Notizen aus Neuschwabenland – der Verfassungsschutz und die AfD

Die Mitte der Partei

Notizen aus Neuschwabenland, Teil 40: Nur einen Teil der AfD als rechtsextrem einzustufen, ist inkonsequent.
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Mit der Einstufung des »Flügels« der AfD als »rechtsextrem« versucht das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS), seine Reputation aufzubessern. Im November 2018 löste Thomas Haldenwang an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes Hans-Georg Maaßen ab, dessen Stellvertreter er bis dahin war. Er sollte die Schäden beseitigen, die sein Vorgänger angerichtet hatte, und Vertrauen gewinnen. Eigentlich hatte bereits Maaßen diese Aufgabe, als er nach den Skandalen um den NSU 2012 die Leitung der Behörde übernahm, doch als er ging, war deren Ruf noch schlechter als zuvor. Der Verdacht, dass der Dienst an Aufklärung über die extreme Rechte kein wirkliches Interesse habe, war nur gewachsen.

Die Pressekonferenz, auf der der VS die Hochstufung des »Flügels« vom Verdachts- zum Beobachtungsfall verkündete, bot keine Überraschungen. Für die Erkenntnis, dass es sich beim »Flügel« um eine zentrale Struktur der extremen Rechten handelt, hätte es keiner geheimdienstlichen Arbeit bedurft. Wissenschaft und Publizistik haben bereits seit Jahren auf den unverkennbaren Charakter des »Flügels« hingewiesen. Die Zitate und Verbindungen, die der VS präsentierte, waren längst bekannt. Es fielen die üblichen Namen – Björn Höcke, AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzender in Thüringen, und Andreas Kalbitz, Beisitzer im AfD-Bundesvorstand, später noch der des sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider. Der VS nannte auch das eng mit der Partei verknüpfte neurechte Netzwerk um das Institut für Staatspolitik in Schnellroda. Rolle und Charakter der von Götz Kubitschek aufgebauten Strukturen ließ man jedoch im Vagen.

Die Neubewertung des Verfassungsschutzes ist dennoch bemerkenswert. Schließlich sind die Hürden für die geheimdienstliche Beobachtung einer in den Parlamenten vertretenen Partei hoch. Für Beamte beispielsweise, die im »Flügel« organisiert sind, kann das durchaus Folgen haben. Auch dass der Vergleich mit der NPD gezogen wurde, zeigt eine neue Qualität. Immerhin hatte das Bundesverfassungsgericht deren verfassungsfeindlichen Charakter bestätigt und auf ein Verbot lediglich aufgrund angeblich mangelnder Relevanz der Partei verzichtet. Hätte das bürgerliche Image der AfD-Spitze irgendeine Berechtigung, müsste diese nun ihre Position zum »Flügel« revidieren. Doch von Alice Weidel und Jörg Meuthen kommt nur die übliche Opferrhetorik. Unterstützung erhält die Parteiführung von ihr nahestehenden Medien wie der Wochenzeitung Junge Freiheit, die dem VS politische Motive unterstellen.

Das Hauptproblem der Neubewertung nur eines Teils der Partei liegt jedoch auf der Hand. Immerhin hat der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland das Bonmot geprägt, der »Flügel«-Anführer Björn Höcke sei »die Mitte der Partei«. Sogar ein Autor wie Jasper von Altenbockum, der sonst selbst gerne in Frakturschrift denkt, wies in der FAZ auf dieses Grundproblem hin und hinterfragt die Grenzziehung zwischen »Flügel« und Rest-AfD. Er hält es für »eine gewagte Konstruktion, den ›Flügel‹ zwar als eindeutig extremistisch einzustufen, die Partei aber nicht«. Angesichts der Größe des »Flügel«-Netzwerks und seines Einflusses in der Gesamtpartei wirkt die Entscheidung inkonsequent und eher juristisch als inhaltlich kalkuliert.

Für die Betroffenen selbst war der Schritt offensichtlich nicht überraschend. Noch eine Woche zuvor, am 6. März, hatte Götz Kubitschek im Blog seiner Zeitschrift Sezession über das Thema geschrieben und das eigene Lager zu Geschlossenheit und unbeirrter Radikalität aufgerufen. Adressaten waren vor allem die Kritiker aus den Reihen der AfD selbst, die hin und wieder zu verbaler Mäßigung aufrufen. Am selben Tag hatten Vertreter des »Flügels« an Kubitscheks Firmensitz in Schnellroda konferiert. Ein Video, das derzeit im Internet kursiert, zeigt einen Ausschnitt aus der dortigen Ansprache Björn Höckes. Dieser beschwor die Einheit der Partei und forderte, alle Kritiker in den eigenen Reihen müssten »ausgeschwitzt« werden. So klingt also die »Mitte der Partei«.