Islamisten hausgemacht

In Paris begann der Prozeß gegen 41 mutmaßliche Unterstützer der algerischen GIA

Anfang vergangener Woche begann vor der 14. Strafkammer des Pariser Gerichtshofs der Prozeß gegen 41 Mitglieder eines "Netzes", das bewaffnete islamische Fundamentalisten bei ihrem Kampf gegen das algerische Regime sowie gegen Frankreich logistisch unterstützte.

Insbesondere sollen die Unterstützer der "Bewaffneten islamischen Gruppen" (GIA) Waffen für den islamistischen Untergrund in Algerien zusammengekauft und transportiert haben. Außerdem sollen sie Aktivisten zum bewaffneten Kampf oder zum militärischen Training nach Bosnien und Afghanistan geschickt haben. Aber auch zu der Attentatswelle in Frankreich, die zwischen Juli und Oktober 1995 insgesamt acht Tote und über 130 Verletzte forderte, trugen sie laut Anklage mit organisatorischen Hilfs- und Vorbereitungsdiensten bei.

Keinem der Angeklagten ist allerdings eine direkte Beteiligung an den Anschlägen von 1995 - die durch Bomben in Metro- und Vorortzügen, vor einer jüdischen Schule oder in öffentlichen Müllbehältern direkt die Bevölkerung trafen - nachgewiesen. Die Anklage lautet daher: Gründung und Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung in Verbindung mit einem terroristischen Unternehmen". Hierfür droht eine Maximalstrafe von zehn Jahren.

Das Bild, das in diesem Prozeß sowohl durch Ermittlungsergebnisse der französischen Strafverfolger als auch durch Geständnisse und Aussagen der Angeklagten gezeichnet wird, widerspricht der Interpretation des islamisch-fundamentalistischen Terrorismus, der in den letzten Jahren Algerien und - in weit geringerem Maße - Frankreich getroffen hat. Zum einen der Behauptung, es gäbe keine aus dem Islamismus und seiner Ideologie stammende terroristische Bewegung; vielmehr stelle der systematische Terror, auf dessen Konto mittlerweile Zehntausende Opfer vor allem in Algerien gehen, eine pure Manipulation der algerischen Militärdiktatur dar, die zum Zweck habe, deren massive Repression zu legitimieren. Zum anderen widersprechen die Aussagen der Vorstellung, der Terror in Algerien sei gewissermaßen vom "Wesen" der Araber und Muslime geprägt.

Die Idee vom "natürlichen Fanatismus" der Algerier wird jedoch im Falle des französischen GIA-Netzes bereits vom simplen Augenschein widerlegt. Unter den 41 Angeklagten befinden sich, neben 17 Algeriern und 18 französischen Staatsbürgern algerischer Abstammung, auch fünf "gebürtige" Franzosen, die keine Araber oder Muslime in ihrer Familie haben und die Kinder französischer Katholiken sind.

So bekehrte sich David Vallat im Alter von 20 Jahren zum Islam, nahm an einem militärischen Lehrgang in Afghanistan teil und plante später ein Attentat auf ein Benzindepot bei Lyon (die diesbezüglich gemachte Aussage hat er mittlerweile allerdings wieder zurückgezogen). Auf Anweisung von Ali Touchent, der in Europa als Sprecher der GIA fungierte, reiste David Vallat 1995 nach Istanbul und traf sich dort mit einem "Emir" (Befehlshaber) der GIA, dem er eine größere Geldsumme sowie einen gefälschten Paß übergab. Das Dokument diente Boualem Bensaid, dem mutmaßlichen Koodinator der Attentate von 1995, zur Einreise von Algerien nach Frankreich.

In Afghanistan lernte David Vallat einen zweiten Französischstämmigen kennen, Joseph Jaime, der mit 25 Jahren zum Islam konvertiert war. Jaime hatte dem GIA-Mitglied Ali Touchent, das zunächst vor staatlichen Repressalien aus Frankreich nach Belgien geflüchtet war, im April 1995 bei seiner Wiedereinreise und Ansiedlung in Frankreich geholfen. Ali Touchent war 1994 Verbindungsmann der GIA gewesen und hatte von Brüssel aus ein Netz bis nach Deutschland, Italien, Großbritannien und in die Schweiz aufgezogen.

David Vallat und Joseph Jaime waren die beiden Reisekader des "Netzes Chasse-sur-Rh(tm)ne" (Jagd an der Rh(tm)ne) im Großraum Lyon. Vor Gericht erklärten die beiden allerdings, sie hätten sich dem Drängen des aus Algier eingereisten Boualem Bensaid widersetzt, sofort zum "heiligen Krieg" auf französischem Boden überzugehen - während die zum Netz zählenden Gruppen in Vaulx-en-Velin (bei Lyon) und in Lille der Aufforderung Folge leisteten.

Die Gruppe von Vaulx-en-Velin wurde Ende September 1995 von der französischen Polizei zerschlagen und ihr Anführer Khaled Kelkal - nachdem die Beamten ihn tagelang gejagt hatten - erschossen. Auf ihr Konto geht die Bombe, die im August 1995 im Schnellzug auf der Strecke Paris-Lyon entdeckt, aber rechtzeitig entschärft wurde. Die Gruppe im nordfranzösischen Lille wurde am 2. November 1995 von der Polizei überrascht, als sie eine bereits scharfgemachte Bombe auf einem Markt plazieren wollte.

Die Vorstellung, die Massaker in Algerien seien in Wahrheit das (fast) alleinige Werk der dort regierenden Militärs, welche ihre Gewalt zu Repressionszwecken verschleierten und den Islamisten in die Schuhe schöben, wird durch die eigenständige Entwicklung eines aus islamistischer Ideologie genährten Terrorismus auf französischem Boden - fernab vom direkten Zugriff der algerischen Staatsmacht - ebenfalls widerlegt. Das französische GIA-Netz stand zwar von Anfang an mit der algerischen Innenpolitik, die Anfang der neunziger Jahre vom Aufstieg der Islamischen Heilsfront (FIS) geprägt war, in Verbindung, entwickelte sich jedoch vor dem Hintergrund innerfranzösischer sozialer und politischer Problematik.

Am Ausgangspunkt der gegenwärtig vor Gericht stehenden Gruppierung stand eine Vereinigung namens "Fraternité algérienne en France" (FAF, Algerische Bruderschaft in Frankreich), die Anfang 1992 von dem kurz zuvor verbotenen FIS gegründet wurde. Dazu bestimmt, für die nach dem Abbruch der Wahlen zum Jahreswechsel 1991/92 in den Untergrund gedrängte Islamistenpartei FIS Waffen und Geld zu sammeln, wurde die FAF Ende 1993 vom französischen Staat zerschlagen. Daraufhin wurde das Netz neu gegründet, dieses Mal jedoch auf Unterstützung der autonom operierenden Terroristengruppen der GIA hin ausgerichtet.

Die Formierung islamistischer Strukturen in Frankreich hat innerfranzösische Gründe. Diese sind in der seit Anfang der neunziger Jahre sich zuspitzenden Krise der ghettoisierten französischen Banlieues zu suchen, wo die Immigranten leben.

Zu dieser Zeit vollzog sich in den Vorstädten ein spürbarer Wandel: Bis dahin hatten die jugendlichen Immigranten bei sozialen und politischen Protesten regelmäßig gleiche Rechte innerhalb der französischen Gesellschaft gefordert. Von da an aber, mit der Verschärfung der allgemeinen sozialen Krise, dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit und dem weiteren Aufstieg der extremen Rechten, ist ein zunehmender militanter Rückbezug der ghettoisierten Bevölkerung auf ihre sogenannten ethnischen und konfessionellen "Wurzeln" zu beobachten.

Ein anschauliches Beispiel einer solchen Entwicklung bietet die Biographie von Safé Bourafa, vermutlich die zentrale Figur unter den 41 Angeklagten. 1970 geboren, hatte er Ende der achtziger Jahre zunächst an der Universität von Dijon drei Jahre lang Philosophie und Geschichte studiert und war kurzzeitig bei der französischen Sozialisten aktiv gewesen. Später widmete er sich als Erzieher den "Problemjugendlichen". Ab 1990 begann er, den Islam für sich zu entdecken, was ihn alsbald zu der Überzeugung brachte, daß die Scharia - das islamische Strafgesetzbuch - die Lösung der gesellschaftlichen Probleme darstelle. Safé Bourada war es, der Khaled Kelkal, der 1995 kurzzeitig der meistgesuchte Mann Frankreichs war, für das Netz rekrutierte.

Vor diesem sozialen - und keineswegs religiösen - Hintergrund der Bildung einer islamistischen Ideologie erscheint es nicht verwunderlich, daß junge Leute französisch-katholischer Abstammung, die von der Ghettoisierung und Ausgrenzung ganzer geographischer Zonen genauso betroffen sind wie ihre algerischstämmigen Nachbarn, wie diese vom Islamismus angezogen werden.