Unglückliche Millionen

Als es in der Parteispendenaffäre nichts mehr zu leugnen gab, trat Tschechiens konservativer Ministerpräsident Vaclav Klaus zurück. Kurz vor dem angestrebten Ziel, dem EU-Beitritt, ein unverhofftes Stolpern.

Mitte Dezember wird auf dem EU-Gipfeltreffen in Luxemburg entschieden, welche Staaten in der ersten Runde der EU-Erweiterung dabei sein sollen. In der Agenda 2000 der für die Erweiterung zuständigen Kommission wurde bislang Polen, Slowenien, Ungarn, Estland und Tschechien EU-Reife attestiert. Doch auch sie gelten nicht als hundertprozentig sichere Kandidaten. Also tun sich diese fünf Staaten zur Zeit als Neoliberalismus-Streber hervor: Bei der beschleunigten Privatisierung ehemals staatlicher Sektoren, der Öffnung einheimischer Märkte und bei der Garantie politischer wie monetärer Stabilität. Tschechien galt dabei lange Zeit als Musterschüler des Übergangs vom Staatssozialismus zum Kapitalismus - und somit als Liebling der EU.

Und nun das: Vaclav Klaus ist am Sonntag von seinem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten. Gemäß der Verfassung des Landes trat damit auch die gesamte Regierung zurück. Zuvor hatten vier Minister des christdemokratischen Koalitionspartners KDU-CSL und weitere vier Kabinettsmitglieder aus den Reihen der liberal-bürgerlichen ODA ihre Regierungsämter niedergelegt. Neben einem Scheitern des Haushaltsgesetzes für 1998 droht nun der endgültige Bruch der konservativen Regierungskoalition. Tschechiens Außenminister Josef Zielenec war bereits Mitte Oktober demissioniert. Und das alles wegen der normalsten Sache der kapitalistischen Welt - Korruption und einer Parteispendenaffäre.

Im Vorwahljahr 1995 hatte die ODS, stärkste Partei der damals regierenden konservativen Koalition, eine Parteispende von 7,5 Millionen Kronen (etwa 450 000 Mark) erhalten. Offiziell wurden ein Lajos Bacs aus Budapest und der Geschäftsmann Rajiv Sinha aus Mauritius als ODS-Gönner angegeben. Die Tageszeitung Mlad‡ front‡ dnes recherchierte und präsentierte im April 1996 ihre Ergebnisse: Bacs war zum Zeitpunkt seiner Spende bereits seit 13 Jahren tot, und Sinha hatte von einer ODS noch nie etwas gehört. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, die Gerüchteküche brodelte, Ergebnisse aber blieben aus.

Bis sich in der vergangenen Woche der 7,5-Millionen-Spender selbst outete. Der Finanzmanager Milan Srejber, ein ehemaliger Tennisprofi, gab an, der ODS sogar mehr als 7,5 Millionen Kronen überwiesen zu haben. Wieviel es genau gewesen seien, wisse er nicht mehr.

Zum Zeitpunkt der Spende hatte Srejber von Regierungsbeauftragten den Zuschlag bei einem lukrativen Privatisierungsobjekt bekommen. Ein Großteil der Staatsholding Moravia, das Stahlwerk Trinecke zelezarny - immerhin das drittgrößte des Landes -, ging 1995 an Srejber und seine nach wie vor unbekannten Kompagnons. Die Tageszeitung Pravo behauptete dazu in der vergangenen Woche, Srejber und seine Partner hätten vor dem Deal insgesamt 40 Millionen Kronen (etwa 2,3 Millionen Mark) gezahlt, um an Informationen über Moravia zu kommen. Davon seien 7,5 Millionen als Spende an die ODS gegangen. Srejber bestritt am Mittwoch vergangener Woche jeden Zusammenhang zwischen seiner Spende und der Privatisierung. Der ODS sei sein Name unbekannt gewesen.

Doch dies wird selbst von hochrangigen ODS-Funktionären bestritten: Josef Zieleniec, der Mitte Oktober von seinen Ämtern als Außenminister und stellvertretender Parteivorsitzender der ODS zurückgetreten war, bestätigte die Aussage seines ehemaligen Beraters Petr Kolr. Dieser, inzwischen als Botschafter in Stockholm tätig, hatte Mitte vergangener Woche angegeben, bereits vor 18 Monaten den edlen Spender gekannt zu haben. Er habe den Namen Srejber an Zieleniec weitergegeben, der wiederum den ODS-Vorsitzenden Klaus informiert habe. Auch der 1995 für die Parteifinanzen zuständige stellvertretende Parteivorsitzende Nov‡k hat mittlerweile bestätigt, von Beginn an den wahren Spender gekannt und ihm zu einer anonymen Spende geraten zu haben. Nov‡k gab sich in der vergangenen Woche als geständiger Einzeltäter, übernahm die Verantwortung für die Affäre und versuchte, Vaclav Klaus aus der Schußlinie zu ziehen.Denn der will erst in der vergangenen Woche von den "unglücklichen 7,5 Millionen" erfahren haben. Daß er als Ministerpräsident zurücktreten solle, wie von Staatspräsident Vaclav Havel und dem Vorsitzenden des christdemokratischen Koalitionspartners ODA gefordert, wies Klaus noch bis Samstag abend zurück. Jedoch müsse, so Klaus, die gesamte ODS-Spitze - er selbst natürlich eingeschlossen - auf einem Sonderparteitag ihre Ämter zur Verfügung stellen. Er werde anschließend aber erneut für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren. Die 7,5 Millionen Kronen sollen nach ODS-Angaben an die Opfer der Flutkatastrophe vom Sommer dieses Jahres überwiesen, die Parteifinanzen künftig offengelegt werden.

Finanzminister Ivan Pilip, ein weiterer stellvertretender Parteivorsitzender, sollte rasch einen Untersuchungsbericht vorlegen, um die Korruptionsvorwürfe zu entkräften. Es gelte, das "Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen" und die Angriffe auf die ODS als Verschwörung zur Destabilisierung des Landes kurz vor dem Nato-Beitritt und den EU-Aufnahmegesprächen zu entlarven, wie Klaus ausposaunte - bis kurz vor seinem Rücktritt. Nach der Rückkehr von seinem Kurzbesuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo am Samstag jedoch hatte sich ein Teil der ODS-Spitze um Pilip gruppiert und forderte Klaus auf, endlich die Verantwortung für den Skandal zu übernehmen und zumindest als Parteivorsitzender zu demissionieren. Nach einer elfstündigen Krisensitzung gab Klaus sein Amt als Ministerpräsident auf.

Recherchen von Mlad‡ front‡ dnes hatten zuvor die ODS weiter unter Druck gesetzt. Die ODS habe ein nicht gemeldetes Konto in der Schweiz, auf dem ein "unglaublich hohes Guthaben" der Partei liege. Es handele sich dabei um einen Betrag von insgesamt 170 Millionen Kronen an "Gefälligkeitsgeldern", die von in- und ausländischen Firmen und Geschäftsleuten im Zuge des tschechischen Privatisierungsprozesses auf das ODS-Konto in der Schweiz eingezahlt worden seien. Der Kontoinhaber sei ein unbekannter Dritter.

Auch dies wurde von Klaus solange dementiert, bis Ende letzter Woche zwei Minister seines Kabinetts, Finanzminister Pilip und Innenminister Vodicka, die Existenz der Gelder bestätigten. Beide sagten aus, schon auf einer Sitzung der Parteispitze vor zwei Monaten über diese "Möglichkeit der Parteienfinanzierung aus dem Ausland" erfahren zu haben. Eben diese Informationen seien auch der Grund für den Rücktritt von Außenminister Zieleniec gewesen, der damals offiziell keine Motive angegeben hatte.

Nun ist der vielbeschworene Fetisch der Stabilität in Gefahr. Nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch: Nachdem die wichtigsten Kurse an der Prager Börse bereits am Donnerstag nachgegeben hatten, sackte am Freitag auch der Wechselkurs der tschechischen Krone spürbar ab. Staatspräsident Vaclav Havel hat umgehend bis zur Ernennung eines neuen Kabinetts die bisherige Regierung mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betraut. Die ODS will nach eigenen Angaben sowohl bei der Übergangsregierung als auch in einem neuen Kabinett vertreten sein. In welcher Form und mit welchen Protagonisten, soll auf einem außerordentlichen Parteitag am 13. Dezember geklärt werden. Bis dahin will Vaclav Klaus Parteichef bleiben.

Überhaupt der 13. Dezember: Während die oppositionellen Sozialdemokraten Neuwahlen favorisieren, wollen die bisherigen politischen Machthaber den Sonderparteitag abwarten. Die alten Koalitionsparteien ODA und KDU-CSL setzen auf eine weitere Zusammenarbeit mit der Klaus-Partei. Und Vaclav Havel hätte wohl ohne die Rückendeckung eines konservativen Bündnisses kaum Chancen, bei der Präsidentenwahl im kommenden Januar wiedergewählt zu werden.

Der schon länger währende ODS-interne Machtkampf zwischen Klaus und Zieleniec, der nach dem Rücktritt des Partei-Vize schon entschieden schien, ist somit für den 13. Dezember wieder offen. Ergänzt um einen neuen Protagonisten: Finanzminister Pilip, der sich als Saubermann profilieren konnte und die ODS, die nach aktuellen Meinungsumfragen fast zehn Prozentpunkte hinter den oppositionellen Sozialdemokraten liegt, wieder zum Garanten eines stabilen Tschechiens machen will. Nur wenige Tage vor der entscheidenden EU-Sitzung.