Umarmung am Sarg

Frankreichs Sozialisten schäkern mit der Kommunistischen Partei, die in Zukunft nicht mehr so heißen soll

Zwei Ereignisse haben in der vergangenen Woche ein Schlaglicht auf die Situation der beiden großen französischen Linksparteien geworfen. So hielt der Parti Socialiste (PS) vom 21. bis 23. November seinen Kongreß - den ersten seit der Regierungsübernahme im Juni - im bretonischen Brest ab. Der Parti Communiste Francais (PCF) hingegen geriet zunächst durch den Tod seines langjährigen Parteivorsitzenden Georges Marchais in die Schlagzeilen. Das Ableben des 77jährigen bot der Medienöffentlichkeit jedoch Gelegenheit, sich über die Entwicklung der französischen KP seit der Ablösung von Marchais durch Robert Hue im Januar 1994 und ihrer seitdem ausgerufenen mutation (Wandlung) Gedanken zu machen.

Der PS, sozialdemokratische Mehrheitspartei der aktuellen Regierungskoalition unter Lionel Jospin, hielt zum ersten Mal seit drei Jahren einen Parteikongreß ab. Waren in den Wochen zuvor Überlegungen laut geworden, den Parteitag in Paris statt in Brest abzuhalten, um Störungen durch eventuell demonstrierende Arbeiter der krisengeschüttelten Werft- und Rüstungsindustrie zu vermeiden, so hatte die Kongreßregie doch an dem atlantiknahen Tagungsort festgehalten.

Die Befürchtungen vor imageschädigenden Protesten waren schließlich unbegründet. Ebenso blieben innere Zerreißproben, wie sie die letzten PS-Parteitage geprägt hatten, weitgehend aus. "Das Hochamt von Brest begann mit einer langen Litanei von Reden der Selbstzufriedenheit und Selbstgratulation, die kaum durch einige wenige Mißtöne gestört wurden, welche man in höflichem Schweigen anhörte", schrieb der linksbürgerliche Le Monde. Der Kongreß habe keinerlei "echte Ideenkonfrontation" gebracht.

Im Vorfeld des Parteitags hatten die Mitglieder in den örtlichen Sektionen über die unterschiedlichen Textentwürfe mehrerer parteiinterner Strömungen abgestimmt, wobei - wie beim PS üblich - die prozentualen Ergebnisse der einzelnen Vorlagen automatisch über die proportionale Besetzung der Vorstandsposten entschieden.

In den letzten Jahren war der Flügel der "Gauche Socialiste" GS (Sozialistische Linke) zur hauptsächlichen innerparteilichen Opposition geworden. Zwar waren die wichtigsten Köpfe der GS wie Jean-Luc Melenchon und Julien Dray, zwei ehemalige Trotzkisten, in den achtziger Jahren durch Präsident Fran ç ois Mitterrand - dem sie ihre Abgeordnetenposten zu verdanken hatten - als Gegenkraft zu seinem jahrzehntelangem persönlichen Rivalen Michel Rocard aufgebaut worden und spielten somit die Rolle einer loyalen "Opposition von Ihro Majestät Gnaden". Dennoch hatte die GS in den neunziger Jahren durch Kritik am Golfkrieg und am Maastricht-Vertrag den Platz einer parteiinternen Opposition eingenommen.

In den ersten Wochen der erneuten PS-Regierungsbeteiligung seit Juni hatte die GS zunächst die kritischen Töne lauter werden lassen, vor allem gegenüber dem Maastrichter Vertrag und seiner Fortschreibung durch das Amsterdamer Abkommen sowie gegenüber der Fortsetzung der Privatisierung etwa im Fall von France Télécom. Die innerparteiliche Stimmung, auch an der Basis, wendete sich jedoch seitdem scharf gegen sie. Die GS-Wortführer haben seitdem ihrer Kritik einen Dämpfer verpaßt und sich Anlässe zum Lob der offiziellen Partei- und Regierungspolitik (etwa für den Beschluß der 35-Stunden-Woche vom 10. Oktober) gesucht. Bei der Urabstimmung der Kongreßvorlagen ist die GS nunmehr gegenüber ihrem Terraingewinn vom Vorjahr, als ihr parteiinterner Entwurf zur Wirtschaftspolitik im Dezember 16,19 Prozent (und zuvor, im Frühjahr 1996, ein Antrag mit Maastricht-Kritik überraschende 42 Prozent) erhielt, deutlich zurückgefallen und hält sich bei 10,21 Prozent. Im 204köpfigen neuen Vorstand besetzt die GS 21 Sitze, die regierungsfreundliche Mehrheit 172. Ohne Überraschung wurde der von Premierminister Jospin vorgeschlagene Kandidat für seine Nachfolge im Parteivorsitz, Fran ç ois Holland, zum "ersten Sekretär" des PS gewählt.

Eines der bemerkenswertesten Ereignisse des PS-Kongresses von Brest war die Teilnahme des amtierenden PCF-Chefs, Robert Hue, was eine historische Premiere seit der Spaltung des französischen Sozialismus in Sozialdemokraten und Kommunisten auf dem Kongreß von Tours im Dezember 1920 darstellte. Die Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten, die seit Juni erneut eine gemeinsame Regierung (zusammen mit Grünen und Linksliberalen) bilden, bleibt aber nicht hierbei stehen. Seit einigen Monaten verdichten sich Mediengerüchte über eine mittelfristig bevorstehende Namensänderung des PCF, um sich des zur historischen Last gewordenen Attributs "kommunistisch" zu entledigen.

Gerüchte sind zwar mitunter Schall und Rauch. Doch in diesem Fall schienen sie immerhin so drängend zu werden, daß Georges Marchais, der 25 Jahre lang die Geschicke des PCF führte, sich bemüßigt fühlte, Alarm zu schlagen. Anfang November schickte er der Parteizeitung L'Humanité eine Stellungnahme zu den Umbenennungsgerüchten. Wie in (gar nicht lang zurückliegender) alter Zeit, da der PCF noch nach realsozialistischen Methoden funktionierte, hatte Marchais seinen Kommentar als Pseudo-Interview verfaßt, in dem er selbst sowohl die Fragen als auch die Antworten formuliert hatte ("Warum hielten Sie es für angebracht, am letzten Dienstag in der Parteiführung zu einer eventuellen Namensänderung des PCF das Wort zu ergreifen? - Ganz einfach, weil die Frage öffentlich im Raum stehtÖ").

L'Humanité, die zunächst den von Marchais geforderten Abdruck auf der Titelseite verweigerte, publizierte den Text schließlich Anfang November im wortgetreuen Original und dem Zusatz: "Georges Marchais hat uns gestern den Text zugesandt, der unten zu lesen ist." Für jedermann war offensichtlich, daß der Angesprochene das vermeintliche Interview mit sich selbst geführt hatte - keine Zeitung unterließ es in den folgenden Tagen, auf das Ereignis hinzuweisen und darauf, daß es die Kommunisten selbst waren, die den Ex-Parteichef der Lächerlichkeit preisgegeben hatten.

Mit dem Tod von Marchais am 16. November fiel das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die fortlaufenden Veränderungen der Partei, während der PCF an seinem Parteisitz an der Pariser Place du Colonel-Fabien noch einmal die rote Fahne aus der Mottenkiste packte, um sie auf Halbmast zu setzen - seit 1994 weht dort normalerweise die französische Trikolore. Unterdessen übten die sozialistischen Größen - Jospin trug sich persönlich am PCF-Sitz in das Kondolenzbuch für den toten Parteichef ein - vereinnahmende Umarmungen.

So äußerte der

PS-Parteilinke Henri Emmanuelli wenige Stunden nach Marchais' Tod: "Es liegt heute an uns, sehr ernsthaft an die Überwindung der Fehler dieses Jahrhunderts und an die Wiedervereinigung der sozialistischen Ideologien (Ö) zu denken." Fran ç ois Holland legte kurze Zeit später nach: "Ich glaube nicht, daß man von den Kommunisten verlangen kann, Sozialisten zu werden. Aber wir können ihnen sagen: Ihr habt immer einen Platz im Haus, es liegt an euch, über euer Schicksal zu entscheiden."

Dahinter steckt zweifellos die realistische Überlegung, daß dem PCF nach Abhandenkommen seines sowjetischen "Modells" langfristig die Legitimation seiner Funktionsweise fehlt. Die französische KP basierte seit Jahrzehnten darauf, daß sie über einen enormen (Partei- plus Gewerkschafts-)Apparat verfügte, der eine doppelte Funktion erfüllte: Einerseits ermöglichte er einer bedeutenden Anzahl von Arbeitern sozialen Aufstieg und Bildung, um aus ihnen eine neue soziale Führungsschicht zu formen. Zum anderen bildete er durch seine Anbindung an das sowjetische System eine Art Enklave inmitten der kapitalistischen Gesellschaft und legitimierte so, neben der durchaus angepaßten Alltagspolitik der Partei, ihre Existenz als Trägerin eines anderen, "besseren" Systems. Der Erhalt dieses Apparats wurde zum hauptsächlichen Existenzzweck der Partei, dem alle anderen Ziele unterzuordnen waren.

Robert Hue versuchte, der Partei zunächst eine neue Identität als Protestpartei und Instrument sozialer Bewegungen zu geben. Mit der Regierungsbeteiligung droht aber auch dieser Daseinszweck obsolet zu werden bzw. in Widerspruch zur (Regierungs-)Praxis der Partei zu geraten. Für eine wachsende Zahl von Kadern liegt die Lösung daher in einem Anschluß an eine (möglicherweise erweiterte) Sozialdemokratie - fragt sich nur, ob dieser auf individuellem Wege geschieht, oder ob die Organisation als ganze sich zu dem Schritt entschließt.

Eine engere organisatorische Annäherung zwischen PS und PCF ist mit Sicherheit eine längerfristige Angelegenheit. Ein möglicher erster Schritt scheint aber zu sein, daß die KP zu den Regional- und Départementswahlen im kommenden Frühjahr nicht mehr mit eigenen Kandidaten antritt, sondern nurmehr auf einer Einheitsliste der Linken mit dem PS.

Als Ermutigung für weitergehende Schritte kann die PCF-Führung unterdessen die Ergebnisse eine jüngsten Umfrage des Nouvel Observateur werten: Nicht nur 92 Prozent aller Befragten, sondern auch 93 Prozent der interviewten PCF-Wähler beurteilen die seit 1994 unternommenen Veränderungen der Partei als positiv, die Rolle von Robert Hue wird von 84 Prozent der Befragten und 92 Prozent der PCF-Wähler positiv gesehen. Die Regierungsbeteiligung wiederum unterstützen 76 Prozent der Interviewten und 90 Prozent der PCF-Sympathisanten. Die Gegner der mutation, die gerne das "alte" PCF-Gesicht bewahren würden, beschränken sich demnach auf einen kleinen Kern von fünf Prozent des PCF-Umfelds.