Tod am Nil

Nach dem Attentat auf Touristen brechen die Widersprüche in der Gama'a al-islamiya auf

Die Terrorwelle ägyptischer Islamisten ebbt nicht ab. Anfang vergangener Woche haben Aktivisten der Gama'a al-islamiya (Islamische Gruppe) in den antiken Tempelanlagen nahe der oberägyptischen Stadt Luxor erneut ein Blutbad unter Touristen angerichtet. Bei dem Attentat der militanten Islamisten wurden nach offiziellen Angaben 58 Menschen getötet und weitere 24 verletzt.

Bereits vor zwei Monaten hatten religiöse Fanatiker vor dem ägyptischen Museum in der Kairoer Innenstadt einen Reisebus mit Benzinbomben und Maschinenpistolen attackiert (Jungle World, Nr. 43/97). Die ägyptischen Behörden hatten damals die Version verbreitet, es habe sich nicht um einen politisch motivierten Anschlag, sondern um den von Geisteskranken gehandelt.

Allen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz läßt sich der politische Hintergrund des jüngsten Anschlags nicht leugnen. Bekennerschreiben tragen eindeutig den Duktus der Gama'a al-islamiya: "Die Gama'a wiederholt ihren Aufruf an die ausländischen Staaten, ihren Bürgern den Rat zu erteilen, Ägypten derzeit nicht zu besuchen, damit sie nicht zu Opfern in einer Schlacht werden, an der sie nicht beteiligt sind", heißt es in einem der Pamphlete. Die Gruppe erklärte, ursprünglich hätten die Touristen als Geiseln genommen werden sollen, um inhaftierten Gesinnungsgenossen - darunter das geistige Oberhaupt der Gruppe, Omar Abdel-Rahman - freizupressen. Angesichts der brutalen Aktion der Attentäter, die mehr einem Hinrichtungskommando als einer gepanten Entführung gleichkam, erscheinen solche Aussagen allerdings unglaubwürdig.

Wie die arabische Tageszeitung Al-Hayat einen Tag nach dem Anschlag berichtete, wurden einige Tote von den Terroristen mit Messern traktiert und verstümmelt. "Sie sahen aus wie wilde Tiere. Sie ließen uns niederknien, dann schossen sie los", erinnerte sich eine Schweizer Touristin, die nur deshalb überlebte, weil sie sich mit dem Blut der auf ihr liegenden Leichen beschmierte und unentdeckt bleiben konnte.

Der Anschlag ereignete sich, als mehrere Reisegruppen von Schweizern, Engländern, Japanern, Franzosen und Deutschen gerade im Begriff waren, den Hatschepsut-Tempel in Luxor zu verlassen. Sechs mit automatischen Waffen ausgerüstete Männer in schwarzen Armeeuniformen betraten den Tempel und eröffneten wahllos das Feuer auf die Touristen und deren ägyptischen Begleitschutz. Entgegen den offiziellen Darstellungen des Innenministeriums geht die sozialistische Oppositionszeitung der Tagammu-Partei, Al-Ahali, von mindestens zwölf am Anschlag beteiligten Islamisten aus. Sie stützt sich dabei auf mehrere Zeugenaussagen.

Präsident Hosni Mubarak ersetzte nur einen Tag nach dem Anschlag seinen Innenminister Hassan al-Alfi durch den bisherigen Chef der Staatssicherheit, General Habib Ibrahim al-Adly. Dabei kam die Entlassung al-Alfis dem Staatschef nicht ganz ungelegen, war dieser doch in jüngster Zeit immer stärker mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert worden. Magdi Hussein, prominenter Vertreter der Muslimbruderschaft und Herausgeber der islamistischen Zeitung Al-Sha'ab, hatte zuvor ein Verfahren gegen al-Alfi wegen persönlicher Bereicherung bei der öffentlichen Landvergabe und wegen allgemeiner Menschenrechtsverstöße angestrengt.

Inzwischen haben auch renommierte Vertreter der palästinensischen Hamas, der schiitischen Hisbollah und der Gama'a al-islamiya Libanons in ihren Stellungnahmen scharfe Kritik an der Greueltat der sunnitischen Terroristen geübt. Das Attentat würde die gesamte arabische Welt nur schwächen und dem Ansehen des Islam schweren Schaden zufügen, hieß es dazu Mitte vergangener Woche in Presseerklärungen. Selbst bei Teilen der heterogenen Führungsschicht von Gama'a in Ägypten stieß das Attentat auf strikte Ablehnung. Der islamische Anwalt Montasser el-Zayyat äußerte gegenüber der Zeitung Al-Ahram weekly, er könne sich nicht vorstellen, daß der Anschlag von Gama'a al-islamiya verübt worden sei. Er sei schockiert und fassungslos. Dies wirft ein Schlaglicht auf die internen Konflikte und Spaltungserscheinungen innerhalb der Führungselite der Organisation, die sich bereits im Sommer dieses Jahres abzeichneten. Im August hatte der blinde Scheich Omar Abdel-Rahman, der wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an dem Bombenattentat auf das World Trade Center in New York eine langjährige Freiheitsstrafe in den USA verbüßt, über seinen Anwalt Ramzi Clark einen Gewaltverzicht seiner Organisation in Aussicht gestellt. Während die "Friedensinitiative" Rahmans von den inhaftierten Führungskadern in Ägypten begrüßt wurde, fand der Vorschlag bei den ins Ausland abgewanderten Gama'a-Aktivisten wenig Anklang.

Nach Ansicht ägyptischer Extremismusexperten des Al-Ahram-Zentrums für politische und strategische Studien zeigt der Anschlag von Luxor die momentane Krise der Gama'a al-islamiya und die gegensätzlichen Positionen ihrer Mitglieder zu einem Waffenstillstand mit dem ägyptischen Staat. Mit möglichst aufsehenerregenden Anschlägen wie in Luxor würden die - wegen des Friedensangebots - unter Handlungszwang geratenen Protagonisten eines bewaffneten Kampfes versuchen, ihre Stellung innerhalb der Organisation zu behaupten, argumentiert Diaa Rashwan, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums. Längst hat sich Gama'a zu einer fraktionierten "umbrella"-Organisation entwickelt, die sich nicht mehr als eine religiös-politische Einheit versteht.

Ein weiteres Indiz erhärtet den Verdacht, daß die Gruppe um Rahman entlang ideologischer und tagespolitischer Fragestellung gespalten ist: Im Zusammenhang mit dem Luxor-Massaker tauchte ein Schreiben einer Splittergruppe der Gama'a, der sogenannten Tala en affath (Speerspitze der Eroberung), auf. Diese Gruppe bekannte sich zwar nicht zum Anschlag, kündigte jedoch weitere Terroraktionen gegen Touristen an, falls diese weiterhin mit ihren Reisen die "ungläubige" politische Führung mit Geldern unterstützen und sich die Regierung auch in Zukunft weigern sollte, die Waffenstillstandsofferte der Gama'a zu akzeptieren. Außerdem kritisierte sie Willkür und Folter, denen die Gefangenen ausgesetzt seien.

Durch den forcierten Ausbau des Sicherheitsapparats und eine Verschärfung der Anti-Terror-Bekämpfung war es dem Regime Mitte der neunziger Jahre gelungen, rund 15000 Mitglieder und Sympathisanten der islamistischen Opposition in Ägypten gefangenzunehmen und die Bewegung politisch zu isolieren. Von den umfangreichen Repressionsmaßnahmen der Regierung gegen die islamistische Bewegung ist bis heute auch die moderat agierende Al-Ikhwan al-Muslimin (Muslimbruderschaft) betroffen. Diese ruft zwar nicht zum Sturz der säkularen Regierung auf, fordert aber die Errichtung einer Theokratie nach iranischem Vorbild. Die Bruderschaft zeigt sich gegenwärtig an einem Dialog interessiert.

Gegen Ende der achtziger Jahre hatte die Regierung unter Mubarak ihre Strategie des "Teile und herrsche" gegenüber der Vereinigung aufgegeben, nachdem diese wohl stärkste außerparlamentarische Opposition des Landes an gesellschaftspolitischem Terrain - vor allem an den Universitäten und in den Berufsverbänden - dazugewinnen konnte. Durch das Verbot der einflußreichen islamistischen Organisation und die Inhaftierung zahlreicher Aktivisten erreichte das Regime jedoch das Gegenteil der von ihr beabsichtigten Schwächung der Bewegung. Die Stigmatisierung der gesamten islamistischen Bewegung hatte einen internen Radikalisierungsprozeß sowie die Abwanderung von Mitgliedern der Ikhwan in die nur schwer vom Staat zu kontrollierenden, militant-islamistischen Untergrundorganisationen zur Folge. Anstatt Teilen der Muslimbruderschaft mittels Integrationsangeboten die Möglichkeit zu geben, ihren vermeintlichen Demokratiewillen unter Beweis zu stellen, geht das Mubarak-Regime nach wie vor rigoros gegen viele Anhänger des politischen Islam vor. Die Folgen des Massakers von Luxor machen deutlich, daß die Rechnung des militanten Arms der islamistischen Bewegung aufgeht: Mit dem Anschlag von letzter Woche wurde erneut die Haupteinnahmequelle des Staates, die Tourismusbranche, schwer beeinträchtigt.

Schon wenige Tage nach dem Anschlag beklagten inländische Reiseveranstalter Rekordumbuchungen und Stornierungen aus dem Ausland. Negative Auswirkungen wird die Abnahme der Besucherzahlen vor allem auf die Teile der ägyptischen Bevölkerung haben, die bisher ihre Existenzgrundlagen aus dem Tourismusgeschäft bezogen. Ihr Haß richtet sich auf die Moslem-Extremisten, die - so der Besitzer einiger Pferdekutschen in Luxor wörtlich - "in Stücke gehackt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen werden sollten, weil sie Tausende von Ägyptern arbeitslos gemacht haben".