Novemberwoche beschäftigte die Ausländergesetzgebung nun das französische Parlament. In einem ersten Aufwasch wurde in der letzten Novemberwoche das Staatsbürgerschaftsrecht im Parlament behandelt. Hierzu hatte Justizministerin Elisabeth Guigou (Parti Socialiste) einen Entwurf vorgelegt. Seit dem 4. Dezember stand sodann der Text von Innenminister Jean-Pierre Chevènement zu Einreise und Aufenthalt von Ausländern zur parlamentarischen Debatte, deren Abschluß die Abstimmung vom 17. Dezember bildete. Mit knapper Mehrheit (276 zu 254 Stimmen), bei fast vollständiger Enthaltung der kommunistischen und der grünen Fraktion, passierte nun auch das Chevènement-Gesetz das Parlament.

Am 1. Dezember ist der Guigou-Text zum Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet worden. Die Regelung zur französischen Staatsbürgerschaft war am 22. Juli 1993 durch den Gesetzestext des konservativen Justizministers Méhaignerie fundamental geändert worden, lediglich ein Teil dieser Änderungen ist jetzt rückgängig gemacht worden. Bis 1993 erhielt jedes in Frankreich geborene Kind ausländischer Eltern mit 18 Jahren automatisch die französische Staatsbürgerschaft. Auf Antrag der Eltern konnte der Erwerb der französischen Nationalität aber bereits vor Erreichen der Volljährigkeit vollzogen werden, zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Voraussetzung waren mindestens fünf Jahre Aufenthalt in Frankreich. Auf diese Weise war es Eltern, die selbst keinen gültigen Aufenthaltstitel besaßen, sich also "illegal" in Frankreich aufhielten, möglich, eine Abschiebung der Familie zu verhindern. Diese Personengruppe wurde als "weder legalisierbar noch abschiebbar" bezeichnet.

Die regierende Rechte zog 1993 eine einfache Schlußfolgerung: Sie legalisierte nicht etwa die Eltern, sondern schaffte die Möglichkeit ab, schon im Kindesalter auf Antrag der Eltern die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten. So wurde einerseits der Erwerb französischer Nationalität schon vor dem 16. Lebensjahr unmöglich gemacht. Zum andern wurde die automatische Einbürgerung mit Volljährigkeit abgeschafft; vielmehr mußten die Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren nun eine "Willensbekundung" abgeben. Personen, die für bestimmte Delikte verurteilt worden waren, wurden vom Erwerb der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Die Gesetzesänderung von 1993 stellte einen weitgehenden Bruch mit "republikanischen Traditionen" dar. Bis dahin wurde jeder auf französischem Boden geborene Mensch als Angehöriger der republikanischen Nation betrachtet. Die neue Reform von Mitte-Links korrigiert diese Regression von 1993 nur teilweise. Möglich ist nunmehr für Immigrantenkinder, die auf französischem Boden geboren sind, der freiwillige Erwerb der Staatsbürgerschaft ab dem 13. Lebensjahr (mit Zustimmung der Eltern) oder ab 16 Jahren (durch eigene Initiative ohne die Eltern). Mit 18 Jahren werden sie wiederum automatisch französische Staatsbürger. Diese Mischung unterschiedlicher Bestimmungen stellt den Versuch einer Kombination verschiedlicher politisch-ideologischer "Wertekonzeptionen" dar, die politisch niemanden wirklich zufriedengestellte.

Wie die Tageszeitung Le Monde in einem Kommentar - der implizit für die vollständige Rückkehr zum ius soli, zum "Bodenrecht" von vor 1993, eintritt - anmerkt, wird den Immigrantenkindern in jungem Alter trotz späteren Erwerbs der französischen Staatsbürgerschaft weiterhin ihre Nichtzugehörigkeit, ihr Fremdsein deutlich gemacht. Dies verdeutliche sich etwa bei Klassenreisen, wenn einige Kinder ein Visum benötigten, weil sie (noch) nicht Staatsbürger Frankreichs sind.

Überraschend war, daß die Regierungspartner der Sozialisten wider Erwarten dem Guigou-Text ihre Zustimmung verweigerten. Sechs von sieben grünen Abgeordneten sowie die 34 der 36 KP-Parlamentarier enthielten sich in der Abstimmung. Dennoch erhielt der Text eine knappe Mehrheit von 267 gegen 246 Stimmen.

Die französische Gesetzgebung zur Staatsbürgerschaft, selbst auf dem regressivsten Stand zwischen 1993 und 1997, ist allerdings noch immer deutlich aufgeklärter und von national-völkischen Mythen freier als in Deutschland, wo nach wie vor das Grundprinzip gilt: "Deutsch ist, wer deutsches Blut in den Adern hat." Auch Teile der deutschen Linken fallen hier noch hinter die französischen Regierungspositionen zurück. Als Beispiel genügt es, einen Beitrag von Harald Wessel zu lesen, der am 14. November in dem Ostblättchen junge Welt erschienen ist. Dort wird Gregor Gysi angegriffen, der sich dafür ausgesprochen hatte, daß Staatsbürger sein könne, wer seinen "Lebensmittelpunkt" im Lande hat. Hell empört, wütet der jW-Autor: "'Wo gut, da Vaterland' kann eine clevere Lebensregel sein, nicht aber ernsthaft als Staatsbürgerschaftskriterium gelten." Und: "Solcher praktischer 'nationaler Nihilismus' käme den (...) 'neoliberalen' 'Globalisierungstheoretikern' gerade recht. Davon träumen vaterlandslose Aktien-Milliardäre." Hingegen wird die "nationale Haftungsgemeinschaft" beschworen, welche den "deutschsprachigen Arbeits- und Obdachlosen" zugute komme.

Am 17. Dezember wurde der Gesetzentwurf von Innenminister Jean-Pierre Chevènement verabschiedet. Dieser Text wurde auf der Grundlage des Abschlußberichts einer Untersuchungskommission unter dem Universitätsdozenten Patrick Weil erarbeitet (siehe Jungle World, Nr. 33/97).

Der Chevènement-Text übernimmt eine Reihe von Paragraphen aus dem Gesetz des konservativen Innenministers Jean-Louis Debré, das im Februar 1997 unter starken Protesten verabschiedet worden war. So den Artikel drei, der Kontrollen und Fahrzeugdurchsuchungen in einer 20-Kilometer-Zone entlang der französischen Grenzen generell gestattet. Ebenso jene Debré-Bestimmung, welche Razzien auf der Suche nach "illegal" beschäftigten Immigranten an Arbeitsplätzen vorsieht, oder die Abnahme von Fingerabdrücken einreisender Ausländer sowie die Einrichtung einer Fingerabdruckdatei. Übernommen wurde auch die Passage, wonach die Verlängerung einer Zehn-Jahres-Aufenthaltsgenehmigung - die bis dahin automatisch erfolgte - im Falle einer "Bedrohung für die öffentliche Ordnung" von den Behörden verweigert werden kann.

Ansonsten sieht das Chevènement-Gesetz einige Öffnungen vor, durch die - "im nationalen Interesse" - bestimmten Kategorien von Ausländern der zeitweilige Aufenthalt im Land erleichtert wird. Dies gilt vor allem für Wissenschaftler hohen Niveaus und Studierende, die befristete einjährige Aufenthaltstitel erhalten sollen. Die zugrundeliegende Konzeption ist identisch mit jener der herrschenden Weltordnung, in der die Grenzen für das (in dem Fall: intellektuelle Human-) Kapital offen und für die Menschen weitgehend geschlossen sind. Als Bonbon für den linken Flügel der gegenwärtigen Regierungskoalition wurde im Laufe der aktuellen Parlamentsdebatte zusätzlich die Möglichkeit eingeführt, Künstlern solche Aufenthaltstitel zu erteilen.

Die dem Anschein nach bedeutendste Öffnung liegt unterdessen in der Erweiterung des Ayslrechts. Nach geltender Rechtsprechung des Conseil d'Etat - des obersten Verwaltungsgerichts - kann sich grundsätzlich nicht auf das Asylrecht berufen, wer nicht von "seinem" Staat, sondern von anderen Verfolgern gejagt wird. Dies schließt etwa die algerischen Bürger aus, die vor Terror und Morddrohungen islamischer Fundamentalisten fliehen. Die Regierung hätte diese Verengung der Asylkonzeption durch die Rechtsprechung aufheben können. Dazu kam es aber nicht.

Doch zwei Neuerungen sollen den Asylbegriff nunmehr ausdehnen. Zum einen das "Verfassungsasyl", das sich auf die Formulierung der Verfassungspräambel von 1946 beruft, wo von "Kämpfern für die Freiheit" die Rede ist. Bisher sind (seit 1993) nur zwei Anträge diesen Typs auf dem Gerichtsweg bis zum Conseil d'Etat gekommen, der beide abschmetterte. Da dieser Asyltyp nunmehr gesetzlich eingeführt wird, hat Chevènement vor dem Parlament seine Vorstellung von "Kämpfern für die Freiheit" präzisiert: "Männer und Frauen aus der Elite" und "notwendig in geringer Zahl".

Daneben wird das sogenannte "territoriale Asyl" nunmehr gesetzlich festgeschrieben, das in der Praxis bereits existiert und nichts anderes als eine humanitäre Duldung auf Zeit ist, über welche der Innenminister frei entscheidet. In einem von der Nationalversammlung angenommenen Antrag des PS-Abgeordneten Caresche wird präzisiert, es gehe hier um "Personen, die durch ihren Beruf oder ihre künstlerische Aktivität mit Frankreich verbunden sind und aus diesem Grunde bedroht sind". Hier ist wahrscheinlich an Französischlehrer und ähnliche Personenkreise in Algerien gedacht, die für Paris als Transmissionsriemen für seinen fortbestehenden Einfluß in Algerien wichtig sind.

Die rechte Opposition hat der wenig humanitäre und großzügige Charakter des Chevènement-Gesetzes freilich nicht davon abgehalten, während der gesamten Parlamentsdebatte das bedrohliche Bild von angeblich über Frankreich hereinbrechende Immigrationsfluten zu zeichnen. Am ersten Wochenende des Dezember fand in Nizza eine vom örtlichen Bürgermeister Jacques Peyrat (heute Gaullist, bis 1994 Front National) organisierte Demonstration unter dem Motto "La France se mérite" (In Frankreich zu sein, muß man sich verdienen) statt. Dazu war im Vorfeld im konservativen Figaro und in der FN-Parteizeitung National Hebdo getrommelt worden.