»Wenn das die Rechte erfunden hätte...«

Ab Ende September soll in Frankreichs Öffentlichem Dienst gestreikt werden. Die KP-nahe Gewerkschaft CGT übt sich im Spagat

Der große Kampf der neuen französischen Mitte-Links-Regierung für die Zukunft der Lohnarbeit hat begonnen. Das Herzstück der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung Jospin, deren Premierminister bevorzugt von "Konzertierung" und "Gleichgewicht" spricht, ist die große "Konferenz der Sozialpartner über Beschäftigung, Löhne und Arbeitszeit", die über den Fortgang eines der zentralen Wahlversprechen der Linkskoalition - die Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden ohne Lohnverzicht - entscheiden soll. Die conférence salariale, wie sie kurz genannt wird, ist nun definitiv für den 10. Oktober angesetzt und wird am Sitz des Arbeitsministeriums Unternehmerverbände, Gewerkschaften und Regierung an einen Tisch bringen. Die 35-Stunden-Woche ohne Lohnverzicht war vor den Wahlen am 1. Juni von allen Linksparteien versprochen wurden, wobei die Akzente unterschiedlich gesetzt wurden: Während das gemeinsame Papier von Parti Socialiste (PS) und Parti Communiste (PCF) vom 29. April sich für ein Rahmengesetz zu Beginn der Legislaturperiode aussprach, legte das PS-Wahlprogramm das Schwergewicht auf einen "schrittweisen Übergang... durch Verhandlungen der Sozialpartner".

Der Zentralverband der Unternehmer CNPF blieb jedoch absolut unversöhnlich gegenüber einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden: "Selbst wenn die Beibehaltung des (bisherigen) Lohns nirgendwo vorgeschrieben würde, wäre diese Maßnahme sehr gravierend", erklärte sein Vorsitzender Jean Gandois. Um die Kapitalverbände im Vorfeld des 10. Oktober zu beruhigen, beeilte sich Lionel Jospin jedoch gegenüber Le Monde zu erklären: "Die Arbeitszeitverkürzung ist nicht gegen die Unternehmen zu machen." CNPF-Präsident Gandois kommentierte: "In einem sehr schwarzen Himmel ist gestern ein kleines Eckchen blauen Himmels erschienen. Das bedeutet nicht, daß unsere Sorge verschwunden wäre - im Gegenteil, sie ist groß -, aber jeden Sonnenstrahl gilt es zu nutzen."

Die Gewerkschaften hingegen reagierten größtenteils kritisch, von der christlichen CFTC bis hin zur linken Basisgewerkschaft SUD. Letztere nennt es ein "düsteres Vorzeichen", daß die Regierung den Unternehmen vor Verhandlungsbeginn Garantien gibt. Es scheint zwar unwahrscheinlich, daß der CNPF Lohnsenkungen für den Übergang zur 35-Stunden-Woche aushandeln könnte, und auch Jospin erklärte in seinem Interview zugleich: "Wir sind nicht an die Regierung gekommen, um die Senkung der Löhne vorzunehmen!" Aber auf mehreren Ebenen zeichnen sich Gegenleistungen ab: Erstens wird es zumindest eine "Lohnmäßigung" - also ein Verzicht auf Erhöhungen - für die nächsten Jahre geben. Zweitens werden die Unternehmen finanzielle Hilfen, insbesondere Senkungen von Sozialabgaben, für sich herauszuschlagen suchen. Und drittens legt die Unternehmerseite Wert darauf, im Gegenzug zur Verkürzung der Arbeitszeiten deren Flexibilisierung zu erreichen, etwa über Jahres-Arbeitszeitkonten - bei guter Auftragslage wird dann weit über die durchschnittliche Wochenarbeitszeit hinaus gearbeitet, und wenn der Betrieb keinen Bedarf hat, werden die Beschäftigten nach Hause geschickt.

Die große Frage bleibt, wieviele Arbeitsplätze am Ende tatsächlich durch die Arbeitszeitverkürzung geschaffen werden, und wieviel vom "Beschäftigungseffekt" durch Rationalisierungen aufgefangen wird. Je später die 35-Stunden-Woche in Kraft tritt, desto geringer wird der Beschäftigungseffekt jedenfalls ausfallen. Derzeit wird der von Arbeitsministerin Martine Aubry eingebrachte Vorschlag gehandelt, die 35-Stunden-Woche zum 1. Juli 2000 zu erreichen.

Am 17. September verabschiedete die Nationalversammlung als erstes neues Gesetz der Legislaturperiode den Plan "Emploi-jeunes". Dieser soll Arbeitsplätze für Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren schaffen sowie für Personen bis 30, die noch nie ausreichend lange sozialversichert gearbeitet haben, um Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zu haben. Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich liegt bei 25 Prozent. 350 000 Arbeitsplätze sollen nach den Wahlprogrammen der Linksparteien durch die Öffentliche Hand geschaffen werden; 150 000 sollen es konkret bis Ende 1998 werden. Im Haushalt 1998 sind derzeit 8,5 Milliarden Franc vorgesehen, was für 93 000 emploi-jeunes ausreichen würde.

Entlohnt werden sollen die emplois-jeunes auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns SMIC, also netto 5 240 Franc (1 550 Mark) pro Monat, wobei 80 Prozent vom Staat finanziert werden und der Rest durch die jeweilige Institution (Staatsdienste, Kommunen, Vereine). Nach dem von Martine Aubry vorgelegten Plan sollen die Jugendarbeitsplätze Bedürfnisse abdecken, die weder vom Staat noch von der Privatwirtschaft befriedigt werden. So sollen junge Leute etwa die Unterstützung und Nachhilfe für Schüler übernehmen, in Schulen oder Transportmitteln durch Vermittlung Gewalt verhindern oder abbauen, pflegebedürftige ältere Menschen betreuen usw. Daneben sollen allerdings auch 15 000 bis 20 000 "Sicherheitshilfen" beim Innenministerium angestellt werden, die vor allem in den Vorstädten Hilfsaufgaben der Polizei übernehmen und teilweise auch bewaffnet werden sollen.

Kritik äußern KP und Gewerkschaften vor allem an der Natur dieser Beschäftigungsverhältnisse. Zwar handelt es sich nicht um eine Neuauflage der gewohnten prekären Kurzzeit-Jobs; infolgedessen ist die Zahl der Bewerbungen Jugendlicher, die nach jedem Strohhalm greifen, bereits jetzt hoch. Allerdings wird in die öffentlichen Dienste ein neuer Vertragstyp außerhalb des geltenden Statuts eingeführt, der privatrechtlicher Natur ist. So entsteht - außer bei den "Sicherheitshilfen" - das Risiko, das geltende Statut zu unterminieren. Zudem kombiniert der Vertrag "Emploi-jeunes" Bestandteile der bisherigen Arbeitsverträge CDI (unbefristet) und CDD (befristet) miteinander: Ist ein CDD bislang nur bei schwerem Pflichtverstoß des Beschäftigten vorzeitig kündbar, besteht bei den "emploi-jeunes" eine Kündigungsmöglichkeit wie bei den bisherigen CDI. Die konservative Abgeordnete Roselyne Bachelot spricht insofern von einer "Granate im Arbeitsgesetzbuch" und fügt hinzu: "Wenn die Rechte das erfunden hätte, wären Tausende von Demonstranten auf die Straße gegangen!" Diese Kritik ist zwar parteipolitisch motiviert und teils auch unrichtig (die "emploi-jeunes" unterscheiden sich immer noch von den prekären Mc-Jobs der Rechten), trifft aber den wunden Punkt. Eine Leerstelle weist der Aubrey-Plan bei der Frage nach einer Ausbildung der Jugendlichen in den emplois-jeunes auf, die ihnen erlauben könnte, nach dem Auslaufen der Verträge in fünf Jahren nicht wieder am Nullpunkt zu stehen.

Mittlerweile hat die PCF-nahe, größte Gewerkschaft CGT gegen einige der von der Regierung Jospin betriebenen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen die ersten Streiks und Mobilisierungen angekündigt. So werden am 8. Oktober auf Initiative der SNCF-Gewerkschaften die Eisenbahner streiken, ebenso die Mitarbeiter der Elektrizitätsgesellschaft EDF und zuvor am 30. September die Beschäftigten von France Télécom. Inhalt sind insbesondere die 35-Stunden-Woche und die Lohnpolitik, aber auch die Ablehnung der Privatisierung der Öffentlichen Dienste. Die CGT versucht, dadurch Druck vor der Konferenz am 10. Oktober auszuüben. Bei EDF verfolgt sie ferner das Ziel, "die Nuklearindustrie zu verteidigen", die sie durch die Regierungsbeteiligung der Grünen bedroht sieht.

Die Bündelung der Aktionen zu einem einheitlichenTermin, wie sie im Oktober der beiden letzten Jahre gegen die Regierung Juppé stattfanden, hat die am 17. und 18. September tagende CGT-Spitze jedoch abgelehnt. Denn will sie einerseits Druck entfalten, versucht sie andererseits, mit der Linksregierung im Gespräch zu bleiben und "die historische Chance nicht (zu) verpassen, den sozialen Dialog anläßlich der Konferenz (vom 10. Oktober) zu begünstigen", so Le Monde am 20. September.

Die linke Basisgewerkschaft SUD, zweitgrößte Gewerkschaft nach der CGT bei France Télécom, hat inzwischen die Ergebnisse ihrer Befragung der Télécom-Beschäftigten über die bevorstehende Teilprivatisierung der Gesellschaft vorgelegt. 63 000 der 120 000 Mitarbeiter haben daran teilgenommen, 80 Prozent sprechen sich gegen die von der Jospin-Regierung vorgenommene Teilprivatisierung aus, die weitgehend mit der der konservativen Vorgängerregierung identisch ist. 11,9 Prozent äußern sich zugunsten der Privatisierung, und sechs Prozent sind ohne Meinung.