Proteste nach der Wahl des neurechten Autors Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter von Radebeul erzwingen Neuwahlen

Nobody in Radebeul

Die Wahl des neurechten Schriftstellers Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter von Radebeul sorgte für Proteste. Der Oberbürgermeister der Stadt hat deshalb die Entscheidung aufgehoben, eine erneute Wahl ist nötig.

Nur selten dringen Nachrichten aus dem verschlafenen Radebeul, einem Vorort von Dresden, in die weite Welt. Das »Herz der sächsischen Weinstraße« ist vor allem für seinen immensen Reichtum bekannt. Bild zufolge sollen in der Stadt mit 34 000 Einwohnern 250 Millionäre leben. Neben dem Weinbaumuseum gibt es das Karl-May-Museum, einen Ausstellungsort für europäische Klischees über die indigenen Völker Amerikas. Die in der Stadt ansässige Landesbühnen Sachsen GmbH gilt als das zweitgrößte Reisetheater hierzulande, spielt also meistens außer Haus. Das für die Touristen hergerichtete Viertel Altkötzschenbroda unterscheidet sich kaum von anderen überlaufenen Ausflugszielen in Urlaubsregionen.

Was der Stadt über ein Jahr lang fehlte, war ein Kulturamtsleiter. Ende Mai wählte der Radebeuler Stadtrat schließlich auf Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Ulrich Reusch, mit knapper Mehrheit den Schriftsteller Jörg Bernig. CDU und AfD verfügen zusammen über 15 Sitze im 34köpfigen Stadtrat. Der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche präferierte zwar die Gegenkandidatin, eine erfahrene Kulturmanagerin, nahm das Wahlergebnis aber »mit Respekt zur Kenntnis«. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten allerdings über 350 Personen eine Petition gegen den neuen Kulturamtsleiter. Dieser unerwartet heftige Protest vor allem des örtlichen Kunstmilieus brachte Wendsche dazu, Widerspruch gegen das Wahlergebnis einzulegen. Das ist gemäß der Sächsischen Gemeindeordnung möglich.

Der Schriftsteller Bernig ist seit 2005 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und wurde 2010 in die Sächsische Akademie der Künste berufen. Spätestens seit seiner Kamenzer Rede vor vier Jahren gilt der 56jährige als neurechter Intellektueller. In dieser eher kurz gehaltenen Ansprache beklagte er die »Stigmatisierung der Kritiker der Migrationspolitik als ›Islamophobe‹ und ›Fremdenfeinde‹«, die »Intoleranz gegenüber anderen Meinungen« und die »Regulierung der Bevölkerung« durch »Massenmigration«. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) regiere »gleich einem Feudalherrscher«, sagte der in Wurzen geborene Schriftsteller, der sich selbst in eine Reihe mit Gotthold Ephraim Lessing und Immanuel Kant stellte.

Der international bekannte Jazzmusiker Günter Sommer beschreibt Bernig anders. Der Schriftsteller sei ein »absoluter Nobody in der Radebeuler Kulturszene«, der bisher »weder bei einem Konzert noch einer Vernissage gesehen« worden sei, sagte Sommer auf Nachfrage der Jungle World. Der Sozialwissenschaftler David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins »Miteinander« sieht in Bernig einen typischen Vertreter aus dem Milieu rechter Intellektueller aus Ostdeutschland. Der Schriftsteller sei wie Thorsten Hinz, Jens Knorr, Michael Klonovsky und Erik Lehnert wegen der Haltung, die er und andere in den ersten Jahren nach der »friedlichen Revolution« von 1989 als Nonkonformismus verstanden hätten, zur Neuen Rechten gekommen, so Begrich zur Jungle World.

Die Edition Buchhaus Loschwitz vertreibt Bernigs Essays; Susanne Dagen, eine Buchhändlerin und Dresdner Stadtratsabgeordnete für die Freien Wähler (Jungle World 21/2019), ist die Herausgeberin. Das antifaschistische Informationsportal addn.me bezeichnet das von ihr betriebene Buchhaus als einen »wichtigen rechten Knotenpunkt« in der sächsischen Landeshauptstadt. Bernigs Bücher sind beim rechtsextremen Verlag Antaios von Götz Kubitschek ebenso erhältlich wie bei dem neurechten Magazin Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung.

Innerhalb der nächsten vier Wochen muss eine Neuwahl stattfinden. Beobachter gehen vom 15. Juni als Wahltag aus. Wie viele Kandidaten antreten werden, ist noch nicht bekannt. Die vom Bürgermeister unterstützte Anwärterin will es erneut versuchen, Bernig dagegen hat sich noch nicht zu einer weiteren Kandidatur geäußert. Die Vorsitzende der Stadtratsfraktion Bürgerforum/Grüne/SPD, Eva Oehmichen, kritisierte Wendsche für sein spätes Eingreifen: Dieser hätte er es gar nicht so weit kommen lassen dürfen, dass Bernig als einer von zwei Kandidaten zur Wahl steht. »Der Oberbürgermeister kann sich jetzt nicht als Retter hinstellen«, sagte sie der Sächsischen Zeitung. Denn zum nächsten Wahlgang könnte Bernig wieder antreten und erneut gewinnen.