Montag, 26.08.2024 / 22:16 Uhr

Afghanistan: Drei Jahre nach Abzug westlicher Truppen eine Hölle

Afghanische Flüchtlinge, Bild: Kabul Today

Die Versprechungen beim Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 waren bloß leeres Gerede. Frauen und ehemalige Mitarbeiter werden fallengelassen.

Vor drei Jahren zogen westliche Truppen Hals über Kopf aus Afghanistan ab und überließen die Menschen ihrem Schicksal. Schon damals verdeckte das Gerede, die Taliban seien irgendwie »moderater« geworden, nur notdürftig, dass genau jener Westen, der zuvor sich zum Fürsprecher von Frauen- und Menschenrechten in Afghanistan gemacht hatte, nun mit einem Schlag vor allem all jene im Land im Stich ließ, die an solche Verlautbarungen geglaubt hatten. Was nach dem Abzug noch an Erklärungen kam wie etwa, man werde sich weiterhin für Frauen und Mädchen einsetzen, blieb ebenso leeres Gerede.

Worauf man allerdings in westlichen Hauptstädten hoffen konnte, war das schnelle Vergessen, das dann in der Tat auch einsetzte. Afghanistan, war da was? Bestenfalls stören Afghanen noch, weil sie eine der größten Gruppen von Asylsuchenden in Europa ausmachen und bislang auch noch kein gangbarer Weg gefunden wurde, sie in größerer Zahl abschieben zu können.

Vor Ort haben die Taliban derweil systematisch und ohne Zugeständnisse ihr Scharia-Programm umgesetzt, das auf die völlige Entrechtung der F<rauen zielt. Sie sollen aus der Öffentlichkeit verschwinden und auch sonst möglichst nur noch innerhalb der eigenen vier Wände sich aufhalten dürfen. Erst wurde ihnen der Zugang zu Schulen, dann zu Parkanlagen und anderen öffentlichen Räumen verboten. Doch all dies reicht den Taliban nicht aus.

Neue Verbote zum Jahrestag

Pünktlich zum dritten Jahrestag ihres Sieges erließen sie nun neue Verbote, genannt »Tugendgesetze«, nach denen »muslimische Frauen verpflichtet sind, ihr Gesicht und ihren Körper zu bedecken, wenn sie sich in Gegenwart von Männern befinden, die nicht direkt mit ihnen verwandt sind. Frauen dürfen laut dem Gesetz (…) in der Öffentlichkeit zudem nicht singen, Gedichte rezitieren oder laut lesen, da ihre Stimmen als zu intim gelten.«

Das ist allerdings nicht alles:

»Männer und Frauen dürfen sich zudem nicht ansehen, wenn sie nicht verwandt sind. Die Gesetzgebung verbietet homosexuelle Beziehungen, Ehebruch und Glücksspiel. Männer müssen zudem mindestens knielange Hosen und einen Bart tragen, der nicht zu kurz sein darf. Versäumte Gebete und Ungehorsam gegenüber den eigenen Eltern können ebenfalls bestraft werden.«

 

Und so werden sie immer weiter machen, bis, wie eine afghanische Frauenrechtlerin vor einiger Zeit erklärte, Frauen in Afghanistan verschwunden sein werden. Sie völlig zum Verstummen zu bringen, dieser Schritt ist mit den neuen Verordnungen ja schon gemacht.

Sehr viele Möglichkeiten, sich zu wehren, bleiben ihnen nicht. Jene mutigen Frauen, die noch vor ein paar Jahren für ihre Rechte demonstrierten, wurden gewaltsam zum Schweigen gebracht. Mit welcher Brutalität dies geschah, lässt sich in einem Bericht der BBC nachlesen.

Was also bleibt außer Resignation? Vermutlich nur die Flucht. Und so steigen die Zahlen von Frauen und Mädchen, die sich, meist sogar alleine, auf den Weg aus der Taliban-Hölle machen. Sashikala VP hat für CNN mit einigen gesprochen und Reportage verfasst. Darin schreibt sie:

»Trotz der Herausforderungen meldete das UNHCR einen Anstieg der Zahl afghanischer Frauen und Mädchen, die in den ersten drei Monaten dieses Jahres in den Iran eingereist sind, um 57 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Im Jahr 2023 waren die Zahlen acht Prozent höher als im Jahr 2022. (…)

In Pakistan und der Türkei, wo unter afghanischen Flüchtlingen die Angst vor Abschiebungen groß ist, erklärten verschiedene Nichtregierungsorganisationen gegenüber CNN, dass die internationale Gemeinschaft viel mehr tun müsse: ›Die repressive Politik der Taliban hat viele Frauen und Mädchen dazu gezwungen, anderswo Sicherheit und bessere Chancen zu suchen, oft auf gefährlichen Wegen‹, sagte Zakira Hekmat, Gründerin der Afghan Refugee Solidarity Association in der Türkei, einem Land, das fast 120.000 afghanische Flüchtlinge und Asylbewerber beherbergt.«

 

Statt sich allerdings wenigstens um die Frauen zu kümmern, die ihr Leben riskieren, um in die Freiheit zu entkommen, grübeln Politiker in Europa über Wege, wie man nicht nur »illegale Migration« – auch die Flucht dieser Frauen fällt unter diese Kategorie – begrenzen, sondern auch, wie man Menschen nach Afghanistan abschieben könne. Frühere Erklärungen darüber, wie sehr einem das Schicksal von afghanischen Frauen und Mädchen am Herzen liege, sind längst vergessen.

Selbst Aufnahmeprogramme für sogenannte Ortskräfte, also Einheimische, die mit westlichen Truppen oder Organisationen zusammengearbeitet hatten, werden stillschweigend fallen gelassen. So auch von der Ampel-Regierung in Berlin: Von den 20.000, die man einst aufnehmen wollte, sind bis zum August 2024 gerade einmal 540 nach Deutschland gelassen worden.

Und nun kürzt man auch noch den dafür vorgesehenen Etat: »Der Haushaltsentwurf für 2025 sieht starke Kürzungen in Höhe von fast 90 Prozent im Bereich ›Resettlement und Leistungen im Rahmen der humanitären Hilfe‹ vor, in den das Aufnahmeprogramm für Afghanistan fällt. Von bislang 70 Millionen soll das Budget auf rund neun Millionen Euro jährlich reduziert werden, was de facto einer Einstellung des ›Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan‹ gleichkäme. Proteste von Organisationen wie Amnesty International, Pro Asyl oder Terre des Femmes haben [Außenministerin] Baerbock und [Innenministerin] Faeser bislang ignoriert.«

Christian Stock, der diese Bestandsaufnahmen verfasst hat, ist deshalb voll und ganz zuzustimmen, wenn er meint:

»Die Bundesregierung (zeigt) ganz offen, wie schmählich sie diejenigen im Stich lassen will, die nach 2001 unter großen persönlichen Risiken für ein nichtislamistisches, demokratisches Afghanistan eintraten, für ein Land, in dem Frauen Rechte haben und nicht geknechtet werden.«

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch