Mittwoch, 26.06.2024 / 14:53 Uhr

Kein Abschiebestopp für Jesiden: “Von gebrochenen Versprechen und geplatzten Träumen“

IDP Camp für Jesiden bei Dohuk, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Trotz Forderungen von Menschenrechtsorganisationen und einigen Bundesländern: Es wird keinen Abschiebestopp für Jesiden aus dem Irak geben.

 

Auf der Konferenz der Innenminister, die vom 19. Bis 21. Juni in Potsdam stattfand, sind nun auch die letzten Hoffnungen der Jesiden- wie eine Seifenblase – zerplatzt.

Die Hoffnung endlich in einer neuen Heimat angekommen zu sein, endlich irgendwo dazu gehören zu dürfen. Deutschland und die Jesiden, es hätte die Substanz zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte: Auf der einen Seite ein Land, dass einst selbst für das größte Verbrechen, dass je an Menschen verübt wurde, den Holocaust als Täter steht. Ein Land, dass den Genozid durch den Islamischen Staat (IS) an den Jesiden im Parlament einstimmig anerkannt hat. Auf der anderen Seite ein Volk, dass seit über 1.000 Jahren unter ständiger Verfolgung leidet. 

 

Daher waren die Jesiden glücklich in einem Land leben zu dürfen, dass es ihnen erlaubt den eignen Glauben zelebrieren zu dürfen, wo es möglich war die eigene Sprache zu sprechen und wo ein gleichberechtigtes Leben – mit allen Rechten und Pflichten möglich schien.

Vollmundige Versprechungen

Mit den vollmundigen Versprechen, die die Bundestagsabgeordneten im Januar 2023 gaben, schien einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Weg zu stehen. „Wenn der IS Euch Eure Welt im Irak und Syrien genommen hat, so geben wir Euch die unsere“ sprach Dr. Jonas Geisler (CSU) das aus, was sich die Jesiden so sehr erhofften. Die Außenministerin Annalena Baerbock verkündete „Wir konnten den Genozid nicht verhindern, aber wir werden verhindern, dass es sich jemals wiederholt“ und fügte hinzu „Nicht nur das Parlament hat den Genozid anerkannt, Deutschland erkennt den Völkermord an den Jesiden an Das drohende Unheil, dass durch ein Urteil des OVG Lüneburg von 2019 wie ein Damokles Schwert über der Zukunft der Jesiden hing, wollte keiner der beteiligten MDBs und auch die jesidischen Verbände und Vereine sehen. Das Gericht hatte, als höchste Instanz, geurteilt; es gibt keine Gruppenverfolgung für Jesiden mehr im Irak. Dies hatte zur Folge, dass die Anerkennung der Jesiden als Flüchtlinge seit 2019 kontinuierlich abnahm. 

Mühsam behandelte Traumata brechen wieder auf. 

Mit der mündlich geschlossenen Vereinbarung des Irak mit Joachim Stamp, (Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen) nahm das Unheil seinen Lauf. Stamp, ehemaliger Minister in NRW sprach zwar mit der Zentralregierung in Bagdad, sowie der autonomen kurdischen Regionalregierung in Erbil, über Rückführungen. Den Weg zu den Jesiden um sich dort über die Lebensumstände zu informieren, fand er aber nicht. Während in Bagdad und Erbil positiv auf die Rückführungen reagiert wurde, im Gegenzug gibt es immerhin auch entsprechende finanzielle Unterstützung für Zukunftsprojekte, haben sich sowohl das weltliche als auch das religiöse Oberhaupt gegen Abschiebungen aus gesprochen. Das Credo vom Prinz Mir Hazem und dem Heiligen Vater der Jesiden Baba Shaekh Ali lautet „ Wer in Europa bleiben möchte soll bleiben dürfen, wer in die Heimat zurückkehren will soll dabei entsprechende Unterstützung erhalten“.in Ansatz, der sicherlich nicht nur mir gefällt, weil er auf die Bedürfnisse der Jesiden eingeht. Eine Rückkehr ist de facto nicht möglich, weil der versprochene Wiederaufbau des Hauptsiedlungsgebietes der Jesiden im Shingal, noch nicht einmal richtig begonnen wurde.

30.000 Betroffene

Seit Sommer 2023 begann Deutschland dann damit die Jesiden die nur eine Duldung haben wieder in den Irak abzuschieben. Rund 30.000 Jesiden haben kein Asyl, die Zahl mag klein erscheinen, aber es sind rund 10% aller Jesiden in Deutschland betroffen. Es gibt daher keine Familie die nicht direkt betroffen ist oder zumindest im engsten Freundeskreis derartige Fälle hat. IN Deutschland leben derzeit noch 300.000 Jesiden, es ist die größte Diasporagemeinde und die zweitgrößte Community der Jesiden weltweit. Und so brechen gerade wieder mühsam behandelte Traumata wieder auf. Die IS Überlebende Samira Al Silo brachte es anlässlich der IMK auf den Punkt. „Niemand wird mich zurück in den Irak bringen. Vorher beende ich mein Leben“. So wie Samira denken viele, die dem IS entkommen konnten, zuvor aber das schlimmste erleiden mussten was Frauen überhaupt passieren kann. Zigfache Vergewaltigungen, selbst bei 9jährigen Mädchen waren beim IS an der Tagesordnung. Die Täter von damals leben noch immer im Irak. Mag der IS militärisch auch besiegt sein, in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft ist vieles was die Bestien getan haben aber bis heute richtig. Die kurdische Regierung warnt zudem, dass der IS wieder erstarkt. 

Worthülsen

Nach Ansicht der Bundesregierung gibt scheinbar keine große Gefahr für die Jesiden in der alten Heimat. Nur so ist zu erklären, dass es bis heute kein nationales Abschiebeverbot gibt. Mehrere Länder haben ein solches erlassen, es hat aber nur für maximal 6 Monate Bestand, ist in NRW schon ausgelaufen. Alle Versuche der niedersächsischen Landesregierung eine einheitliches Vorgehen der Länder zu organisieren scheiterte an der Weigerung Bayerns und Brandenburgs. Bayern, dessen MDB Geisler den Jesiden eine neue Welt versprach und Brandenburg die einst selbst ein eigenes Landesaufnahmeprogramm auf den Weg brachten In vielen Einzelgesprächen wurde uns Aktivisten immer wieder versichert, dass niemand Jesiden abschieben wolle (ausgenommen bei schweren Straftaten oder der Identitätsverschleierung). Vom BMI über das AA bis zum Sonderbevollmächtigten und fast allen Bundesländern gab es diese Versicherung. Wenn dies mehr als leere Worthülsen sind, dann ist eine Einigung möglich. 

 

Wenn nicht, dann sollten die MDBs – die von ihren Landesregierungen vorgeführt werden, die damalige Genozid Anerkennung zurücknehmen.

 

Für die Jesiden ist seit vergangener Woche klar; es gibt keine neue Heimat, es gibt keine sichere Zukunft. Egal ob gut ausgebildet, in sogenannten Mangelberufen unterwegs oder mit kranken Familienangehörigen in Deutschland, kein Geduldeter ist vor der Abschiebung sicher.

 

Die einen weinen echte Tränen der Trauer auf der anderen Seite gibt es ein paar Krokodilstränen- Die jeweilige Opposition in Bund und Land echauffiert sich, aber dies ist kein Thema für Wahlkämpfe. Es geht um Leben und Tod, es geht um eine Zukunft für ein Volk, dass glaubte endlich angekommen zu sein.

 

Egal ob Saira oder eine andere junge Frau, sobald wir das erste Suizidopfer zu beklagen haben, wird die Frage nach dem „warum“ sehr laut erschallen. Wie sagt der Kindermund so schön „Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen“. 

Vielleicht sollten sich die Politiker daran erinnern, wenn sie das nächste Mal in den Spiegel schauen.

 

Siehe auch: Zehn Jahre nach dem Völkermord: Zur Lage der Jesidinnen und Jesiden im Irak