Dienstag, 23.07.2024 / 23:31 Uhr

Sudan: Lage von hunderttausenden Flüchtlingen verschlechtert sich stetig

Flüchtlingslager im Tschad, Bild: Mark Knobil, Wikimedia Commons

Im Sudan ereignet sich eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart, doch die Appelle von UNO und Hilfsorganisationen werden weltweit ignoriert.

So wird nach einem Jahr blutigem Bürgerkrieg im Sudan ungestört weiterhin gemordet, vergewaltigt und geplündert, und auch die Warnungen vor einem zweiten Völkermord in Darfur stoßen auf wenig Resonanz.

Dabei müssten gerade in den europäischen Hauptstädten und in Brüssel alle Alarmglocken schrillen, herrscht doch quer durch alle Parteien Einigkeit darüber, dass Flucht und Migration nach Europa eines der größten Probleme darstellen. Mittlerweile gibt es weltweit nirgendwo so viele Binnenvertriebene und Flüchtlinge wie im Sudan.

Trotzdem interessiert dieser Konflikt in einem der wichtigsten afrikanischen Länder kaum jemanden; Informationen über die Lage vor Ort gibt es nur wenige. Herrscht inzwischen einfach nur noch Desinteresse am Leid so vieler Menschen? Selbst wenn, müssten sich doch zumindest jene, die am lautesten vor weiterer Migration warnen, für diesen Krieg interessieren, um weitere Flüchtlingsströme Richtung Europa zu verhindern.

Unbeschreibliches Elend

Sicher, der Sudan ist nicht Syrien, das eine Grenze mit der Türkei hat und von wo aus es Flüchtlinge recht einfach ans Mittelmeer schaffen, sondern umgeben von Staaten, die entweder selbst bettelarm sind oder ebenfalls versuchen, ihre Grenzen hermetisch abzuriegeln.

Das nördliche Ägypten verfolgt eine extrem repressive Politik, hält seine Grenzen weitgehend geschlossen und deportiert all jene, die es trotzdem ins Land der Pharaonen geschafft haben. Laut einem Bericht von Amnesty International liegen Hinweise vor, dass im Jahr 2023 »tausende sudanesischer Flüchtlinge willkürlich festgenommen und anschließend ausgewiesen« wurden.

Im Westen erwarten die Flüchtlinge nach langem Marsch durch unwirtliche Wüstengebiete der Tschad und die Zentralafrikanische Republik, beides bettelarme Länder, die autoritär regiert werden und ebenfalls alles unternehmen, um nicht unter einer Massenflucht aus dem Sudan leiden zu müssen. Wer es schafft, dem bleibt kaum eine andere Möglichkeit, als Zuflucht in einem überfüllten, mangelversorgten Camp zu suchen.

In den Tschad, der die Menschen an der Grenze bislang nicht gewaltsam abweist, hat es insgesamt über eine Million Flüchtlinge geschafft, also gut zehn Prozent der bislang Vertriebenen und Geflohenen. Die Lage in den dortigen Lagern als katastrophal zu bezeichnen dürfte eher noch einem Euphemismus gleichkommen. Ende Mai besuchte eine Journalistin von Foreign Policy die Grenzregion zwischen Tschad und Sudan und schrieb unter dem Titel Die weltweite Flüchtlingshilfe ist zusammengebrochen eine erschütternde Reportage über die dortige Not und das Elend.

Ein weiteres Gebiet, in das Sudanesen zu fliehen versuchen, liegt im Südosten Äthiopiens, wo bis vor Kurzem in der Region Tigray ebenfalls ein extrem blutiger Bürgerkrieg herrschte. Trotzdem ist das Land, zumindest im Vergleich zum Tschad, wohlhabend. Auch dort errichtete die UNO in der Grenzregion Aufnahmelager, konnte die Bewohner allerdings nicht vor bewaffneten Angriffen lokaler Milizen beschützen. »Bewaffnete Männer und Banden hatten wiederholt Lager gestürmt, um Vorräte zu stehlen, Frauen zu vergewaltigen, Menschen zu entführen, um Lösegeld zu erpressen, und Zivilisten in Angst und Schrecken zu versetzen.«

Die Lager liegen in einem Gebiet, in der bewaffnete Milizen der lokalen Amhara-Bevölkerung gegen äthiopische Armee und Sicherheitskräfte kämpfen. Daraufhin flohen Tausende von Flüchtlingen vor den Zuständen in nahe liegende Wälder an der Grenze, wo sie zum Teil seit Monaten unter unbeschreiblichen Bedingungen aus Angst vor weiterer Gewalt ausharren.

Auch die Lebensbedingung in den Camps scheint ähnlich schlecht wie im Tschad: »Die Flüchtlingslager leiden unter einem akuten Mangel an Gesundheitsversorgung und der Ausbreitung vermeidbarer Krankheiten. Ein Ende letzten Jahres in der Gegend gemeldeter Cholera-Ausbruch gefährdete Hunderte von Kindern. Um medizinische Versorgung außerhalb der Lager zu erhalten, müssten die Flüchtlinge [laut einem Betroffenen] eine Ausreisegenehmigung der Regierung beantragen. Allerdings erteilten Behörden diese nicht immer.«

Keine Perspektive

Derweil stehen Hilfsorganisationen und UN-Agenturen nicht einmal ein Bruchteil der benötigten Gelder zur Verfügung, mit denen zumindest eine rudimentäre Grundversorgung der Flüchtlinge gewährleistet werden kann. Und täglich wächst die Zahl neuer Vertriebener, während es im Sudan keinerlei Perspektiven auf Frieden oder einen Waffenstillstand gibt.

Wie schon 2015/16 in Syrien, wird es auch bezüglich des Sudans nur eine Frage der Zeit sein, bis alle Geflohenen feststellen werden, dass eine Rückkehr in absehbarer Zeit keine Option ist und ein Verbleib in den unterversorgten Lagern im Grenzgebiet einem Tod auf Raten gleichkommt.

Wer über auch nur geringe finanziellen Ressourcen verfügt, wird deshalb versuchen, es nach Europa zu schaffen, auch wenn diese Flucht, etwa durch Libyen, viel Geld kostet und weitere Gefahren birgt. In den jetzigen Aufnahmeländern haben die Menschen auf jeden Fall keinerlei Perspektive, außer in Lagern ihr Dasein fristen zu müssen, denn keiner der genannten Staaten ist willens oder in der Lage, größere Gruppen von Sudanesen langfristig zu integrieren.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch